Es begann damit, dass meine Frau im Morgenrock nach unserer mit dem Hund Rückkehr von Spaziergang mich nachdrücklich bat, doch zum Basar zu gehen. Sie hätte Appetit auf Bigosch, wie meine Mutti das Kohlgericht nannte, welches Großmutter so extrem schmackhaft zubereitete. Diese war aus dem Stamm der Kaschuben, welche heute ähnlich wie die Sorben etwa in Deutschland, als polnische Bürger dort leben.
Der Auftrag gefiel mir. Weil Natascha mir dazu auch noch großzügig 200 Hrywna in einem Schein ausreichte (etwas über zehn Euro), ging ich zu Olgas Kiosk und kaufte eine Flasche Bier - zum Mitnehmen auf dem Rückweg. Vor allem aber, um kleinere Scheine zu haben, damit ich bei den Händlern auf dem Rynok nicht warten muss, bis dort jemand wechseln konnte.
Olga fragte, ob ich das Risiko einer Vorkasse nicht fürchte. "Wie das?" "Wenn mich plötzlich die Sklerose anfällt und ich nicht mehr weiß, dass sie noch ein Bier zu bekommen haben!" Wir lachten beide herzlich über den anderen Erwachsenen vielleicht nicht so lustig vorkommenden Scherz.
Aber wie hat unser klassischer Dichter Gotthold E. Lessing schon vor rund 250 Jahren geschrieben: "Lese
jeden Tag etwas, was sonst niemand liest. Denke jeden Tag etwas, was sonst
niemand denkt. Tue jeden Tag etwas, was sonst niemandem albern genug wäre, zu
tun. Es ist schlecht für den Geist, andauernd Teil der Einmütigkeit zu sein.“
Auf dem Basar bekam ich als erstes einen Witz zu hören, den ich seiner Wetter-Aktualität wegen weitergeben will. Anmerkung: hier wird akute Erkältung mit ORS abgekürzt - ich taufe sie um auf ZFA. Kommt ein Mann bei diesem Wechselwetter zwischen Spätherbst und Winter zum Arzt. Ihm tue alles und überall weh. "Sie rauchen?" "Abgewöhnt!" "Sie trinken viel Alkohol?" "Hab ich mir abgewöhnt!" "Und mit den Frauen...?" "Vor langem abgewöhnt!" Der Arzt schreibt in Großbuchstaben die Diagnose auf ein Rezept. Der Mann: "Was soll das - ZFA?" "Zu früh abgewöhnt."
Die Tatsache, dass der von Natascha über mich bestellte Schmand um 40 % teurer geworden ist, hat mit der Tragezeit der Rinder, folglich verringertem Angebot und der allgemeinen Teuerung zu tun. Auch die Räucherrippchen für den Bigosch sind 20 % teurer geworden. Wie vieles andere an den Ständen. Der Basar regelrecht verödet, weil die Kaufkraft der hauptsächlichen Käufer mit schmalen Renten durch die letzten ökonomischen Entscheidungen im Lande stark gelitten hat.
Während ich den Bigosch zubereitete, plötzlich ein lauter Schrei von Natascha aus dem Zimmer. Ich eilte besorgt zu ihr. Sie deutete auf den Fernseher. "Dein Lieblingslied!" Ohne zu fragen, was da lief, hörte ich von einem Mädchen gesungen das mecklenburgische Volkslied "Dat du min Lövsten bist". Letztmalig hörte Natascha die Melodie vor etwa 16 Jahren im ukrainischen sogenannten "Soldatensender", dessen Reporterinnen mich auf einer Nutzfahrzeugmesse interviewt hatten. Auf ihre Frage nach meiner Kindheit lobte ich unsere Mutti, welche mit uns vier Jungen an den Abenden ohne Radio und Fernsehen nach dem Krieg 1945 Volkslieder gesungen hatte. Auf die Bitte der beiden hin sang ich das Lied a-capella. Es wurde auch gesendet und viele unserer Freunde und Bekannten lobten später meinen "Mut" sowie meine Stimme. Natürlich freute ich mich, dass meine Gute das nicht vergessen hatte.
Als Letztes im Freudenbecher bis heute Mittag ein e-Mail von meinem ältesten Freund. Er hatte den ihm vor langem mitgebrachten ukrainischen Wodka mit Honig und einer Paprikaschote darin gemeinsam mit einem Seemann von Großer Fahrt probiert. Beide waren voll des Lobes und dankten herzlich für den Genuss.
Über das alles zu berichten macht auch Spass - vor allem dann, wenn Kommentare kommen.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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