Blutspur



Gestern früh gingen wir wieder einmal zum Fluss. Weil das Wetter von schneemild über feucht zu leicht frostig gewechselt hatte, war die Wanderspur leicht verharscht, an einigen Stellen unangenehm glatt. Unsere drei Kilometer zu überwinden dauerte fast zwei Stunden. Etwa 80 m hinter der Holzbrücke tobten miteinander drei große junge Deutsche Schäferhunde. Zu Füssen seines Herrchens saß außerdem ein Dackel. Offensichtlich nicht mehr gewillt, mit den etwas groben großen Hunden zu spielen. Unser Kai war vorausgelaufen. Mit seinen laufenden dreizehn Hundejahren, in der Umrechnung annähernd 85 Menschenjahren auch an den Spielen der Hunderüpel nicht interessiert, wehrte sich mit Knurren, Bellen und Kneifen mit den Vorderzähnen gegen ihre Aufdringlichkeit. Wir kamen so an der fröhlichen Meute vorbei, deren Besitzer mir einen Guten Morgen wünschten.
Als wir unseren Wendepunkt erreicht hatten, fiel mir in der nebligen Luft der Ruf von zwei Raben auf.  Sie klingen etwa eine Oktave tiefer als Krähen. Jedoch ist noch nicht Frühling. Wahrscheinlich sind sie zur „Kontrolle“ ihres Nistplatzes gekommen, unweit unseres Umkehrpunktes. Auf einer mir bekannten hohen alten Eiche.   
Anschließend meldete sich ein schmucker, aber ähnlich wie der Pfau mit unschön klingender Stimme ausgestatteter Vogel – ein Eichelhäher. Drinnen im Wald – es musste ihn jemand in seinem Revier gestört haben. So bringen erfasste Kleinigkeiten Informationen zu dem, der sie hören will.
Auf dem Rückweg sah ich, dass die Schäferhunde etwa 300 m vor uns heimwärts wendeten. Als wir dort angekommen waren, bemerkte ich plötzlich eine hellrote, kantig abgesetzte sternförmige  Blutspur im verharschten Schnee. Einer der drei Hunde musste sich an dem scharfkantigen Deckeis einer besonders harschigen Stelle verletzt haben. Ich betrachtete die Spur intensiver. Deutlich wurde für mich, dass das Blut aus einer Wunde an dem hinteren der fünf Ballen einer rechten Hinterpfote stammte. Nicht schmerzhaft, aber wenn ohne Aufsicht mit der Tendenz zur Entzündung. Weiterhin auf dem Rückweg fielen mir immer mehr Stellen mit der charakteristischen Blutspur auf. Einerseits kräftig, andererseits schwächer werdend. Aus deren Richtung wurde klar: der Hund musste sich dort verletzt haben, wo wir die Tiere hatten herumspringen sehen. Denn auf dem Weg nach daheim wurden die Blutsternchen immer schwächer. An der Stelle wurde klar: dort gab es einen relativ großen Fleck, auf dem viele Blutspuren wirr nebeneinander existierten. Wo die Besitzer ihre Gespräche geführt und die leicht ermüdeten Hunde offenbar gesessen hatten. Habe als Pfadfinder meine selbst gestellte Aufgabe erfüllt. Nicht unbedingt Freude – aber doch Genugtuung.

Dass die Unaufmerksamkeit für „Kleinigkeiten“ zu Unglück (Unfall) führen kann, bekam ich fast vor der Haustür bewiesen. Wie das der deutsche Humorist und Zeichner Wilhelm Busch formuliert: „Glück entsteht oft durch Aufmerksamkeit in kleinen Dingen, Unglück oft durch Vernachlässigung kleiner Dinge.“ Uns kamen eine Frau und ein Mann entgegen. Offensichtlich war dem etwa 70-jährigen Ukrainer das entgegenkommende „Paar“ interessant genug, um nicht vor die eigenen Füße zu schauen. So übersah er eine so gefährliche "Eisglatze", trat auf die und fiel uns sowie seiner Begleiterin vor die Füße.
Er reagierte – wie hier üblich – mit „unzensierbarer Lexik“ (wie man hier sagt – gemeint ist: fluchte nicht besonders fein) – und erhob sich mit Hilfe von Partnerin und mir ächzend.
Also vorsichtig sein im Winter – besonders uns Älteren.

Denn an anderer Stelle waren drei kleine Mädchen damit beschäftigt, eine kleine vereiste Fläche noch glatter zumachen. Eine Unfallstelle für uns Betagte zu schaffen. Mit Lärm und Gelächter. Ich sah ihre geröteten fröhlichen Gesichter, merkte mir vorsichtshalber die Stelle. Weil auch wir einst so waren. Dachte an die Worte von  Dante Alighieri: „Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die Augen der Kinder.“  

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





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