Weil die Heimkehr
in die Ukraine nach sechs Wochen Abwesenheit einige Anforderungen an mich hier brachte,
habe ich die Beschreibung einer positiven Erfahrung aus der Zeit in Berlin
eigentlich zu lange aufgeschoben. Sie ist für mich aber so bemerkenswert, dass
ich sie heute „nachreichen“ will.
Wer unterschiedliche Operationen oder Unfälle
hinter sich hat, kann unter normalen Bedingungen in der Heimat stationäre oder
ambulatorische Rehabilitation verordnet bekommen. Nach meiner Knieoperation
(siehe in diesem Blog den Post „Positive Verspätung“) wurde mir wegen der Nähe
meiner Wohnung zu dieser Einrichtung die Reha-Station ZAR (Zentrum für
ambulante Rehabilitation) in der Gartenstraße von Berlin angeboten. Ich nahm
an. Die Entscheidung war gut – auch wenn ich zuvor im Internet zum ZAR
Gartenstraße einige abfällige Bemerkungen lesen durfte. Ein Kommentar kommt
später.
Für Gesunde bzw. für meine Leser: der Patient wird in der Regel drei
Wochen lang zu einem verabredeten Zeitpunkt meist pünktlich zuhause abgeholt
und hat anschließend das Vergnügen, mit den anderen Insassen des
Krankentransportfahrzeugs die Straßenführung des Stadtbezirks täglich neu zu
betrachten.
Besonderheiten für den Fahrer: aus Versicherungsgründen dürfen die
Patienten Türen weder selbständig öffnen noch schließen. Obwohl manche, vor
allem zu Beginn der Rehabilitation, dazu kaum in der Lage sind. Vielen von
ihnen muss er beim Ein- und Aussteigen lange Zeit behilflich sein. Für
Rollstuhlfahrer gilt das selbstverständlich immer. Diese haben ein Vorrecht –
wenn sie nicht extrem weit weg wohnen, werden sie gewöhnlich bei Schluss der
täglichen Reha-Prozeduren als erste nach Hause gebracht. Die Arbeit der Kraftfahrer
wird ab und an dadurch erschwert, dass eine oder einer der Patienten erkrankt
oder andere wichtigen Verabredungen wahrnehmen muss. Daran erst an dem Morgen
denkt und beim Anruf unseres Svend Calenda vom Handy, dass wir in zehn Minuten
bei ihm seien, mit der Antwort kommt, er würde heute nicht mitfahren. Dann
ändert sich kurzfristig die Streckenführung. Oder auch, wenn plötzlich
Baumaßnahmen oder Unfälle Staus hervorrufen.
Den plötzlichen Ausfall eines
Fahrers will ich nicht erörtern. Denn dafür steht als Beispiel die ernsthafte
Erkältung eines Massagespezialisten. Als ich eines Morgens zur Anmeldung kam,
drückte mir die Diensthabende einen neuen Plan in die Hand. Meine Lymphdränage
(eine spezielle Massage) fiel deshalb aus, eine andere Prozedur war an deren
Stelle eingeschoben. Dadurch ist meine Schwellung am linken Unterschenkel erst
später vergangen, als mir angenehm war. Nur kann sich die Einrichtung für einen
solchen Fall keinen Masseur in Reserve halten – das sollte jeder verstehen. Als
ich diesen Standpunkt einer wegen der exakten Planänderung laut meckernden
„Dame“ anbot, war diese uneinsichtig.
Kommentar: Von einer solchen Art
Patienten stammen dann die negativen Beurteilungen der medizinischen
Einrichtungen im Internet. Dort können sie anonym schimpfen – ohne
Verantwortung zu tragen. Feige – oder gar hinterhältig. Meine ich.
Lustig war
zwei Tage später die Begegnung mit der dennoch vorhandenen Vertretung des Masseurs.
Sie reichte mir unzeremoniell die Hand. „Teresa.“ Die Bemerkung, dass sie nicht
nach der Mutter gleichen Namens aussähe, verkniff ich mir. Es stellte sich
heraus, dass die 29-jährige Studentin der Medizinpädagogik bei Erfordernis im
ZAR aushilft. Sie ist im erlernten Beruf Masseuse. Allerdings kann sie nicht
sofort kommen, muss die außerplanmäßige Arbeit mit ihren Studienverpflichtungen
abstimmen.
Eine andere Besonderheit: ich hatte eigentlich keine Lust, am
Seminar „Sport und Bewegung im Alltag“ von Herrn Jirka teilzunehmen. Weil ich
selbst sehr aktiv lebe. Aber das war eine Unterschätzung des Mannes. Er begann
damit, dass er fragte, was im Leben denn ständig eine sportliche Anforderung
sei. Seine eigene Antwort war, dass ein jeder Übergang an einer Ampelkreuzung
mit der eigenen Geschwindigkeit von 4,7 km/h ungefährdet zu überwinden sei. Vor
allem ältere Personen sollten deshalb täglich „trainieren“, um in diesem
Wettbewerb nicht zu unterliegen. In dieser Art ging es weiter. Noch nie habe
ich zu den gewöhnlichen, alltäglichen Anforderungen an unseren Körper einen so
interessanten, psychologisch gründlich unterfütterten Vortrag gehört. Dazu mit
Humor gespickt und von einem Talent in der Kommunikation zeugend.
In der von
ihm mit betreuten Abteilung Sporttherapie bekam ich eine höfliche Lehre in
Disziplin. Weil ich aus eigenem Antrieb meine Übung auf dem Belastungsfahrrad
um 15 Minuten und die auf dem Laufband um zehn Minuten überzog, sagte mir die
betreuende, meine Nachweise prüfende Betreuerin ganz ruhig: „Gut, dass sie das
vor ihrer Mittagspause machten. Auch wenn das für sie vorteilhaft ist – bitte
denken sie an unsere Planung. Die Geräte sind gewöhnlich alle zeitlich genau
ausgelastet. Sie können mit ihrer Initiative unsere gesamte Planung und die der
anderen Patienten durcheinander bringen.“
Diese Kopfnuss hatte ich verdient…
Mit welchem Recht hatte ich unüberlegt in Abläufe eingegriffen, die recht
sorgfältig und für das Wohl der Betreuten kombiniert in Art und Dauer
ausgerichtet sind? Zu meinem Glück war in der begonnenen Mittagszeit die Auslastung
der Abteilung so gemäßigt, dass ich keine negativen Folgen verursacht hatte.
Aber Recht hatte die junge Frau doch. Von uns nicht ausreichend überlegten
Handlungen führen in manchen anderen Fällen zu Katastrophen und heißen dann
„menschlicher Faktor“.
In einem ungerechtfertigten Kommentar zum ZAR
beschwerte sich der Schreiber darüber, dass nach seiner Auffassung ihm beim
Beginn der Reha nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die Betreuer,
einschließlich der Ärzte, haben doch vor Festlegung der erforderlichen
Prozeduren die Diagnosen der überweisenden Ärzte zur Kenntnis genommen. Also erübrigen
sich außer einigen spezifischen Fragen lange Gespräche. Wer jedoch mehr will,
darf gern seinerseits Fragen stellen. Ich erlebte, dass mir bereitwillig und
sachlich geantwortet wurde.
Niemanden aus der Reha beneide ich um seine Arbeit –
sie ist mit den zumindest anfänglich nicht immer verständnisvollen Personen
kompliziert. Auch körperlich schwer mit den an den Rollstuhl gefesselten
Menschen oder sonst stark Behinderten. Da ist die angenehme Atmosphäre mit der sehr
persönlichen Hinwendung zum Patienten, die vorsichtige Berücksichtigung seines Befindens
und die gewisse Heiterkeit in Umgang mit Kollegen und Patienten beispielgebend.
Ein für mich bei mir und anderen wünschenswertes Verhalten im Alltag.
Allen
auch an meiner endgültigen Rehabilitation Beteiligten auf diese Weise ein
großes Dankeschön!
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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