Diesen folgenden Satz werden meine Leser häufiger sehen können. Der Robert Browning schrieb: „Jede Freude ist ein Gewinn und bleibt es, auch wenn er noch so klein ist.“ Wenn er so formuliert, drückt das doch aus: „Nimm die Freuden des Lebens, wie sie kommen. Verachte auch die kleinen nicht. Sie machen in ihrer Summe viel aus.“
Hier einmal meine Aufrechnung –
nur für eine Woche.
Es
begann damit, dass bei Petroiwanowka, wo wir zu Besuch und am Fluss waren, eine
junge Uferschwalbe bei ihren Flugversuchen verunglückte. Sie zappelte im Wasser
um ihr Leben. Eben davor war der zweite, nicht lebensgefährliche kleine Unfall
passiert. Meine Frau Natascha war auf einem etwas größeren Stein abgerutscht und
mit mächtiger Bugwelle auch im Wasser gelandet. Sie machte sich auf, das
Schwälbchen zu retten. Das gelang. Nur was mit dem Vögelchen tun? Es am Ufer
aussetzen könnte bedeuten, dass ein anderes hungriges Tier dieses ums Leben
bringen würde. Also gut trocken verpackt und mit heimgenommen. Es fand sich ein
kleiner Käfig, in welchem das nasse, erschreckte und auch müde Tierchen
übernachten konnte. Es war kein „Gelbschnabel“ mehr – lehnte aber Würmer und
gefangene Fliegen ab. Ersteres hatte ich vorausgesagt – Schwalben aller Art
sind reine Insektenfresser. Die Fliegen waren wahrscheinlich nicht
„schnabelgerecht“ angeboten worden. Am folgenden Morgen ein regelrechter
„Senkrechtstart“ des Schwälbchens – wieder ein Tier auf der Lebendliste bewahrt
…
Der
Besuch am Fluss hatte noch ein Rededuell mit sich gebracht. Mein Stiefsohn
meinte in dessen Verlauf, ich hätte bisher nur nicht genügend Willen
aufgebracht, eine für mich passende Lösung zu finden. Schon längere Zeit bin
ich im Sommer vom Baden ausgeschlossen. Die mich vor Thromben schützende
Elastikhose ist nur mit einer „Einstieghilfe“ anzuziehen – ausziehen ist auch
nicht leicht. Wenn die Beine feucht sind, wird das noch schwieriger. Also:
verzichten, um zu leben.
Während
unserer Heimreise überlegte ich. Der Junge hatte etwas angestoßen – auch wenn
das erst unangenehm geklungen hatte. Biomechanisch sind doch meine Füße bei
jeder Bewegung so „beschäftigt“, dass in den dort vorhandenen Venen mir eine
Thrombenbildung sehr unwahrscheinlich erscheint. In Unter- und Oberschenkeln
ist das schon ungünstiger. Die Lösung: die Füßlinge abschneiden, in Zukunft
solche Hosen gleich ohne die bestellen - sie sind ja im Angebot.
Am
folgenden Morgen gesagt – getan. Schon das Anziehen der verkürzten Beinkleider zwar
kein Genuss, aber viel angenehmer als bisher. Dann in Sandalen ohne Socken zum
Fluss – lange entbehrtes angenehmes Gefühl. Nach Überschreiten der Holzbrücke in
Sandalen wegen möglicher Splitter das Schuhwerk ausgezogen und barfuß weiter. Das irre
Berühren von Sand und Gras mit den nackten Sohlen versteht nur, wer diese
Bewegungen selbst lange erlebt hat. Nach 4 Kilometern „meine Bucht“. Ringsum
keine lebende Seele. Also alle Sachen ausgezogen und nackt ins Wasser – der
Hund mit mir. Endlich wieder Schwimmen!
Ein
Handtuch hatte ich nicht dabei. Die Kleidung in einem kleinen Bündel getragen –
und zum Abtrocknen etwa 500 m nackt über die Feldwege – bei herrlichem
Sonnenschein. Welch ein Genuss, ungetrübte Lebensfreude.
Auf dem
Rückweg ein erneutes Treffen mit Vitalij. Ein Mann aus der Zentralukraine, der
hier jährlich einmal in das Prophylaktorium zur Erholung kommt. Wir haben uns erstmals
vor drei Jahren unterhalten. Finden uns sympathisch und er freut sich immer
wieder bei einem Treffen – ich ebenfalls. Wir haben immer Themen zu diskutieren,
auf die er eine „Sicht von außen“ sucht. Nicht ständig einer Meinung – aber das
ist interessanter.
Am
Folgetag stieß Hund Kai unterwegs auf ein flatterndes Etwas, das sich zwischen
meine Füße flüchtete. Begleitet von einem durchdringenden Zetern. Die fast
flügge junge Drossel saß unbeweglich in dem engen Raum zwischen den nebeneinander
stehenden Füßen und schaute mich mit ihren schwarzen Augenperlen direkt an, während
die Mutter mich von ihrem Ast „beschimpfte“. Ich jagte erst den Hund etwas
weiter, bevor ich dem Vögelchen den Weg ins Gebüsch frei machte. Vogelmuttis
Stimme wurde viel leiser, als sie sich kopfüber zu ihrem Jungen stürzte.
Auf dem
Rückweg über die Holzbrücke Bewegung halb im, halb auf dem Wasser. Eine nur etwa
30 cm lange Ringelnatter war auf dem sehr langem Wasserweg zum anderen Ufer. Als
die von einem Paddelboot ausgehenden Wellen sie erreichten, schwamm sie
sichtlich schneller, um nach einer Weile wieder zum Kraft sparenden Stil
zurückzukehren. Ich ging absichtlich etwas langsamer, um ihre erfolgreiche „Landung“
am Ufer zu verfolgen. Im vergangenen Jahr habe ich beobachtet, wie ein großer
Fisch (wahrscheinlich ein Wels) eine kleine Jungente von der Wasseroberfläche
nahm. Ein Strudel – und weiter die Geschichte wie im Lied von den kleinen
Negerlein.
Gestern
nun bei etwas verspätetem Abmarsch von daheim ein Treffen mit Nikolai
Vitaljewitsch. Ein Mann aus der Nachbarschaft, der vor seiner Garage intensiv
fegte. Angesprochen darauf – nach dem Morgengruß, versteht sich – ergab sich
eine längere Unterhaltung. Er trug ein Sporthemd, auf welchem ein Emblem der
Fallschirmspringer eindeutig nachträglich aufgenäht war. Meine Frage
beantwortete er, dass er diesen Sport im zivilen Leben schon seit Jahren
ausübe. Der hätte früher zu seinem Beruf gehört.
So erfuhr
ich erstmalig, welchen interessanten, weitläufigen Nachbarn wir haben. Dieses Gespräch
wird weitergehen. Denn beide Seiten haben etwas zu sagen und zu fragen.
Wer will,
kann die kleinen Freuden sehen, hören und sogar riechen. Dazu sind die
Sinnesorgane bewusst „auf Empfang“ zu stellen. An dem Morgen kamen wir zweimal
an Gewächsgruppen vorbei, von deren Blüten ein die Umgebungsluft deutlich prägender
angenehmer Duft ausging. Es roch etwa so wie ein guter Blütenhonig. Und die
Welt um uns ist doch viel interessante als das meiste auf dem Bildschirm …
Abschluss
meiner Morgenfreuden bildete ein junger Hund, den sein Besitzer kurz vorher von
der Leine gelassen hatte, als sich unser Kai nicht für den interessierte,
sondern weiter heimlief. Der große Kleine roch offensichtlich noch nach
Hundekind. Das Tier kam direkt an mich heran. Ein dreifarbiger junger Alabai – die
Rasse ist mein Hundeschwarm. Man soll fremde Hunde nur nach Erlaubnis vom
Besitzer anfassen – aber hier konnte ich mich nicht bremsen. Wenn er mir
vertraut – dann ich ihm auch. Also streichelte ich das Tier, gleichzeitig dem
Herrchen meine „Entgleisung“ begründend. Er verstand.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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