Der
Post reicht zurück, bis zum Tag vor meinem Geburtstag, zum 20. März dieses
Jahres. Pavel, mein Stiefsohn, kam wesentlich früher als gewöhnlich von der
Arbeit in Kiew heim. Nach der Begrüßung sagte er: „Siegfried, leider kann ich
morgen bei den Vorbereitungen zur Festtafel für die Gäste erst spät dazu
kommen. Ein Freund von uns Unterwasserjägern ist von einer Pirsch bei Nacht
nicht zurückgekehrt. Schon den zweiten Tag. Wir alle wollen ihn morgen
verstärkt suchen. Frau und Eltern haben gedacht, dass er vielleicht bei
Freunden ist. Denn er hat im Gegensatz zu mir und anderen Atemmaske und
Druckluftbehälter. Deshalb haben sie uns erst heute alarmiert.“
Eine solche
Situation erfordert natürlich den Einsatz unter besonderen Bedingungen. Natascha
und ich bereiteten unsere speziellen Gerichte zu, seine bereiteten wir in
gewisser Beziehung (Säubern, Zerschneiden...) auch vor.
Er kam etwa 20 Minuten vor Eintreffen der ersten
Gäste zurück. Berichtete, dass alle Suche vergeblich war. Der Koch von Beruf schaffte
es jedoch unter starkem Zeitdruck, seine Köstlichkeiten zuzubereiten, bevor der
letzte Gast an der Tafel saß.
Zum bedauerlichen Ereignis gab es nur eine kurze
Information. Wir alle wollten keine Spekulationen anstellen. Am Folgetag ging
die Suche weiter – erfolglos.
Gegen Mittag ließ Natascha die Mutter des
Gesuchten und noch zwei Frauen sich in unser Auto setzen, fuhr mit ihnen zu
einer in unserer Stadt bekannten „Hellseherin“. Die lebt in einem Dorf, etwa
120 km entfernt. Die Frauen sprachen auf der Fahrt so überzeugt von deren
„Gaben“, dass Natascha davon überzeugt war.
Die Antwort der „weisen Frau“: „Der
junge Mann lebt. Er ist an Land gegangen und hält sich bei Bekannten auf,
welche ihn unterstützen. Denn er will nach Westeuropa, um sich dort Arbeit und
einen ordentlichen Verdienst zu suchen.“ Meine Frau teilte mir nach ihrer
Rückkehr am späten Abend diese „Tatsachen“ mit.
Weil am Vortag die Gerätetasche
des Vermissten und neben ihr drei harpunierte Fische gefunden worden waren,
fand ich die Antwort der „Seherin“ zweifelhaft. Er hätte sicher die Beute und
seine Werkzeuge mit zu erwähnten Bekannten genommen. Warum gute Fische
verkommen lassen, für die Ausrüstung notwendige und nur zu ihr passende
Werkzeuge anderen überlassen? Absolut unlogisch für sehr pragmatisch denkende ukrainische
Männer!
Meine immer sehr hilfreiche Ehefrau sah das anders. Eben unlogisches
Handeln sollte die Suchenden und auch die staatlichen Organe auf eine falsche
Fährte locken. Neun Tage nach dem Verschwinden wurde die Suche eingestellt. Ein
neuer offiziell Vermisster.
Heute, rund einen Monat nach dem Unfall, bekam ich in
Deutschland eine Kurznachricht auf mein Handy – „Vermisster ist aufgetrieben.“
Verdient sich die „Seherin“ auf gewissenlose Weise ihr Geld? Wollte sie mit
einem Hoffnungsschimmer den Schmerz der Mutter dämpfen? Den von Frau und
Tochter des Toten? Das kann ich nicht ausschließen, aber auch nicht gutheißen.
Nachtrag: das Atemgerät des Toten hatte nach angestellten kriminaltechnischen Untersuchungen nur fünfzehn Minuten gearbeitet. Dann sei durch Herzschwäche bedingt, der Herzstillstand, der Tod eingetreten. Kein Unfall, kein Mord. Drei Flusskrebse im Netz am Gürtel lebten noch.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen