Auf der Geburtstagsfeier, im
vorigen Blog erwähnt, hat mein Stiefsohn ein erstes Mal mit meinem Bruder
Bekanntschaft gemacht, ihn mit Fragen gelöchert. Zu der kleinen Schleuse
zwischen Berste und Spree, welche mein Bruder mit Sachkenntnis und auch
gewisser Leidenschaft betreute. Zu den Tieren, die er mit Wissen um deren
Eigenheiten beobachtete. Bruder Ulli zeigte zum Beweis auf die ein Junges
führenden Kraniche, deren Köpfe über dem Schilfdschungel wippten. Beide Männer
fanden aneinander uneingeschränktes Gefallen.
Als ich am Montag, dem 24. Juni,
die Information von Ullis plötzlichem Tod bekam, gab es nacheinander sehr
aufbauende Ereignisse. Das erste – meine liebe Natascha. Die zweite – unser
Kater. Er verfolgte mich fast wie ein Schatten – wo ich lag, war er neben mir,
wo ich saß, war er auf meinen Knien. Etwa: „Lass mich dir helfen, Mensch, ich
spüre, dass es dir schlecht geht.“
Als Pavel abends von der Arbeit
kam, legte er mir nur etwa für eine Schweigeminute seine Hand auf meine
Schulter – ohne Worte. Dann richtete er ein bescheidenes Abendessen her. Auf
dem Tisch stand, als er mich rief, ein halbes Glas Wodka, bedeckt mit einer
Scheibe Brot – nach slawischer Art für den Verstorbenen. Ohne dass ich das
erbeten hatte. Seine Art, Anteilnahme zu zeigen.
Svetlana rief später über Skype
an. „Wird Siegfried kommen?“ Natascha bejahte. „Ich übernehme die Hälfte der
Flugkosten.“
Mehr brauche ich wohl nicht zu
erzählen.
Auf dem Kiewer Flughafen
Borispol lernte ich einen polnischen Unternehmer kennen. Dem ich eine
Kleinigkeit behilflich sein konnte. Janusz spricht sehr gut Russisch und ist im
Interesse seines Unternehmens viel in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion
unterwegs. Weil wir beide sehr offenherzige Personen sind, haben wir nicht nur
in der Business-Lounge miteinander gesessen (ich durch ihn eingeladen) und eine
Kleinigkeit verzehrt, sondern die Bekanntschaft im Flugzeug nach Warschau
fortgesetzt. Ich bekam beim Abschied seine Einladung, bei nächster Fahrt
Ukraine-Deutschland unbedingt ihn und seine Familie zu besuchen. Ein guter
Beginn der Abschiedsreise.
Die Trauerfeier war wahrhaft ein
würdiger Abschied von jenem Menschen, meinem jüngeren Bruder, der immer
aufrecht geblieben war, mit Humor und extrem hilfsbereit. Sowohl die Zahl der
Anwesenden als auch die schriftlichen Beileidsbekundungen waren mehr, als die
Familie erwartet hatte. Der Redner sprach mit Worten, die nicht abgedroschen
waren, über ein erfülltes Leben.
Als zum Abschiedsessen später darum gebeten wurde, vielleicht doch
einige charakteristische Erlebnisse mit dem Ehemann, Bruder, Freund oder Kumpel
zu erzählen, berichtete ich, womit er meine Entscheidung bestärkt hatte, die
Arbeit in der damals als unsicheres Land beschriebenen Ukraine aufzunehmen,: „Wenn
du denkst, dass die Leute da nur mit der Maschinenpistole Makarow hinter den
Bäumen auf Touristen warten, bist du blöd. Die müssen ihre Kinder ernähren,
säen und ernten, arbeiten. Denn Touristen ausrauben ist keine Erwerbstätigkeit
mit Zukunft. Die kommen einfach nicht mehr. Dann ist Sense.“ Eine überzeugende Argumentation
in seinem Stil.
Den doppelten Wodka, welchen ich
mir zu meiner kleinen Rede bestellt hatte, trank ich allein, stehend, auf das,
was mein Bruder Ullrich außer seiner Familie so geliebt hatte: auf das LEBEN!
Bleiben Sie
recht gesund!
Ihr
Siegfried
Newiger
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