Nun ist der Tag
gekommen. An dem ohne die „Hilfe“ der fröhlich schlitternden Kinder ich vollen Kontakt
mit der Mutter Erde bekam. Der morgendliche Spazierweg – Mitte einer Allee –
war mir zu glatt geworden. Die zwei Grad Celsius plus am Vortag und die minus
sechs Grad in der Nacht hatten einen leichten Eisfilm entstehen lassen. Weil
ich im Halbdunkel (dem hechelnden Hund zuliebe, der so seine Not mit der
Notdurft signalisierte) aufgebrochen war, konnte ich die Situation schlecht
einschätzen. Aber dennoch entschied ich, dass wir zum Flussufer gehen würden.
Kai war das zufrieden, lief sofort in die bevorzugte Richtung. Das Tier hat auf
dieser Strecke mehr „Nasenerlebnisse“. Was es sich merkt.
Erstmals fiel mir
deutlich auf, dass die Motorisierung in der Ukraine nicht nur Risiken für
Fußgänger an Kreuzungen und überhaupt mit sich gebracht hat. Die von den
Straßenfegern im Interesse der meisten Bürger von Schnee befreiten Gehwege –
auch als „Bürgersteige“ bezeichnet – verlieren an Abenden bis in den späten nächsten
Morgen die ihnen zugedachte Funktion. Nebenbei gesagt: auch in Deutschland. Denn
sie sind zugeparkt mit Autos, für welche die Besitzer keine Garage haben. Also darf
der gewöhnliche Mensch den wesentlich glatteren Fahrbahnbelag testen. Oder über
Strecken hin die Stellen ausprobieren, welche durch den Winterdienst der Ortschaft
bei bestem Vorsatz nicht gesäubert werden konnten. Grund: eben die oben
genannten geparkten Privatfahrzeuge.
Dass unser Hund den
Weg kannte, konnte ich voraussetzen. Also konzentrierte ich mich darauf, auf
indianisch zu gehen – das heißt, unter die Füße voraus zu schauen. Bei Halbdunkel
schwierig. An einer Einfahrt zu der Garage eines Kfz.-Meisters erwartete ich,
dass die gestreut sein sollte. Fehlanzeige. Plötzlich rutschen mir die Beine
weg. Das vor über einem Jahr operierte Knie schmerzte – aber ich konnte doch
auf dem Hintern landen. Das verdanke ich unserem Turnlehrer, der vor rund 60 Jahren
zu den „langen Kerls“ unseres Lehrgangs Offiziersschüler gesagt hatte: „Hier
beginnt die Schmerzgrenze und etwa hier endet sie. Euch allen links davor empfehle
ich, die Fallübungen für den Judo-Kurs besonders intensiv zu üben. Könnt ihr
auch in der Freizeit machen – die Turnhalle ist offen.“ Ihm verdanke ich – und natürlich
meinem eigenen Bestreben nach einem Minimum an Schmerz – dass ich noch mit fast
80 Jahren recht gekonnt hinfallen kann.
Die Rückenlage wie
ein Käfer auf glattem Boden war wenig bequem. Dazu kam ein freudiges Ereignis:
unser Hund tauchte urplötzlich aus der Dämmerung auf, um das Herrchen ausgiebig
zu beschnuppern. Als ich mich auf den Bauch gewälzt hatte, lief Kai weiter. Er
vertraute mir… Allerdings war das Aufstehen wesentlich schwieriger als das
Hinfallen. Denn es gab nichts so richtig zum Aufstützen. Wie auch immer – ich kam
auf die Beine, bevor eine hilfsbereite Frau zu mir herbeigeschlittert war. Offensichtlich eine
Krankenschwester aus dem nahe gelegenen Krankenhaus auf dem Weg zur Arbeit. Ihre
Frage, ob mit mir alles in Ordnung sei, konnte ich bejahen. Gegen den leichten
Schmerz im Knie hätte sie mir auch nicht helfen können.
Hund Kai war wie
gesagt weiter zum Fluss gelaufen. Etwas hinkend machte ich mich auf, ihn zu
finden. Dabei mit extrem kurzen, altersgerechten Schritten auf der teilweise
recht glatten Erdoberfläche sehr langsam vorwärts kommend. Erholung gab es an
Abschnitten, wo Winterdienst oder reger Straßenverkehr den Schnee, Matsch oder
Eis weggefegt hatten. Zu meiner Freude kam der Kai mir schon entgegen, als ich
das noch nicht erwartete. Wir gingen langsam heim. Meiner Natascha berichtete
ich kurz. Sie wollte natürlich in ihrer Sorge um mich Pflegmaßnahmen einleiten.
Aber ich setzte mich durch und an den Laptop. Für diesen Bericht an meine
Leser. Wieder etwas Positives – trotz der Rückenlage.
Bleiben Sie recht
gesund!
Ihr
Siegfried Newiger