Es gab sie kurzzeitig vorgestern in der Frühe. Der Himmel war
wolkenverhangen, die Lufttemperatur etwa um + 10 Grad, als wir zum Spaziergang
aufbrachen. Außer den unschönen schrillen Schreien wieder zurückgekehrter Eichelhäher
war nur das typische leise Tönen der Kohlmeisen eine Abwechslung im Bereich des
Waldrandes.
Zwei Tage davor hatte man am kleinen Stausee oberhalb der Stadt am
Nachmittag begonnen, Wasser abzulassen, um Stauraum für die Herbst-Wintersaison
zu schaffen. Augenzeugen unter den Anglern berichteten, wie sich in kurzer Zeit
der Pegel des Flusses um etwa 1,5 Meter anhob. Dabei kamen mit den befreiten
Wassermassen Bäume, Sträucher und Un-Kulturmüll in „Scharen“ geschwommen.
Vor der
hölzernen Brücke sah ich den Stau, den die Flut durch die mitgeschleppten
Gegenstände verursacht hatte. Auf der weiteren Spazierstrecke konnte man an der
Schlammgrenze auf dem Ufer sehen, wie hoch der Wasserspiegel angestiegen war. Weil
in diesem Jahr in der Ukraine und in Russland vor allem die Hochwasserbilder
lange die Massenmedien füllten, konnte ich nachempfinden, wie es den Menschen
dort ergangen sein musste.
Feuer lässt sich häufig mit Wasser löschen – das „heranschleichende“,
überall durchsickernde Wasser ist aber nicht so einfach zu bändigen…
Aus diesen
Überlegungen riss mich die Sinnestäuschung. Wir waren auf dem Heimweg. Durch die
vielen entlaubten Bäume sah ich weit weg ein Großfeuer! Es loderte immer mehr
auf – allerdings ohne Rauch. Erst da verstand ich, dass die Wolkendecke
aufzureißen begann und die am Horizont noch rote Sonne die Illusion schaffte,
welcher ich kurzzeitig verfallen war…
Heute Morgen bekam ich nach dem
Spaziergang den Auftrag, auf den Basar einkaufen zu gehen. Alles wie gewöhnlich
– gegenseitige Begrüßung mit einigen Worten, ab und an ein Scherz.
Dann war ich
bei Katja – meiner netten Freundin. Ich wusste, dass sie Verbindung mit ihrer
Tochter hielt, welche zu einem Schüleraustausch für einige Tage in die Umgebung
von Krakow gefahren war. Deshalb fragte ich, welches denn der Grund sei, dass
sie selbst heute so besonders glücklich aussieht. Die Antwort überraschte mich.
„Ich habe mich drei Tage erholt. Besonders gestern in der Frühe. Weil unser
Anwesen höher gelegen ist als alle anderen im Dorf, haben wir uns mit meinem
Mann vor die Haustür auf die Bank gesetzt, unseren Kaffee getrunken und den
Sonnenaufgang am hellen Himmel beobachtet. Wie schön – dazu die Stille,
unterbrochen ab und an durch die Stimmübungen der ersten erwachten Hähne. Schön,
dass wir die hektische Zeit vor den vierziger Lebensjahren hinter uns haben.“
Erstmals habe ich die auch sonst sehr vernünftige, humorvolle Frau in einer als
elegisch zu bezeichnenden Stimmung erlebt. Die Tatsache, dass sie sich so offen
mir gegenüber äußerte, freute mich außerordentlich. So wird ein Einkauf zu
einem Erlebnis.
Wie Robert Browning meint: „Jede Freude ist ein Gewinn und
bleibt es, auch wenn er noch so klein ist.“
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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