Als am vergangenen Freitag mein Stiefsohn wesentlich früher als üblich von der Arbeit heimkam, überraschte er mich mit der Bemerkung: "Siegfried, bitte entschuldigen sie - aber ich werde morgen fast den ganzen Tag nicht daheim sein. Also wenig tun können für ihre Geburtstagstafel. Ein Kumpel von uns scheint im Fluss Ros ertrunken. Er war vor zwei Tagen zur Unterwasserjagd gegangen und ist nicht nach Hause gekommen. Wir, die hiesigen Unterwasserjäger, wollen ihn suchen helfen."
Meine Bemerkung dazu traf ihn ein wenig, sollte das auch: "Gut, dass du mit helfen kannst." Denn er hat in der Vergangenheit mit spätem Heimkommen vom "Jagdausflug" unsere Nerven auch schon ordentlich strapaziert. Nicht nur die seiner Mutter und meine, sondern auch die seiner Verlobten.
Nachts, eine Minute des neuen Tages war angebrochen, zog mich jemand derb an der Nase. Meine Natascha und auch Pavel standen vor dem Bett, um mir zum 78-sten zu gratulieren. Früher habe ich mich mit ihnen gemeinsam schlafen gelegt - seit einigen Jahren gehe ich spätestens um 22 Uhr zu Bett. Die Gewohnheit, sich in der Familie mit Anbruch des neuen Tages und Jahres zu beglückwünschen, ist geblieben.
Den nächsten Glückwunsch bekam ich telefonisch, um sieben Uhr in der Frühe. Einer unserer Freunde hatte bei seiner Reise im Ausland etwas die Zeitorientierung verloren. Aber da ich mit dem Hund schon spazieren ging, war der Anruf vor allem angenehm.
An diesem hellen Morgen fiel ein wenig dünner Schnee. Ich erinnerte mich daran, dass unsere liebe Mutti mir erzählte, dass am 21. März 1937 in Ostpreußen eine etwa einen halben Meter dicke Schneedecke gelegen, es zur Zeit meiner Geburt jedoch ein tüchtiges Wintergewitter gegeben habe. Alle anderen Wöchnerinnen haben ihr deshalb für mich ein sehr erlebnisreiches Leben vorausgesagt. Aus heutiger Sicht: das ist eingetroffen.
Auf dem Heimweg sprach mich eine 84-jährige, sehr gebückt gehende Frau an. Sie interessierte unser Spaniel, weil sie im Hof einen schwarzen, kleineren Spaniel-Rüden hat. Nach einigen Worten von mir sagte sie: "Woher kommen sie denn? Sie sind doch kein hiesiger?" Wir haben, nachdem ich mich als Deutscher zu erkennen gegeben hatte, langsam spazierend uns noch etwa eine halbe Stunde zu sie interessierenden Fragen unterhalten. Wünschten einander zum Abschied gute Gesundheit.
Zehn Minuten später erfuhr ich, dass eine andere Greisin, mit der mich zeitweilig das Interesse an Hunden sprachlich verbunden hatte, erkrankt und verstorben war.
So kamen die Freude am eigenen Leben zusammen mit der dazu gehörenden Polarität, dem Tod. Unmittelbar. Das Sterben als Folge von Gewalt im Donbas ist da sehr fern und dennoch auch allgegenwärtig. Denn es klang an im sehr herzlichen Glückwunsch unserer nun in der Nähe von Kiew lebenden Freunde aus Lugansk.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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