Reicher Abend...

Am Abend des 6. Januar wird in der Ukraine jährlich wegen der Unterschiede zwischen den gregorianischen und julianischen Kalendern für die aktuelle Zeitrechnung der westeuropäischen und orthodoxen Kirchen der Heilige Abend hier als "Reicher Abend" gefeiert. 
Er ist sachlich das "Fastenbrechen" nach dem so genannten "schwachen Fasten", welches an diesem Januar-Abend symbolisch nach Aufgang des ersten Sterns vollzogen wird. Das dazu gehörige Abendessen beginnt mit dem so genannten "kutja" - einer Speise aus Mohn, gehackten Walnüssen, Rosinen, gekochtem Buchweizen oder Weizen und einer "uzwar" genannten Flüssigkeit. Das ist ein leicht gesüßter Sud aus Wasser und Trockenfrüchten aller Art. Außerdem kommen dazu weitere elf Fastenspeisen.

In der wesentlich traditionsbewussteren Westukraine gehört neben dem Gebet vor dem gemeinsamen Essen (nicht selten in Volkstracht) dazu, dass der Esslöffel bis zum Abschluss in einem Teller oder Gefäß abgelegt wird, nie auf dem Tisch. Auch hat während der gemeinsamen Veranstaltung niemand das Recht, das Haus zu verlassen. Zum Abend gehört dort auch der gemeinsame Gesang von Liedern aus dem religiösen oder folkloristischen Bereich. 
Nach dem 22. Januar beginnt für aller orthodoxen Gläubigen das so genannte "strenge Fasten", das zeitlich bis zu den Osterfeiertagen dauert. 

Wir waren am 8. Januar bei etwas lockerer mit der Kirche verbundenen Bekannten ins Dorf zum "Reichen Abend" eingeladen. Aus den üblichen zwölf Fastenspeisen wurden uns nur vier vorgesetzt, dazu kamen jedoch sehr weltliche Gerichte und guter Wodka. 
Allerdings wurde ich dennoch überrascht. Denn plötzlich waren Kinderstimmen zu hören. Die Kleinen kamen sehr höflich als "kolodjaschniki" ins Haus - eine Art "Zauberer". Als sie nach ihren Bitt- und Wünscheversen zu singen begannen, war ich erstaunt. Es erklang das weltweit bekannteste Weihnachtslied "Stille Nacht, heilige Nacht" auf Ukrainisch. Das rührte an - weil nicht bestellt, weit entfernt von der in Deutschland üblichen Vermarktung auf den dort so kommerziell ausgerichteten Weihnachtsmärkten.

Am Folgeabend traf uns ein mittelschwer alkoholisierter älterer Mann. Er wollte von mir als Deutschem nach Glückwunsch zum Heiligen Abend wissen, ob Köln eine schöne Stadt sei. Seine dort seit langem lebende Schwester behaupte das. Ich habe nach meinen Eindrücken positiv geantwortet. 
Dann rief er ganz plötzlich: "Aber so etwas ist in Deutschland unmöglich!" Diesen Satz wiederholte er stereotyp, ohne mir auf meine sachbezogene Frage zu antworten. 
Weil er immer lauter wurde, dazu beängstigend mit den Armen umherfuchtelte, erschien das für Hund Kai als Bedrohung. Er warf sich laut bellend auf den fast in seiner Reichweite befindlichen "Angreifer". Der erschrak, ich musste ihn beruhigen und gleichzeitig den Beschützer Hund loben. Wir trennten uns - er sehr laut vor sich hin brabbelnd. Unaufgefordert hat unser gutmütiger Spaniel gezeigt, dass er seine Meinung zu bedrohlichen Situationen hat.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger 





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