Am zweiten Tag der
Montage stellte sich heraus, dass zwischen Käufer der Maschine (einem
Vermittler) und Empfänger (Fabrik) aus unklaren Gründen keine echte Kooperation
bestand. Eine Reihe im Kaufvertrag fixierter technologischer Anforderungen war
nicht bis zum Leiter der Werkhalle durchgestellt worden. Als Beispiel: ein junger
Mann lief schon am Vortag mit einer Skizze umher, auf welcher er uns
einzuzeichnen bat, wo wir die Maschine platzieren wollten. Natürlich sparten
wir mit Raum. Denn dass der Hallenkran alle Bereiche erreichen könne, setzten
wir voraus. Der aber konnte an dem Rand, wo das Maschinenbett schon fixiert
war, seiner eingekürzten Kabel wegen etwa zwei Meter nicht ausnutzen. Das machte
die Montage des so genannten „Maschinenkopfes“ problematisch. Mit vereinten
Kräften auch vieler russischer Kollegen und einigen erstaunlichen Tricks
erfahrener Maschinenbauer war gegen Abend das Bearbeitungsteil an seinen Platz
gehievt und sicher genug befestigt.
Mir war an diesem Tag nach einem etwas
heftigen Gespräch mit dem Vertreter des Käufers klar geworden, dass dieser etliche
wesentliche Bedingungen des Vertrages nicht kannte und wir deshalb wegen einigen
Voraussetzungen doch sicherheitshalber beim Nutzer nachfragen sollten.
Gewöhnlich waren
bei anderen Einsätzen schon bei der Montage die späteren Bediener dabei
gewesen, um ihre Maschine gründlich kennen zu lernen. Hier fehlten diese
Männer. Für den Probebetrieb und auch die spätere Produktion mussten für zwei
separate Kühlsysteme unbedingt 250 Liter destilliertes Wasser in zwei Tanks
gefüllt werden. Zur Führung von langen Grundmaterialien sollte hinter der
Maschine durch den Anwender ein nicht vom Hersteller mitzulieferndes Rohr
aufgestellt werden. Beide Fragen klärte ich mit dem Hallenchef, der von diesen
Anforderungen nichts gewusst hatte. Er sorgte sofort für die zweckmäßigen Einkaufs-
bzw. Fertigungsaufträge.
Wir aber hatten weder Zeit noch Lust, den
Informationsverlust aufzuklären. Und ich hatte mich nur eingemischt, weil ich
die gesamte vor uns stehende Aufgabe
erfolgreich hatte abschließen wollen – auch wenn ich nur der Dolmetscher war. Aber
es stand im Ausland die Ehre eines deutschen mittelständischen Unternehmens auf
dem Spiel.
Am dritten Tag kamen die Operatoren mit an die Maschine. Es konnte trotz einiger Schwierigkeiten mit Hilfe
eines extrem bereitwilligen russischen Elektrikers, der einst in der DDR als
Soldat gedient hatte, die elektrische und elektronische Installation
abgeschlossen werden. Nachmittags wurde das benötigte Kühlwasser geliefert, Druckluft
angeschlossen, das erforderliche Stahlrohr auf Stelzen hinter der Maschine
aufgestellt.
Mit dem Vertreter des Käufers hatte ich erneut einen Disput, als
er die die Betriebs- und Wartungsvorschrift in Russisch schriftlich und
elektronisch anmahnte. Der Vertrag sah keine konkrete Form vor. Ich berief mich
darauf, dass die Leute an der Maschine etwas Schriftliches benötigten, das von
uns geliefert worden war. Sein Argument: das lässt sich aus einer Datei drucken.
Wir einigten uns, dass die elektronische Version an seine e-mail-Adresse kommen
würde.
Am späten Nachmittag wurde die
Funktionsprobe ein voller Erfolg. Die Bedientafel wechselten wir danach gegen
eine mit kyrillischen Buchstaben – anschließend haben wir als erste Unterweisung
der Bediener ein Probewerkstück begonnen. Weil kurz zuvor der eigentliche Abnahmeingenieur
des Käufers eingetroffen war, haben wir dem Folgetag optimistisch
entgegengesehen.
Am vierten Morgen setzten wir die Unterweisung der sehr wissensdurstigen
Bediener fort und beendeten das Probestück. Der Abnahmeingenieur konstatierte,
dass es in Qualität und Fertigungszeit (Produktivität) den in Erfurt gezeigten
entsprach. Beide Verantwortlichen entfernten sich, um die gelungene Abnahme zu
dokumentieren.
Wir begleiteten bei fast völliger Selbständigkeit der Bediener
den vollen Produktionsprozess des ersten für das Unternehmen des Nutzers gefertigten
Werkstücks. Beantworteten dabei und danach die Fragen der Operatoren. Verabschiedeten
uns abends herzlich und dankbar von allen unseren Helfern.
Der Busfahrer des
Kleinbusses nannte uns die Abfahrzeit am frühen Morgen. Die Abfertigung am
kleinen Flughafen Bugulma war etwas ungewöhnlich, aber unter Einhaltung aller
Sicherheitsvorschriften. Erneut startete die kleine Bombardier-Maschine auf
einer leicht verschneiten Piste. Mit disesem Flugzeug landeten wir gegen 9 Uhr in Moskau-Domodedowo. .
Über die netten Worte der Dankbarkeit für meine Umsicht von den Kollegen zum
Abschied freute ich mich besonders.
Da ich ohne Schwierigkeiten ein Bahnticket Moskau-Kiew
bekam, war ich rund 24 Stunden später gut ausgeschlafen dort auf dem Hauptbahnhof, wo mich Natascha
erwartete.
Die unerwartete Fernfahrt hatte ihr glückliches Ende gefunden.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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