Im Trubel der
Ereignisse des „gewöhnlichen“ Alltags bleiben nicht immer die Pausen für einen
Blogpost übrig. Aber das Leben besteht nicht – auch wenn viele sich das
wünschen – nur aus Spaß und Höhepunkten.
Wie der deutsche Dichter B. Brecht
formuliert: „Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns. Vor uns liegen die Mühen
der Ebenen.“ Mit anderen Worten: die interessante, abwechslungsreiche
Landschaft der Vergangenheit mit dem Kampf um jeden kleinen Gipfel wird durch
die eintönige der Ebene abgelöst, als welche sich die Zukunft mit ihrer täglichen
Routinearbeit darstellt. Darin nicht den Mut zu verlieren, das geringfügig
Besondere aufzuspüren, welches die Mühe lohnt – das ist die Aufgabe eines jeden für sich selbst.
Oder, wie es Johann
Wolfgang von Goethe sagte: „Wahrheitsliebe zeigt sich darin, dass man überall
das Gute zu finden und zu schätzen weiß.“ Dennoch beginne ich mit etwas
Betrüblichem.
Am vorletzten Tag in der ambulanten Rehabilitation zog ich mich
nach den Übungen um, als ein unweit stehender, äußerlich gesund aussehender
junger Mann befriedigt sagte: „Die Woche ist zu Ende.“ Zu meiner Bemerkung,
dass für mich der kommende Montag das Ende aller Prozeduren wäre, sagte er fast
beiläufig: „Bei mir geht das noch lange weiter – vielleicht das ganze Leben.“
Auf meine erstaunte Frage erfuhr ich, dass der gelernte Dachdecker bei einem
Arbeitsunfall mit dem Rücken auf ein Treppengeländer gestürzt war. Man hatte
seinen Eltern gesagt, dass er kaum aus dem Koma erwachen würde und bei den
schweren Wirbelverletzungen wahrscheinlich nur noch geringe Lebenserwartung
hätte.
Jedoch haben gute Gesundheit vor dem Unglück, sein Lebenswille und die
Kunst der Ärzte sowie die Mühen des Pflegepersonals nach über einem Jahr
Krankenhaus dazu geführt, dass er lebe und sehr langsam wieder begrenzt
beweglich würde. Ich wünschte ihm das Beste beim Abschied.
Entsann mich des
Spruches von Jean de la Bruyère: „Beim Anblick eines gewissen Elends empfindet
man eine Art Scham, glücklich zu sein.“ Meine gewisse Unbeweglichkeit nach der Knieprothesenoperation
konnte mir trotz meines vorgerückten Alters als fast unbedeutend neben dem
Schicksal des jungen Mannes erscheinen.
Außer ihm hatte ich in den drei Wochen
der ambulanten Rehabilitation so viel menschliches, gesundheitliches Leid
gesehen, aber auch so unaufdringliche Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft,
dass ich meine: viele der Gesunden sollten nur etwas mehr Einfühlungsvermögen
entwickeln. Damit wären sie zufriedener mit ihrem Schicksal und den Behinderten
echte Mitfühlende.
Nun zu den kleinen Freuden des Alltags, von denen Robert
Browning sagt: „Jede Freude ist ein Gewinn und bleibt es, auch wenn er noch so
klein ist.“
Als ich mich am Nachmittag meines Abschlussmontags in Berlin von Svend
C., dem Fahrer des Zubringerdienstes, verabschiedete, war es uns beiden
angenehm, in dem Anderen einen aufmerksamen und ausreichend humorvollen Gesprächspartner
für drei Wochen gehabt zu haben. Erfreuliches, gemischt mit etwas Wehmut.
Danach
musste ich etwas später mit dem Linienbus drei Stationen fahren. In dem bot mir
ein junges Mädchen spontan ihren Platz an, den ich freudig dankend annahm. Es
gibt sie doch, die Jugendlichen mit gutem Herzen und Einfühlungsvermögen.
Als
ich am folgenden Morgen den jungen Mann mit dem schmucken Husky traf, ging der
Hund, den ich schon einmal streicheln durfte, direkt auf mich zu. Das nahm ich
als Aufforderung, kraulte ihm nach Begrüßung des Herrchens Kopf und Ohren. Als persönliche
Auszeichnung nahm ich danach die Geste des etwa 25-jährigen Burschen entgegen,
der mir wortlos, aber lächelnd auf meine
linke Schulter klopfte. In etwa: „Es ist gut zu merken, Opa, dass du Tiere
magst.“
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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