Mit ihnen habe ich
jeden Morgen meine Begegnungen. Weil mein Aufstehen zeitlich früh und dennoch täglich
unbestimmt ist, treffe ich fast immer andere Frauen. Das geht von meinen
Altersgefährtinnen, die ihre miserablen Renten durch regelmäßigen Kleinsthandel
mit Gemüse, Blumen und Obst oder Eiern von wenigen hauseigenen Hühnern
aufzubessern versuchen über deren Töchter bis zu den Enkelinnen. Die beiden
letzteren sind meist auf dem Wege zu Arbeits- oder Studienplätzen. Aber sie
sind deutlich ansehnlicher als die netten Frauen meiner Altersgruppe.
Die mich –
die Blumenfrauen – in der vergangenen Woche fragten, wohin ich denn
verschwunden sei. Sie seien an meinen Morgengruß zum Morgenspaziergang schon gewöhnt.
Da berichtete ich von unserem Kurzurlaub in Odessa. Eine fragte – es waren + 14
Grad Celsius – ob mir denn in meinem ärmellosen Sporthemd nicht kalt sei. Da fragte
ich, ob eine Kurzantwort reiche oder sie eine Erklärung wünschten. Auf die
Bitte nach letzterer erzählte ich die wahre Geschichte.
Die Gebrüder Humboldt
waren vor etwa 200 Jahren in den mexikanischen Anden, im Herbst und etwa auf
einer Höhe von 2000 Metern. Ihr Bergführer, ein Indio, hatte Sandalen an den
Füßen, auf dem Körper nur den Poncho und auf dem Kopf einen Sombrero. Sie fragten,
ob ihm nicht kalt sei. Er antwortete: „Frieren sie im Gesicht?“ Die Brüder
verneinten. Darauf sagte er einen bemerkenswerten Satz: „Mein ganzer Körper ist
Gesicht.“ Auch ich halte viel von Abhärtung – mir sei nicht kalt. Sie nickten
verwundert. Eine sagte: "Sich mitihnen zu unterhalten ist schön. Sie erzählen immer so interessante Sachen."
Am selbigen Vormittag wurde ich Einkaufen geschickt. Das Paket mit
Futterfleisch hatte ich bereits in der Tasche, war auf dem Weg zum Basar. Da wollte
mir jemand von hinten die Tasche entreißen – wie mir das vorkam. Ich riss sie
zu mir, mich dabei umdrehend. Lachend stand Katja vor mir, die ehemalige Fischhändlerin.
Sie und ihr Mann hatten das Gewerbe aufgegeben, um sich ganz ihrer dörflichen
Wirtschaft zu widmen. Wir beide freuten uns über die unvereinbarte Begegnung. Sie
erzählte mir sofort – nach kurzem Austausch über die Gesundheit beider Familien
– dass ihre Tochter soeben das Visum für den Studienbeginn in England erhalten
habe.
Das fleißige und talentierte Mädchen hatte bei einem Wettbewerb sowohl
den Studienplatz als auch das dazugehörige Stipendium gewonnen. Sie würde im
September dorthin reisen. Dazu gratulierte ich der netten und ebenfalls klugen
Mutti herzlich. Bat sie, die mir aus deren Hilfe an Muttis einstigen
Verkaufsstand bekannten Lena herzliche Grüße und beste Wünsche zu bestellen. Wir
haben etwa eine halbe Stunde angeregt geplaudert.
Aus ihren Worten sonderte
sich für mich erneut die Erfahrung heraus: Eltern, die ihre Kinder verständnisvoll
arbeiten und mitdenken lehren, bereiten jene gezielt und sinnvoll auf das weitere Leben
vor.
Außerdem konnte ich Katja wahrheitsgemäß sagen, dass sie in ihrem
Sommerkleid vorzüglich anzusehen sei. Eine hübsche kleine Frau. Sie errötete
leicht, bedankte sich für das Kompliment.
Überhaupt sind unter den ukrainischen
Frauen sehr schöne, schöne, sehr hübsche und hübsche recht häufig anzutreffen. Das
hat etwas damit zu tun. dass die meisten in ihrer Ahnenreihe sehr viele
unterschiedliche Vorfahren haben. Erstaunlich scheint mir jedoch, dass
Schönheit nur auf der weiblichen Linie vererbt oder weiterentwickelt wird. Denn
die Anzahl gutaussehender Männer – auch junger – bleibt im Rahmen der in
Westeuropa anzutreffenden.
Allerdings fallen mir Frauen ja schon durch ein
gewagtes Dekolleté auf, durch einen geschickt geschlitzten Rock, eine schmuck
gemusterte Bluse, passende Frisur oder dichte lange Haare, gekonntes make up oder
einen malerisch angeordneten Schal. Vor allem aber durch anmutige Bewegungen. Damit
komme ich zu Irina.
Im vorhergehenden Post habe ich zu den Begegnungen mit
einigen Hunden geschrieben. Irina führt fast jeden Tag einen nicht dicken,
sondern muskulösen Rottweiler spazieren. An der Stachelwürge. Wie es scheint,
ein kräftiger Bello mit unberechenbarem Charakter. Wenn sie uns mit dem frei laufenden Kai kommen
sieht, geht sie hinter die Büsche auf den Randstreifen der Allee. Als ich mich
einmal für ihre Rücksichtnahme bedankte, erfuhr ich ihren Namen. Sie ist eine gut
gewachsene langbeinige junge Frau von etwa 25 Jahren, hat langes leicht
gewelltes schwarzes Haar. Dazu die anmutigen Bewegungen. Jeden Morgen, wenn
nicht ihre auch ansehnliche Mutter den Hund ausführt, für mich eine Augenweide.
Vorgestern hat sie mich zum Feiertag beglückwünscht – dem hier begangenen „Tag der
Mohnreife“ (makoweij). Weil ich nur wusste, dass es am zweiten Sonntag im
August gilt, den „Tag der Bauschaffenden“ zu feiern, habe ich mich bedankt mit
der Bemerkung, dass ich dank ihr nun meine Frau bei der Rückkehr zu zwei
Feiertagen würde beglückwünschen können. Was ich auch getan habe. Denn Natascha war Meisterin auf dem
Bau.
Bleiben Sie recht
gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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