Wir waren am
Sonnabend um 15 Uhr eingeladen – zum 60-sten Geburtstag einer guten Bekannten. Mein
Drängen beantwortete Natascha mit der Frage, ob ich so hungrig sei oder der
Wodka so magische Anziehung ausübe… Diese Bemerkung überging ich großzügig. Sie
fuhr fort: es sollte in den Jahren doch bei mir angekommen sein, dass die
genannte Zeit die frühest erlaubte Ankunft signalisiere. 15.30 Uhr wäre noch
sehr höflich. Wir kamen zu eben dieser Zeit mit dem Taxi vorgefahren und ich
wunderte mich wieder, dass der Saal gut vorbereitet, wir aber unter den ersten
Gästen waren.
Valentina war gut gekleidet und frisiert, ihr Mann stach gegen
sie aber nicht ab. Vor allem war ihrer beider Stimmung nicht aufgesetzt,
sondern echt feiertäglich.
Wir waren erstmals im Cafe „Tandem“, folglich sah
ich mich aufmerksam um. Wir haben im kommenden Jahr die ukrainische Nachfeier
der Hochzeit von Sveta und Roman zu organisieren. Der Raum schnörkellos, hell,
ohne das nicht selten sehr aufgesetzt wirkende „heimische Kolorit“. Die Tafel
wie hier üblich fast überladen, nett, nicht übermäßig dekoriert. Ein Diskjockey
von etwa 35 Jahren bereitete seine Technik vor.
Nachdem gegen 16 Uhr zum
Platznehmen gebeten worden war, begann der rechte Geburtstagsschmaus mit dem
Trinkspruch des Ehemanns. Er wurde damit beendet, dass alle Gäste „Gorko!“
riefen, auf Deutsch „Bitter!“ – gewöhnlich die Aufforderung an ein
Hochzeitspaar, einander zu küssen.
Anschließend langten wir alle zu. Salate
aller Art, von der Jubilarin eingelegte Waldpilze (glaube, dass so etwas in
Deutschland unmöglich ist), vom Hausherren selbst geräucherte Hühnchen, extrem
schmackhaft – dazu Kohlrouladen (fehlen bei keinem Gastmahl, als Füllung
allerdings etwas schmackhaftes aus Reis), gefüllter Fisch, Sülze, Wurst, Schinken und Käse und
und… Es ist mir einfach nicht möglich, die Leckereien alle aufzuzählen. Den Reiz machte die Mischung aus Hausmannskost und der "nach Art des Hauses" aus. Das "Tandem" ist auf unserer Liste Nachfeier für die Hochzeit ganz vorne.
Nach einer
gewissen Zeit wurde unser Prassen vom Disjockey unterbrochen, der seine „Gästeliste“
abarbeitete – damit alle ihren Trinkspruch aufsagen konnten. Wie immer gab es
einige Damen unter den Anwesenden, welche sich in Versen versucht hatten. Mein ukrainischer
Sprachschatz ist zu jämmerlich, um alles zu verstehen. Machte aber mit zunehmender
Verdünnung meines Blutes durch Alkohol nichts Wesentliches aus.
Zum Glück ging
niemand auf den in Kiew ablaufenden „Maidan“ ein, der am folgenden Sonntagmorgen
in die „Große Wetsche“ übergehen sollte (eine einst sinnvolle Volksversammlung,
als die slawischen Stämme zahlenmäßig noch so klein waren, dass sie sich mit
allen Erwachsenen zur Beratung an einem Lagerfeuer treffen konnten).
Natascha
hatte mir den Hauptteil unseres Trinkspruchs überlassen, nachdem sie unseren Wunsch
für stabile Gesundheit vortrug. Ein wenig anders wollte ich schon sein. Deshalb
machte ich einen Ausflug: ein 102 Jahre alter Japaner hatte Wissenschaftlern wie
folgt geantwortet, als sie sein Geheimnis für langes Leben erfahren wollten. „Mich
interessiert das Leben noch. Das hält mich lebendig.“ Also wünschten wir
Valentina ebenfalls so viel Interesse am Leben. Weil aber alle immer nur auf ein
glückliches, zufriedenes Leben abstellten, ging ich vom anderen Ende auf die
Tatsache zu. „Natürlich wünschen wir dir das Beste. Wenn es aber doch einmal
einen Schicksalsschlag gibt, wünschen wir dir viel Kraft, ihn zu überwinden.“ Der
anhaltende Beifall bewies, dass ich verstanden worden war.
Im Tanzwettbewerb –
6 nicht miteinander verheiratete Paare – gewannen meine Partnerin und ich für
unseren Tango den zweiten Preis.
Als alle gemeinsam sangen, ritt mich der
Ehrgeiz. Ich meldete mich und sang a capella das für mich schönste deutsche
Liebeslied. „Dat do min Levsten büst…“ aus dem Mecklenburgischen. Einfache
Melodie und erotischer Text. Wieder Beifall auf offener Szene.
So kann man
Deutschland wirkungsvoller vertreten als sein ehemaliger Außenminister.
Bleiben
Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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