Guten Tag Fantasy oder Tobi,
in den nächsten Tagen
wird in seiner Heimatstadt ein 31-jähriger Major der russischen Armee beerdigt.
Einer seiner frisch eingezogenen Rekruten hatte eine scharfe Handgranate so unglücklich
geworfen, dass die von einem Hindernis zurück in den Graben prallte. Der die
Übung mit beaufsichtigende Bataillonskommandeur hat sich blitzschnell über die
Granate geworfen und das Leben der anderen Soldaten gerettet. Ich bin nach
dieser Nachricht im Fernsehen aufgestanden.
Aus deinem Brief sehe ich, dass du trotz meines etwas
schärferen Tons die „diplomatischen Beziehungen" zu mir nicht abgebrochen hast.
Vorab noch zu einer Bemerkung von dir. Du meinst, ich würde
viel mit Zitaten arbeiten. Wenn jemand meine Vorstellungen exakter, kürzer,
eleganter, origineller formulierte – warum nur das anbieten, was auf dem
eigenen Mist gewachsen ist? Aber das hat mir niemand aufgezwungen – das ist
meine Freiheit.
Passt ein wenig zu dem, was ich aus deinem letzten Brief
zitiere: „Sondern einfach um das Gefühl, tun und lassen zu können, was ICH
will, denn das ist MEIN Leben, das ich führe und niemand darf mir bestimmen,
was ich zu tun habe und was nicht.“ Ich will das obige mit den Zitaten – und ich bin so frei
darauf zu pfeifen, ob dir oder anderen das passt.
„Fängt man aber an, sein Weltbild zu hinterfragen und sich
neu zu orientieren, fällt einem auf, dass man gar nicht so frei ist, wie einem
immer weis gemacht wird.“
Wer macht dir das vor? Überall wurde dir von klein auf erläutert, dass sich der kleine Mensch
an aus Erfahrung (Man tatscht nicht mit der Hand auf die glühende Herdplatte!)
oder gesellschaftlicher Notwendigkeit (Man rennt nicht bei Rot über die
Kreuzung!) gewonnene und erprobte Regeln halten soll.
Die Eltern sagen aber
„muss“! Weil sie bis zur Volljährigkeit rechtliche
Verantwortung für ihre Kinder tragen – welche den Fragen unter
gutefrage.net nach zu urteilen, schon mit 13-14 Jahren rechtliche Verantwortung
auf sich nehmen möchten (in WG ziehen, ausreißen …).
Sie, du eingeschlossen,
vergessen, dass die „Alten“ schon vor vielen Jahren beschlossen haben, die
Volljährigkeitsgrenze von 21 Jahren auf 18 Jahre zu senken! Vielleicht regen
die heutigen Jugendlichen einmal an, diese auf 6 Jahre herabzusetzen -)).
„Du musst mir nicht sagen, was
ich zu tun habe und - um Gottes Willen! - bloß nicht versuchen, mich von außen
zu verändern.“
Wie passt dieser Satz zu meine letzten Worten im vorherigen Brief an dich:
„Ich rate dir den Mittelweg. Komme in die
Wirklichkeit, ohne die Fähigkeit zum
Träumen einzubüßen. Nur: trenne
beides. Werde du selbst und bleibe es.“
Meine
zweite Tochter war zu ihrem Abi 18 Jahre geworden und überraschte uns mit der
Bemerkung, sie wolle (gerade waren wir „wiedervereinigt“ worden) trampend ein
Jahr durch ihr Vaterland ziehen. Das tat sie dann auch. Als sie nach 8 Monaten
heim kam, hatte sie als Kellnerin, Postbotin, Kindermädchen und so gearbeitet
und sich vom Ersparten eine Kraxe gekauft sowie einen guten Fotoapparat. Sie
hatte die nächste Überraschung in petto. In der Ostasienabteilung des
Pergamon-Museums hatte sie mit Freundinnen bei dem leitenden chinesischen
Professor an Nachmittagen nach der Schule Kalligraphie-Unterricht genommen. Von
ihm war die Begeisterung für sein Heimatland übergesprungen. Sie wolle nach
China – per Eisenbahn. Ihre Mutti heulte, ich bewunderte meine zur Persönlichkeit
erzogene Tochter. Wir berieten einiges. Dann Abfahrt von Berlin-Ostbahnhof über
Moskau. Ihre russische Mutti weinte wieder bitterlich, ich blieb gefasst. Unser
Kind (sprach damals erst Deutsch, Russisch, Englisch und Schwedisch – letztes
Abendschule) lernte unterwegs einen jungen Moskauer kennen, dazu noch 11
weitere junge Abenteurer. Da der junge Russe eine Mutter in der
Eisenbahnverwaltung hatte, halfen beide, viel rascher als üblich 12 Fahrkarten
nach Peking zu besorgen.
In kleinen Gruppen und zum Schluss solo kam unsere
Tochter bis an die vietnamesische Grenze. Nach einem Vierteljahr trafen wir sie
auf dem Ostbahnhof wieder – glücklich, braungebrannt und abgemagert. Sie hat
danach Sinologie studiert, ein Jahr auch in China.
Aus
dem größten Teil deines Briefes folgt, dass du „planst“ – das bedeutet, du
überdenkst. Das ist gut.
Außerdem
bin ich sicher, dass du für deine Träume keine „Anregung“ brauchst, aus der
Verbrecher Milliarden einstreichen.
Die
Hilfe für eine behinderte Person als Möglichkeit, jemandem mit viel
eingeschränkterer mechanischer Freiheit beizustehen und zu erfahren, wie der
Mensch sich als „Persönlichkeit“ durchsetzt, wiederhole ich als praktikablen
Rat. Bei der Person gilt das Lied „Die Gedanken sind frei“ sicher ganz
eindeutig.
Auch
www.neudeutschland.org/ empfehle ich als letztes nochmals.
Selbst, wenn du zuvor erst deine Erfahrungen mit der Wirklichkeit machst.
Aus Fehlern lernt man – erwirbt die wichtige
Lebenserfahrung. Es wird manchmal nur etwas „teurer“(nicht unbedingt in Euro
oder Dollar).
Danke für die guten Worte zum Schluss. Ich
hatte auch Hunger auf Spinat. Andere ekelten sich. So verschieden sind wir
eben.
Bleibe so, dass diese vor kurzem erst
erinnerten Worte von Robert Browning dein Leben lang auf dich zutreffen können:
„Manche Menschen sehen die Dinge, wie sie
sind, und fragen: 'Warum?' Ich wage, von Dingen zu träumen und frage: 'Warum
nicht?' “
Alles
Gute, Gesundheit und Erfolg wünscht dir
Siegfried
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