Am Tag davor...

                Weil ich schon seit Jahren in der Ukraine lebe, wir aber noch nie gemeinsam auf der Krim waren, genauer: ich nie, wurde beschlossen, mich dorthin zu chauffieren. Damit ich die dortigen Sehenswürdigkeiten auch bewundern könne. Am Vortag der Reise war unser Hund schon aufgeregt. Erstaunlich wie Tiere fühlen, dass etwas vorgeht, was die gewohnte Ordnung durcheinander bringt.
                Der Morgenspaziergang am Tag davor war wieder einmal mit den „kleinen Wundern“ gespickt – wie ich die Beobachtungen nenne, welche mir Freude bereiten. Da schwamm ein Schoof Stockenten auf dem Wasser – mit der Entenmutter 8 schon recht große Jungenten, die vor einiger Zeit noch zehn gewesen waren. Es war nur zu spekulieren, wer unter den Räubern am und im Fluss zwei gefressen hatten. Nach etwa fünf Minuten eine weitere „Flotte“ – mit Mutter 11 kleine Jungenten. „Kinder einer späten Liebe“ – wie mein Jägerfreund Nikolai sie nennt Sie werden zum Herbst ausgewachsen und auch weniger sein…
                Auf einer Lichtung, in den leider unschönen Abfällen vom Picknick-Sonntag wühlend, vier Nebelkrähen. Zwei davon eindeutig Jungtiere. Immer wenn die Alten etwas Fressbares gefunden hatten, stellten sie sich mit hochgereckten Schnäbeln vor diese, um sich nach Nestgewohnheit füttern zu lassen. Allerdings blieben die Eltern hart. Sie veranlassten die „Faulenzer“ – nach menschlichem Verständnis – das gefundene „Futter“ selbst aufzuheben und danach zu schlucken.
                Eine ähnliche Situation beobachtete ich zwei Wochen davor. Zwar hatte ich die einst auf einer großen Eiche nistenden Raben hin und wieder gehört, aber am erwähnten Baum nicht wieder gesehen. Nun saßen die großen schwarzen Vögel mit ihrem Nachwuchs eben auf dieser Lichtung. Die Jungen durchliefen – wie die Nebelkrähen-Nachkömmlinge – die Lebensschule „Selbständig werden“. Unter Protest, mit hochgereckten Schnäbeln und den schon recht dunkel wie die Stimmen der Alten  klingenden Jammerlauten „Wir haben Hunger!“. Aber auch hier blieben die Eltern unerbittlich – wer fressen will, hat nach dem Ausflug aus dem Nest bitteschön auch etwas dafür zu leisten.
                Dann fanden wir auf dem Weg jeder seine von ihm zu identifizierenden Spuren – der Hund den Duft, ich die Späne, welche eindeutig ein einsamer Biber an einem Bäumchen mittleren Durchmessers am Ufer hinterlassen hatte. Das Tier hatte ich im Frühjahr auch kurz gesehen, aber gemeint, dass es abgewandert war.
                Den Abschluss auf dem Heimweg bildete ein Eisvogel. Ich konnte ihn auf dem über das Flachwasser ragenden Ast rechtzeitig sehen, um ihn nicht durch unvorsichtige Annäherung  zu stören. Sein Versuch, einen Kleinfisch zu erbeuten, ging ins Leere. Er flog ab.

                Auf den letzten 200 m vor der Brücke beobachtete ich, wie ein kleiner Junge aus einer fünfköpfigen Schar „seinen“ Fisch des Tages fing. Er bekam an seiner zwischen allen anderen ausgelegten Angel einen Biss. Nach dem Anschlag drillte er mit Mühe und unter den Anfeuerungsrufen der anderen eine gute Bleie – etwa ein Kilogramm schwer.  Als der Fisch mit gemeinsamer Anstrengung auf dem Ufer und im Kescher war, führte der Bengel fast so etwas wie einen Indianertanz auf. Ich erinnerte mich daran, wie wir vor fast 70 Jahre jeden unserer Fänge, die uns damals auch zu überleben halfen, mit sowohl innerer Freude  - aus dem Magen - und fröhlichen Rufen begrüßten…

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger




                

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