Auf dem Weg
in das ostukrainische Industriegebiet das Typische – ein wegen der zu Ende
gehenden Urlaubszeit bis zum letzten Platz voll besetzter Schnellzug. Das
Abteil war eines aus der günstigen konstruktiven Lösung – nur für vier Personen. Damit war der
Aufstieg zur Liege in den zweiten Rang auch für einen älteren Herrn noch zu
bewältigen, wenn auch mühsam.
Wir hatten keinen altersgerechteren unteren
Liegeplatz mehr bekommen können – fünf Tage vor der Fahrt. Die ältere Frau in
dieser Gruppe war auch noch erstaunlich gelenkig. Dass die etwas jüngeren Leute
– er Bergmann, sie Hautärztin – ihre unteren Liegeplätze nicht mit uns
tauschten, ließ sich deshalb verschmerzen.
Bisher hatte ich noch nie mit einem
aktiven Bergmann unterhalten können. Er antwortete mir bereitwillig auf meine
Fragen und war hin und wieder verwundert, wie sich jemand für ihm so vertraute,
alltägliche Vorgänge und Ereignisse interessierte. Es ist natürlich auch eine
ganz andere Arbeit, Kohle mit einer modernen Kombine abzubauen, als sie mit
einer Spitzhacke aus dem Berg zu brechen.
Unsere Reise verlief ohne
Zwischenfälle, wenn man die bemitleidenswerten Verkäufer von Textilien oder
anderen Waren auf den Gängen in den Waggons zwischen einigen Stationen
unbeachtet lässt. Aber auch sie wollen leben… Als ich dem Taxifahrer am Bahnhof als Ziel das „Bügeleisen“ nannte,
eigentlich „Hotel Freundschaft“ (ein sich einseitig am Giebel wie Treppenstufen nach oben
verjüngender Bau), war er sofort zugänglicher, weil ich seinen Fahrpreis
übertrieben fand und ging mit dem gleich um 5 Hrywna herunter.
Die Hotelchefin
saß selbst an der Rezeption und war sichtlich erfreut, dass wir aus einem
deutschen Unternehmen erneut bei ihr Gäste sein würden. Sie erinnerte sich
gerne an uns, die wir bei unserer letzten Dienstreise ihr zu ihrem Geburtstag als
einzige ihrer ausländischen Gäste mit einem schönen Blumenstrauß gratuliert
hatten. Auf meine Frage, weshalb sie die zu bestellenden Frühstücksmenüs nicht
durch ein Buffet ersetze, bekam ich eine für mich erstaunliche Antwort. Es
hätte Probleme mit den Kunden gegeben. Weil die meisten Geschäftsleute ihre
Kraftfahrer in den bescheideneren Räumen mit einquartierten, jene aber aus
Gewohnheit wie täglich früher aufstanden, seien die geschätzten Fleisch- und
Wurstwaren bei Erscheinen der zahlenden Gäste immer schon aus dem Angebot
verschwunden. Die Mitarbeiter begrüßten mich ebenfalls freundlich wie einen
guten Bekannten, fragten, ob noch andere kämen. Sehr angenehme Atmosphäre.
Nach
einigen Tagen hatten wir im Werk zusätzlich zu den täglichen Grußzeremonien zwei winzige, aber nette Erlebnisse. Eine der in der Produktion tätigen Frauen bemerkte, als wir ihr
einen „Guten Tag!“ wünschten: „Guten Morgen! Schön, dass sie gekommen sind und
die Sonne mitgebracht haben.“ Galant antwortete einer meiner Kollegen mit einer
leichten Verneigung in ihre Richtung: „Ist doch selbstverständlich – die Sonne
für die Sönnchen.“
Am selbigen Morgen kam einer unserer Kollegen von einer
Spezialmaschine zurück, nach Handschlag mit deren Bediener. Jener hatte ihm
eine große Plastetüte mit wunderbar großen und wohlschmeckenden Weintrauben
gereicht. „Von meinem Vater aus dem Dorf für euch.“ Was für eine unerwartete
und auch großherzige Geste. Wenn man weiß, wie schwer es heute die Menschen in
den meisten ukrainischen Dörfern haben.
So begann unser Arbeitstag mit einem
Lächeln von und nach allen Seiten.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried
Newiger
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