Die
Entscheidung, in dieser Jahreszeit nach Moskau zu reisen, war nicht einfach.
Ich hätte absagen können - dann wäre ein anderer Dolmetscher eingesprungen
worden. Allerdings bin ich jemand ohne Sitzfleisch. Auch hungrig auf Abenteuer.
Die mich anscheinend auch suchen und finden...
Drei
Tage vor der Abreise kam eine Bekannte meiner Frau zu uns - Russin aus einer
Stadt rund 400 km hinter Moskau. Sie bot an, mit ihr und ihrer Familie im Auto
die Hinfahrt zu bewältigen. Die Einsparung: 70 Euro. Lässt man doch nicht aus -
oder?
Am
russischen Grenzposten das erste - positive - Erlebnis. Wenn Sie bei Wind und
leichtem Schneetreiben fast auf freiem Felde stehen, um den winzigen
"Immigrationsschein" auszufüllen, kann es vorkommen, dass die
Visanummer des schon ungültigen Visas notiert wird. Das bemerkte ich. Die junge
Beamtin hinter dem Schalter schlug mir hilfsbereit vor, die Eintragung zu
ändern, den Schein zu Ende auszufüllen. Ich solle nur unterschreiben und mich
wieder ins Auto setzen. Höflich bedankte ich mich - eine seltene, sehr
angenehme Geste einer Beamtin!
Die
winterliche Einöde der durchreisten Landschaft wirft auf eine eigenartige Weise
die Frage auf, wie eben diese Weite von Menschen als Heimat empfunden werden
kann...
Gegen
20 Uhr Ortszeit kamen wir an den Stadtrand von Moskau. Dann trat ein, was noch
vor einiger Zeit in einer speziellen Redewendung deutscher Umgangssprache so
klang: "Ich denke, mich streift ein Bus." Nur: wir streiften ihn!
Zugegeben:
der Busfahrer fuhr auf dem linken Strich der Fahrbahnbegrenzung. Aber der
Fahrer unseres PKW, schon müde nach fast 1000 km hinter dem Steuer, zog etwas
intensiver nach rechts, als die Situation das erforderte. Ergebnis:
Blechschaden.
Die
Verkehrspolizei kam relativ rasch – Kunststück, der Posten nur etwa 100 m
entfernt. Nach einigen Aufnahmen der Unfallstelle und der Schäden das Kommando:
„Straße räumen, am Posten einparken.“
Aus
der Stellung des rechten Außenspiegels war eindeutig zu sehen: gerammt hatte
der PKW. Aber sein Fahrer wollte Recht haben und bekommen. Ich hatte keine
Lust, an der sinnlosen Streiterei teilzunehmen. Denn es war inzwischen 21.30
Uhr geworden. Mein von meiner Natascha benachrichtigter 88-jähriger Freund wartete
schon ungeduldig. Denn ich wusste nicht einmal, wo etwa unsere Unfallstelle
lag, bezogen auf seine Wohnung. Als ich die Polizisten fragte, meinten die: „In
50 m geradeaus beginnt der Lenin-Prospekt. Mit dem Bus immer geradeaus.“
Dank,
Verabschiedung, ab durch den Matsch auf dem unbefestigten Straßenrand bis zur
Bushaltestelle. Die Auskunft: wir biegen dort und dort ab. Also ein Taxi
gestoppt. 700 Rubel, knapp 20 Euro würde es kosten. Bis vor die Haustür. Mit dem
armenischen Fahrer, etwa 50 Jahre alt, gab es eine angeregte Unterhaltung.
Übersiedler nach Moskau aus der Gegend, wo es in den 90ßer Jahren
Kampfhandlungen um Berg-Karabach gab. Ein Schicksal…
Viktor
hatte mit dem Abendessen gewartet. Wir tafelten bescheiden, denn er hatte wegen
des Wetters keine Einkäufe mehr tätigen können, nachdem meine liebe Frau ihn
von meiner vorgezogenen Reise informiert hatte. Ein Teil des Gastgeschenks –
der ukrainische Markenwodka – kam zu seinem Recht. Welskopf und Zander wurden
am nächsten Tag zu einer köstlichen Fischsuppe – „ucha“ auf Russisch und vom Hausherrn
gebratenem Fisch vorgezogen. Eine Gewohnheit aus den Hunger- und Kriegsjahren
in der Sowjetunion. Damals wurden lediglich manchmal Bratkartoffeln mit dem
ebenso seltenen Sonnenblumenöl als Festschmaus zubereitet.
Der Besuch begann also wie schon so häufig: ich hatte etwas zu erzählen - diesmal "Abenteuer der Landstraße".
Am nächsten Tag begann das, was bei vielen Moskauern und auch bei mir den Tagesablauf etwas durcheinander brachte. Intensiver Schneefall. Obwohl 12.000 Einheiten Räumtechnik im Einsatz waren und Oberbürgermeister Sobjanin zu beruhigen versuchte: die Moskauer Kraftfahrer waren ruhig wie in jedem Jahr. Die Stadt ist schon zu anderen Jahreszeiten fas ständig im totalen Stau - nun ging fast nichts mehr - genauer: fuhr fast nichts mehr. Dass ich zur geschäftlichen Verabredung trotz vorsorglich 2 Stunden vorgezogener Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Odinzowo lediglich 20 Minuten zu spät kam, wurde von den Einheimischen fast als Heldentat gewertet.
Was ich an Informationen zum aktuellen Russland bekam, ist auf meinem Blog
zu lesen und kommt auch hier als Fortsetzung.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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