Seit rund drei Wochen war ich weg vom Internet-Fenster. Weil die Vorbereitung, Durchführung und Nachsorge meiner Knieoperation Zeit verschlangen und die Netzanbindung nicht klappte.
Wer ist Dr. Meyer?
Das
Treffen mit diesem Orthopädie-Chirurgen war lange schon, wenn auch nicht von
mir geplant. Vor etwa rund 44 Jahren.
Zwei Wegeunfälle in Moskau. Der erste
geschah auf Flughafengelände. Wir waren im Juli 1971 per Flugzeug aus Krasnodar
vom Werkspraktikum gekommen. In der schon abgedunkelten Einlass-Halle hatte
jemand auf dem an sich schon glatten Protz-Marmorboden wahrscheinlich Speiseeis
verkleckert. Ich rutschte aus, knallte mit dem linken Knie auf den Fußboden.
Nach dem Aufstehen verspürte ich keinen Schmerz. Erst am nächsten Morgen fühlte
ich den sehr umfangreichen Bluterguss.
Die Entscheidung des Allgemeinmediziners:
der Militärstudent wurde in das Zentrale Lazarett der Sowjetarmee, das berühmte
Burdenko-Krankenhaus eingeliefert. Dort legte der Oberst im Medizinischen
Dienst Viktor Wassiljewitsch Tsherkaschin nach dem Röntgen eine Drainage, das
Blut aus dem Erguss abzuleiten. Anschließend durfte ich eine Weile liegen,
damit das Knie seine gewöhnliche Form wiederbekam. Soweit das bei einer mittig
wie ein Sportkeks durchgebrochenen Kniescheibe möglich war. Darauf wurde mir
ein sogenannter Gehgips angelegt – ein fester Verband bis hin zum Oberschenkel.
Im Anschluss erlaubte man mir, in Jahresurlaub zu fliegen. Gab mir dazu Achselstützen
für die Fortbewegung – auch als „amerikanische Krücken“ bekannt.
Zu diesem Zeitpunkt
legte eine Anekdote den Grundstein für die Freundschaft mit Viktor Wassiljewitsch. In dem heißen Jahr brannte – wie nicht selten – der
Torf in den Lagerstätten um Moskau. Ich bekam die Weisung, mich für die
Entlassung umzuziehen. Meine Kleidung war in den Vorraum der großen
Gemeinschaftsdusche gehängt, den wir Patienten nur zu den offiziellen Zeiten
für Ganzkörperwäsche betreten durften. Über der Kleidung hing ein weißer
Kittel. Den hängte ich nach Umziehen zurück auf den Bügel und ging zur Station. Auf
dem Weg dahin begegnete mir die strenge ältliche Stationsschwester. Sie wies
mich ärgerlich zurecht, dass der weiße Kittel über meine Schultern gehörte.
Folgsam machte ich kehrt und ging zurück zur Dusche.
In der Zwischenzeit war
dorthin eine sehr hübsche junge Schwester gekommen, die wegen eines Busunfalls
hatte lange laufen müssen, folglich durchschwitzt war und die vor Arbeitsbeginn eine Dusche nehmen wollte –
Patienten durften dort ja nicht hinein. Meinte sie. Dann aber kam ich …
Ein spitzer Schrei
ertönte und rasch, aber nicht blitzschnell genug verschwand die überaus
ansehnliche nackte echte Blondine in einer Duschkabine. Über das unerwartete Erlebnis
sehr erfreut, ging ich nach Überhängen des Kittels wieder zur Station.
Unterwegs begegnete mir Viktor Wassiljewitsch. Er fragte, weswegen ich so gut gelaunt
sei. Nach meinem Kurzbericht sagte er: „Welches Glück doch manche Männer bei
den schönsten Schwestern haben!“
Er setzte fort: „Was sagt ein gut erzogener
junger Mann, wenn er in ein Badezimmer kommt und in der Wanne eine nackte Dame
sitzt? Wie reagiert ein Gentleman?“ Natürlich folgte die Auflösung: „Der gut
erzogene junge Mann sagt „Verzeihung, Madam!“ und geht. Der Gentleman bemerkt:
„Verzeihung Sir!“ und verlässt den Raum. Darauf entgegnete ich: „Keine gute
Anekdote. Damit macht sich der Gentleman die Frau zu einer Feindin für das
ganze Leben.“ Mein Arzt sah mich etwas erstaunt an. „Sie haben Recht.“
In der
folgenden Unterhaltung wurde die Grundlage für unsere bis heute bestehende
Freundschaft geschaffen.
Die „amerikanische Krücken“ waren ein sperriges, hinderliches Fluggepäck. Das Personal der Aeroflot-IL lud uns, meine
Frau mit kleiner Tochter und mich, in die Business-Klasse ein, damit ich
wenigsten etwas bequem sitzen konnte.
Der Heimaturlaub bei bestem Wetter
gestaltete sich für mich zunehmend zur Qual. Mein recht behaartes linkes Bein
ließ mit der Zeit fast alle Haare in die Gipsröhre los, wo sie auf der Haut wie
hunderte Ameisen juckten. Denn in eben dieser Zeit atrophierten (schwanden) die
Muskeln des gestreckten, nur an Fuß und Hüfte aktiv bewegten Beines. Als nach
Rückkehr aus dem Urlaub der Gips entfernt wurde, war deshalb am linken Bein der
Oberschenkel so dünn wie der rechte Unterschenkel. Die Gipsröhre hatte trotz
einer Erneuerung in der DDR am Bein richtig zu wackeln begonnen.
Also begann
nach Rückkehr aus dem Urlaub die Rehabilitation „auf Russisch“. Nicht abwertend
– sie erfolgte nach den modernen medizinischen Erkenntnissen vor etwa einem
halben Jahrhundert! Beschränkte sich vorwiegend auf warme Wachspackungen und
vielfältige Massagen sowie Gehtraining. Besonders bemerkenswert daran war für
mich eine wunderhübsche tatarische Masseuse, die leider die Krümmung ihrer Beine
von ihren reitenden Vorfahren geerbt hatte. Es war erstaunlich, woher die
zierliche Frau die Kraft für sehr harte Griffe nahm. Als ich unter jenen einmal
etwas stöhnte, frage sie in Russisch mit auch für mich merkbarem Akzent: „Wollen
sie wieder gehen?“ Ich bejahte. „Dann halten sie doch durch!“ meinte sie
lakonisch. Seitdem biss ich die Zähne zusammen. Welcher Mann hätte das nicht getan?
Fortsetzung folgt …
Bleiben Sie
recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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