Mit der
zweiten Arbeitswoche kamen erst einmal die „Elektriker“. Beide absolut ohne
Vorstellung davon, was die zeitweilige Arbeitsumwelt Ukraine bedeutet – aber mit
recht großen Erwartungen.
Der jüngere
von Beiden kam schon am nächsten Morgen auf mich zu. Ob denn alle Kellnerinnen
hier so unfreundlich wären wie die uns beim Frühstück bedienende Tatyana.
Ich
hatte schon in der abgelaufenen Woche erfahren, dass die wirklich sehr
ansehnliche junge Frau nur kurze Zeit in der Frühschicht arbeitete. Also musste
es bei ihr Probleme geben. Die zu erfahren konnte nicht meine Aufgabe sein. Aber
dem jungen Mann – und allen anderen, die mindestens 20 Jahre jünger waren – wollte
ich beweisen, dass richtiges Zugehen auf eine Frau diese etwas freundlicher
werden lässt. Also sagte ich ihr, als sie meinen Tee brachte, ob sie wegen der
Ausländer an den Tischen so ernsthaft sei. Ein „leises“ Lächeln verschönte
sofort ihr so schon hübsches Gesicht, als sie verneinte. Mein Tischnachbar
erfasste diese Änderung erstaunt. Ich setzte noch eins drauf. „Tatyana, sie sind
doch auch so eine reizende junge Frau. Dazu haben sie beim Lächeln so niedliche
Grübchen auf den Wangen. Warum setzen sie die nicht ein, um diese Herren hier
zu bezaubern? Damit die sich immer an die durch sie vertretene Ukraine
erinnern.“
Ab diesem
Morgen strahlte Tanya uns alle an, wenn wir nur zur Tür hereinkamen. Nicht auf „Befehl“
– sondern weil sie spürte, dass ein wenig Achtung vor ihrer Persönlichkeit und
auch ihrer Schönheit mit dabei waren.
Was zur
Arbeitsumgebung zu sagen war, steht im vorhergehenden Post. Die Kollegen Elektriker
ordneten sich sehr rasch in die Abläufe ein – ihre fachliche Kompetenz war für
mich besonders beeindruckend. Das brachte
aber für mich ab und an auch Hürden mit sich. Die „Entwöhnung“ von der
technischen Entwicklung im eigenen Fach spielte da ihre negative Rolle. Aber
mit ihrem Verständnis bekamen wir die Dinge schon hin.
Einmal allerdings
bekam ich von ihnen, milde gesagt, eine Rüge. Die ukrainischen Operateure für
die neue Technik waren besonders wissensdurstig. Sie kamen nicht selten, um
noch vor der Inbetriebnahme Fragen zum materiellen Teil ihres neuen
Arbeitsplatzes zu stellen. Ich war und bin geduldig. Allerdings muss man mir
schon überlassen, wo meine Prioritäten sind.
Der
deutsche Geschäftsführer war angereist. Ich musste noch einmal in meinen Laptop
schauen, um etwas aus dem russischen Teil des Vertragswerks aufzufrischen, denn
nach der Mittagspause sollte ich die Verhandlung der leitenden Männer
dolmetschen. Da kamen besagte Burschen. Ich bat sie, mit der Frage später noch
einmal auf mich zurück zu kommen. Aber junge, zielstrebige Kerle sind manchmal
erstaunlich hartnäckig. Da entsann ich mich auf meine militärische
Vergangenheit. „Stillgestanden! Kehrt marsch! An die Arbeit!“ – das wirkte
sofort. Meine Kollegen hatten die Lautstärke bemerkt und kritisierten mich – so
könne man sich hier als Partner nicht aufführen! Die Diskussion verschob ich –
denn der Geschäftsführer mahnte zur Verhandlung.
Geschäftliche
Verhandlungen mit bekannten Partnern haben eine besondere Note – man muss als
Dolmetscher verdammt aufpassen, zu übersetzen und nicht „zu kommentieren“ – was
mir schon schwer fällt. Denn beide Seiten wollen bei aller Freundschaft doch
auf das eigene Unternehmen zugeschnittene wirtschaftliche Vorteile erzielen.
Hier kommen keine Inhalte der Unterredung. Nur eine Bemerkung.
Der Chef
des ukrainischen Unternehmens sagte: „Wir wollen Durchsichtigkeit in den
gemeinsamen geschäftlichen Beziehungen. Die Bedingungen nicht nach der Variante:
„Hängen nicht begnadigen.“ Da ritt mich der Teufel. Ich antwortete wie aus der
Pistole geschossen: „Wir würden gerne das Komma setzen.“ Der Generaldirektor
bedachte mich mit einem erstaunt-achtungsvollen Blick.
Auf den
strafenden Blick meines Auftraggebers erläuterte ich ihm den Sinn des Gesagten.
Im Mittelalter hatten Gutsherren zwar Gerichtsbarkeit, aber nicht immer einen
Henker im eigenen Rechtbereich. Also wurde ein armer Teufel, der für seine
Kinder etwas vom Acker des Herren gestohlen hatte, verurteilt. Auf dem Zettel,
den der begleitende Büttel bekam, stand obiger Satz. Dem Wächter tat der Mann
leid – er setzte vor Erreichen der Stadt das Komma richtig, der Bauer kam frei.
In unserer
abschließenden Vereinbarung setzten beide Seiten das Komma in Übereinstimmung
an seinen Platz.
Und noch einmal musste ich laut
werden. Wir hatten in der Halle nach dem Auspacken und Einsatz des Autokrans eine
fast musterhafte Ordnung hergestellt und vor allem den Boden mit einem
Industriestaubsauger „stubenrein“ gefegt. Da kam ein junger Bursche auf einem
Gabelstapler, dessen Räder „eingesaut“ waren. Er sollte etwas in die Halle
bringen, aus ihr holen – vergessen. Ich stand in Tornähe und verwehrte ihm die Einfahrt.
Er meldete dies seinem Auftraggeber. Der kam sehr rasch und bat mich sehr eindringlich,
nur meine Aufgabe als Dolmetscher zu erfüllen. Ich erwiderte nicht gerade
leise, dass ich bei Ausscheiden aus der Armee meinen Helm, aber nicht meinen
Mut abgegeben hätte und Achtung vor unserer Arbeit erwarte. Die von uns blank
gewischten und leicht eingeölten Laufflächen an der Maschine müssten sauber
bleiben, um deren Funktion nicht zu stören. Ende der Diskussion war: der
Partner stellte große Plasteplanen zum Abdecken bereit. Wie man hier sagt: die
Wölfe waren satt und die Schafe heil.
Am Wochenende
erneut ein Spaziergang zum Basar – mit ähnlichen Erlebnissen wie im Post davor
geschildert. Allerdings standen wir plötzlich vor einem Denkmal. „Den Opfern aus
dem Gebiet Lugansk, umgekommen durch die UPA -Banden bis 1956“. Den Kollegen
musste ich ein wenig aus der in Westeuropa nicht so recht bekannten Geschichte
der Ukraine erzählen. Von dem „Partisanenkrieg“ in der angeblich so fest
gefügten Sowjetunion. Auch davon, welche politischen Auseinandersetzungen heute
toben um die Anerkennung der mit der SS-Division „Nachtigall“ verbundenen „Freiheitskämpfer“
aus der Westukraine – welche heute noch in Lwow geduldete Aufmärsche
veranstalten …
Zwei bemerkenswerte Kleinigkeiten
gab es außerdem. Ein neuer Kollege ist besonders eifriger Gärtner. Er sah deshalb
auch einen Pavillon mit Sämereien. Die Verkäuferin hatte wahrscheinlich schon
lange nicht mehr einen solchen Umsatz gemacht. Blumen für die Frau des „hellsichtigen“
Kollegen, zwei andere kauften für die Eltern vor allem Gemüsesamen. Es sei zu
sehen, dass hier noch keine Hybriden angeboten würden. Die etwa 15 Euro machten
ja rund 150 Hrywna aus. Für die Verkäuferin ein Erfolg.
Danach die
Frage, wo denn ein guter Wodka zu haben sei. Hier heißt es: „Die Zunge führt
bis nach Kiew“ – also fragen. Eine Verkäuferin riet mir dringend ab, den
Alkohol auf dem Basar zu kaufen. es gäbe da zu viel verfälschten. Auf der
Straße sprach ich einen älteren Herrn an, der uns anbot, mit ihm zu gehen. Unterwegs
versuchte der Biologie-Professor, seine Deutschkenntnisse aufzufrischen … Aber
wir haben uns weitergehend angeregt unterhalten. Als ich den Kollegen später
die Summe in Euro nannte, für welche dieser Spezialist hier arbeitet, gab es
wieder Kopfschütteln …
Wir bekamen
den „Schwarzen Panther“, den wir anlässlich des Geburtstags eines Kollegen im
Hotel gekostet und für gut befunden hatten. Auch einige andere Spezialitäten.
Wir
verabschiedeten uns voneinander am Vorabend ihres Abfluges. Denn ich musste nur
nach Kiew – also Start zu einem anderen Zeitpunkt. Mich nahm ein befreundeter Unternehmer
armenischer Herkunft schon ganz früh am Morgen mit nach Donezk. Zum Abschied
bekam ich Manöverkritik: „Vieles wäre ohne dich nicht so gut gelaufen.“ Das ist
die Freude beim noch- etwas-taugen!
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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