Gegenverkehr...


Als ich gestern den Post "Märchenhaft..." beendet hatte, rief über Handy jemand plötzlich meine Natascha an. Aus ihrer zunehmend intensiveren, emotional negativ eingefärbten Unterhaltung auf Ukrainisch konnte ich entnehmen, dass im Kreis unserer Bekannten ein Unglück passiert sein musste. 

Als sie mit Tränen in den Augen in die Küche kam, sah ich sie deshalb nur fragend an. "Walentina aus Kagarlyk!" sagte sie schluchzend. 
Es dauerte eine Weile, bis wir die ganze Tragweite des katastrophischen Geschehens erfasst hatten. Walentina, eine bis dahin zutiefst lebensfrohe Frau, liegt im Krankenhaus. Der Partner ihrer Tochter, welcher das Auto gelenkt hatte und seine junge Frau neben ihm sind tödlich verunglückt, die Oma mit dem zweijährigen Enkeltöchterchen in kritischem Zustand. Das Ausscheren in den Gegenverkehr endete mit einem Frontalzusammenstoß. Der Überlandfrachter war stabiler.

Walja hat einen Sohn mit sieben Monaten verloren, einen anderen mit 17 Jahren und zwei Ehemänner nacheinander als Opfer von Verkehrsunfällen begraben lassen müssen. Die unerklärliche Häufung dieser Ereignisse in einer Familie ist beängstigend. 

Was macht dieses Ereignis für mich bemerkenswerter als andere? Die Welle der Hilfsbereitschaft - ich nenne sie für mich "das psychologisch noch warme Klima" in diesem osteuropäischen Land Ukraine. Alle Studienkollegen, welche Natascha anrief und informierte, fragte sofort danach, an wen sie Spendengeld für die arme Frau überweisen könnten. Eine ehemalige Studienkameradin aus der Fachschule für Bautechniker, die relativ nahe wohnt, ist heute in der Frühe die rund 25 km gefahren, um Walentina nahe zu sein. Sie kümmerte sich auch schon um die Formalitäten der heutigen Beerdigung. 

Natascha wird in einigen Minuten mit unserem Auto nach Kagarlyk fahren. Sie hat den Auftrag, ein Brautkleid zu kaufen und mitzubringen. Hier ist es unter anderem üblich, dass eine junge Frau, die nur in Lebenspartnerschaft lebte, in einem Hochzeitskleid beerdigt wird. Eine tote Braut im offenen Sarg... Für uns Mitteleuropäer doch ein etwas ungewohnter  Brauch.

Meine Gute habe ich mit dem Wunsch verabschiedet, sie möge besonders vorsichtig fahren. Denn wir beide haben vor, noch einige gemeinsame Jährchen zu durchleben. Mit frohen und traurigen Stunden wie heute. 

 Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger 





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