Die Hinreise Kiew-Berlin war so normal, dass es sich fast nicht lohnt zu erzählen. Außer dass im Reisebus Riga-Berlin, in welchen wir in Warschau umstiegen, drei sehr junge chinesische Kinder waren, welche mir noch viel lebhafter erschienen als die schon aus Berlin-Kreuzberg bekannten türkischen Jungen.
Die Rückreise fünf Tage später nach Kiew ab 22 Uhr begann recht ruhig, weil wir fast alle einschliefen. Als wir um 6 Uhr in der Frühe am recht großen Busbahnhof in Warschau-Zchodnia ankamen, wollten viele ihr Gepäck sehr rasch bekommen. Weil den Anschluss in einem fremden Land zu verpassen nicht einfach nur unangenehm ist. Denn die Sprachbarriere schafft nämlich zusätzlich Probleme.
Diesen Umstand hatten sich einige pfiffige Leute auch überlegt. Mein Portemonai hatte ich in einer seitlich am Oberschenkel befindlichen, mit Klettverschluss gesicherten Hosentasche. Sie ist im Allgemeinen sogar aus dem Augenwinkel sichtbar. Doch wenn viele dich umringen, du die Hand nach dem Koffergriff ausstreckst - dann ist alle deine Aufmerksamkeit dorthin gerichtet. Der Taschendieb hatte also mit mir leichtes Spiel.
Als ich mit meinem Gepäck an einer Bank ankam, hatte ich das Leeregefühl dort, wo vorher die eng in der Tasche sitzende Geldbörse merklichen Druck ausübte. Ein Griff dorthin - und ein Schreck in der Morgenstunde.
Der zweite Fehler folgte sofort. Ich ließ Koffer und Rucksack auf der Bank und raste zum Bus, der nach Riga weiterfuhr. Meine bisherige Nachbarin sagte mir, dass ich auf dem Sitz nichts verloren hätte - sie würde mich gerufen haben. Mein Gepäck war am Platz, doch wurde mir mein Risiko bewusst.
Besonders unangenehm war, dass außer Personalausweis in der Geldbörse Kreditkarte, Geldkarte, Gesundheitskarte der AOK (eben erst abgeholt), Führerschein und anderes mehr steckten. Dazu verschwanden, jedoch unwiederbringlich, etwa 80 Euro, 30 polnische Zloty und 35 ukrainische Hrywna.
Nach dem ersten Ärger fasste ich mich soweit, dass mir das in der linken Hosentasche befindliche polnische Kleingeld einfiel, so dass ich mir einen sogar großen Kaffee leistete. Danach rief ich in Berlin an, damit unser Freund sofort meine Kreditkarte sperren ließ.
Pünktlich ging es ab in die Ukraine. Die Grenze überquerten wir ohne langen Aufenthalt, rollten über Luzk und Rowno bei zunehmender Dunkelheit zügig auf Shitomir zu. Plötzlich ein Streifenwagen der Polizei quer über der Straße. Die Ordnungshüter gaben keine Antworten, sondern nur die Weisung: "Weiterfahrt nur über Nowograd-Wolhynski!"
So rasten wir mit etwa 30 km/h über nächtliche ukrainische Dorfstraßen. Der Umweg war der militärischen Situation im Lande geschuldet, wie ich daheim erfuhr. Eltern frisch Einberufener hätten die Straße gesperrt, um die nach ihrer Auffassung unzureichend ausgebildeten Söhne nicht in die Ostukraine zum Einsatz transportieren zu lassen. Eine verständliche Reaktion, meine ich. Sie kostete uns im Bus lediglich knapp zwei Stunden Verspätung in Kiew.
Die typische Reaktion meiner Ehehälfte, als ich nach künstlich verlängerten Berichten über die Probleme in Berlin und meine Treffen endlich ihre Frage nach der Vollzähligkeit meines Eigentum beantworten musste, lautete: "Das kann nur dir passieren!" Bevor ich die Fragen zur Sache beantworten durfte.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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