Verantwortung?


"Und handeln sollst du so, als hinge
von dir und deinem Tun allein
das Schicksal ab der deutschen Dinge –
und die Verantwortung wär dein!“

In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion – ob sie im Bestand Russlands verblieben sind oder selbständig bzw. unabhängig von ihr existieren – haben die Deutschen und Waren aus Deutschland bisher immer einen besonders guten Ruf besessen.
Unsere entfernteren Vorfahren, aber auch Großeltern und Eltern haben diesen Ruf in harter Arbeit mühsam erworben. Die heute lebenden Generationen sind dabei, sich dieses Image aktiv zu verscherzen. Ukrainische Bürger äußerten außer fast ungerechtfertigten Vorschusslorbeeren bisher nur Beispiele, wie sie deutsche Wirklichkeit positiv erfahren haben. Dann schmerzten besonders solche Bemerkungen zu Ereignissen und Zuständen wie: dass es so etwas bei euch gibt, hätten wir nie vermutet.
Nun bin ich betroffen – genauer: wir sind von unangenehmen Tatsachen direkt betroffen worden. Und erwarten kritische Bemerkungen der Partner – die in ein Produkt aus Deutschland nicht wenig Geld investiert haben.

Am 29.05.2012 traf ich zwei deutsche Männer im besten Alter auf dem Kiewer Flughafen Borispol, um sie als Sprachmittler nach Lugansk zu begleiten. Die beiden sind aus den „neuen Bundesländern“ – wir hatten also keine besonderen Vorurteile abzubauen, was unsere Auftrags- und Gastgeber betraf. In die ostukrainische Großstadt hatte das mittelständige deutsche Unternehmen, in dessen Auftrag wir reisten, eine Spezialmaschine geliefert. Die sollte aus den angelieferten Baugruppen zusammengesetzt und eingefahren werden.

Zur Vorstellung einiger Größen und der Komplexität des ganzen Spezialgeräts folgende Informationen: Länge 16 Meter – also etwas länger als 3  hintereinander geparkte Mercedes-Limousinen, Breite etwas über  2 Meter, Höhe bis zu 3,5 Metern, knapp 20 Tonnen schwer. Zwischen den Teilen des sehr massiven Rahmengestells 14 Hochleistungs-Elektromotoren, Getriebe, Sensoren, Ventile …  

Wenn ich weiß, dass ich für einen Exportauftrag arbeite, bin ich besonders sorgfältig – sollte man denken. Alle Kollegen des Zulieferers für die Blechteile, verantwortlich auch für die Vormontage sowie die Verpackung nach dem Probelauf in Deutschland waren darüber informiert, dass sie am Exportauftrag beteiligt sind. Der relativ kleine Betrieb befindet sich seit jeher in den „alten Bundesländern“.

Beim Auspacken schon der „Anbauteile“ durch uns eine erste Schwalbe: in einigen Holzkisten fanden wir Zigarettenkippen. Nur gut, dass die Hilfskräfte des Auftraggebers nicht in der Nähe waren. Ihr Trugbild vom „ordentlichen deutschen Exporteur“ wäre da sicher ins Wanken gekommen.

Als die formschlüssigen Gestellbaugruppen montiert wurden – auf 32 runde Platten abgesetzt und horizontal wie vertikal exakt ausgerichtet – gab es die nächste Überraschung. Zwei der großen Verstellschrauben für diese „Füße“ waren nicht da! An ihnen waren noch in Deutschland die Gewinde nachzuschneiden gewesen – sie wurden „nur“ nicht wieder beigelegt. Solch ein Vergessen könnte man noch vergessen, wenn mir nicht noch anderes begegnet wäre. Etwas, das mit „beruflicher Ehre“ zusammenhängt.
In meiner Grundausbildung „Metallverformung und Metallbearbeitung“ während meiner Ausbildung zum Techniker in der DDR habe ich gelernt, dass bei metallischen Produkten, an denen durch die Bearbeitung scharfe Kanten (Grate) entstehen, ich, der Verursacher, die Stücke zu entgraten habe. Zwei Gründe: damit bei unvorhergesehenen Berührungen ich selbst mich nicht verletze und – was zur berufliche Ethik gehört – damit sich kein Kollege, der daran weiter arbeiten soll, verletzt. Denn diese Stellen sind unangenehm reißend scharf.
Einer meiner Kollegen hier scherzte bitter: „Da brauchen die Elektriker keine Kabelmesser. Die können die Isolierung gleich am Kanal durchschneiden.“

Zurück zur Situation: da ich Arbeiten erledigen durfte, welche keine spezielle Vorbereitung erforderten, säuberte ich die großen Kabelkanäle von Staub. In ihnen verlaufen alle Kabel für Stromversorgung und Steuerung aller Stellmotoren. Die „Blechner“ haben an vielen von denen technologisch erforderliche rechteckige seitliche Öffnungen gelassen (herausgeschnitten). Die aber nicht entgratet! Mein mir von den Massenmedien mühevoll aufgezwungenes „Vor-Bild“ von den „überwältigend qualifizierten Berufstätigen aus dem Westen“ geriet sofort aus den Fugen …

Auf einigen schlecht bis miserabel lackierten Blechen aus dem ständig sichtbaren Bedienbereich deutliche Dellen – dort, wo beim Bohren der Befestigungslöcher keine Unterlage verwendet wurde, sondern der Bohrkopf nach Durchdringen des Bohrers auf das Bleck knallte. Dafür waren auch die Bohrlöcher an der Unterseite ebenfalls nicht entgratet. Vielleicht nach der Überlegung: „–„ mal „–„ ergibt ein dickes „+“ …

Wir haben insgesamt 12 Beanstandungen gefunden, welche wir mit beruflichem Geschick ausmerzen konnten. Nur: die währen bei gewissenhafter Arbeit – siehe „GEWISSEN“ – vermeidbar gewesen …

Das Ergebnis dieses ungeplanten Test`s: auch im „Westen“ wird nachweislich gepfuscht … Bitte, liebe Leser, reagieren Sie nicht gleich mit verärgerten Briefen – selbst wenn Sie persönlich täglich die DDR-Losung verwirklichen: „Meine Hand für mein Produkt!“.

Streit bringt allen Seiten nichts. Die Pfuscher haben aber eins erreicht: sie werden deutsche Interessen im Ausland nicht weiter vertreten können. Die Firma kommt nicht mehr in die Ausschreibung, also an keine Aufträge zu dieser Art Technik. Die Sicherung von Arbeitsplätzen lässt sich auch von denen unterminieren, die zurzeit noch solche haben …

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger



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