Jubileum
Wir waren am
Sonnabend um 15 Uhr eingeladen – zum 60-sten Geburtstag einer guten Bekannten. Mein
Drängen beantwortete Natascha mit der Frage, ob ich so hungrig sei oder der
Wodka so magische Anziehung ausübe… Diese Bemerkung überging ich großzügig. Sie
fuhr fort: es sollte in den Jahren doch bei mir angekommen sein, dass die
genannte Zeit die frühest erlaubte Ankunft signalisiere. 15.30 Uhr wäre noch
sehr höflich. Wir kamen zu eben dieser Zeit mit dem Taxi vorgefahren und ich
wunderte mich wieder, dass der Saal gut vorbereitet, wir aber unter den ersten
Gästen waren.
Valentina war gut gekleidet und frisiert, ihr Mann stach gegen
sie aber nicht ab. Vor allem war ihrer beider Stimmung nicht aufgesetzt,
sondern echt feiertäglich.
Wir waren erstmals im Cafe „Tandem“, folglich sah
ich mich aufmerksam um. Wir haben im kommenden Jahr die ukrainische Nachfeier
der Hochzeit von Sveta und Roman zu organisieren. Der Raum schnörkellos, hell,
ohne das nicht selten sehr aufgesetzt wirkende „heimische Kolorit“. Die Tafel
wie hier üblich fast überladen, nett, nicht übermäßig dekoriert. Ein Diskjockey
von etwa 35 Jahren bereitete seine Technik vor.
Nachdem gegen 16 Uhr zum
Platznehmen gebeten worden war, begann der rechte Geburtstagsschmaus mit dem
Trinkspruch des Ehemanns. Er wurde damit beendet, dass alle Gäste „Gorko!“
riefen, auf Deutsch „Bitter!“ – gewöhnlich die Aufforderung an ein
Hochzeitspaar, einander zu küssen.
Anschließend langten wir alle zu. Salate
aller Art, von der Jubilarin eingelegte Waldpilze (glaube, dass so etwas in
Deutschland unmöglich ist), vom Hausherren selbst geräucherte Hühnchen, extrem
schmackhaft – dazu Kohlrouladen (fehlen bei keinem Gastmahl, als Füllung
allerdings etwas schmackhaftes aus Reis), gefüllter Fisch, Sülze, Wurst, Schinken und Käse und
und… Es ist mir einfach nicht möglich, die Leckereien alle aufzuzählen. Den Reiz machte die Mischung aus Hausmannskost und der "nach Art des Hauses" aus. Das "Tandem" ist auf unserer Liste Nachfeier für die Hochzeit ganz vorne.
Nach einer
gewissen Zeit wurde unser Prassen vom Disjockey unterbrochen, der seine „Gästeliste“
abarbeitete – damit alle ihren Trinkspruch aufsagen konnten. Wie immer gab es
einige Damen unter den Anwesenden, welche sich in Versen versucht hatten. Mein ukrainischer
Sprachschatz ist zu jämmerlich, um alles zu verstehen. Machte aber mit zunehmender
Verdünnung meines Blutes durch Alkohol nichts Wesentliches aus.
Zum Glück ging
niemand auf den in Kiew ablaufenden „Maidan“ ein, der am folgenden Sonntagmorgen
in die „Große Wetsche“ übergehen sollte (eine einst sinnvolle Volksversammlung,
als die slawischen Stämme zahlenmäßig noch so klein waren, dass sie sich mit
allen Erwachsenen zur Beratung an einem Lagerfeuer treffen konnten).
Natascha
hatte mir den Hauptteil unseres Trinkspruchs überlassen, nachdem sie unseren Wunsch
für stabile Gesundheit vortrug. Ein wenig anders wollte ich schon sein. Deshalb
machte ich einen Ausflug: ein 102 Jahre alter Japaner hatte Wissenschaftlern wie
folgt geantwortet, als sie sein Geheimnis für langes Leben erfahren wollten. „Mich
interessiert das Leben noch. Das hält mich lebendig.“ Also wünschten wir
Valentina ebenfalls so viel Interesse am Leben. Weil aber alle immer nur auf ein
glückliches, zufriedenes Leben abstellten, ging ich vom anderen Ende auf die
Tatsache zu. „Natürlich wünschen wir dir das Beste. Wenn es aber doch einmal
einen Schicksalsschlag gibt, wünschen wir dir viel Kraft, ihn zu überwinden.“ Der
anhaltende Beifall bewies, dass ich verstanden worden war.
Im Tanzwettbewerb –
6 nicht miteinander verheiratete Paare – gewannen meine Partnerin und ich für
unseren Tango den zweiten Preis.
Als alle gemeinsam sangen, ritt mich der
Ehrgeiz. Ich meldete mich und sang a capella das für mich schönste deutsche
Liebeslied. „Dat do min Levsten büst…“ aus dem Mecklenburgischen. Einfache
Melodie und erotischer Text. Wieder Beifall auf offener Szene.
So kann man
Deutschland wirkungsvoller vertreten als sein ehemaliger Außenminister.
Bleiben
Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
Kirche
Es war am
frühen Morgen. Unser Hund hatte mich hechelnd geweckt. Ein deutliches Zeichen. Wir
waren abends spät spazieren gewesen – also dürfte ihn der Kot nicht besonders
drücken. Unter normalen Bedingungen. Allerdings sah ich beim Nachmittagsspaziergang,
dass er am Rand des Gehwegs irgendetwas aufgenommen und rasch verschluckt
hatte. Ausbrechen wollte er es nicht. Nun hatte ich die Bescherung. Die Elastikhosen
konnte ich nicht mehr anziehen – er hätte eine Fäkalienladung in der Wohnung
abgelegt. Rasch angezogen und auf die Straße, wo er sich auch sofort
erleichterte. Weil ich nun schon unterwegs war, ging ich mit ihm auch den
kleinen Kreis ab, der gewöhnlich nachmittags und abends zum Tagesgeschehen
gehört.
Im Halbdunkel kam uns eine Familie entgegen. Der uns gut bekannte Rechtsanwalt
begrüßte mich herzlich. Sie wollten in das Kiewer Höhlenkloster, zur Andacht in
die Kirche. Ich erlaubte mir zu fragen, ob er denn wenigstens anschließend den „Maidan“
mit seiner Anwesenheit stärken würde. Die Antwort erstaunte mich: „Wir gehen
doch nicht zu dem jüdischen Spektakel!“ Mein Hinweis auf den deutlich
westeuropäisch eingestellten Boxer Klitschko und den eindeutigen Nationalisten
Tjagnibok in der Führungstroika der Opposition wischte er mit der Bemerkung
weg: „Die sind Trittbrettfahrer!“ Verabschiedete sich rasch.
Daheim die Pfoten
des Hundes waschen, die eigene Morgentoilette vollenden sowie die Elastikhosen
anziehen – also morgendliches Ritual in anderer Reihenfolge. Danach auf den Basar,
Gemüse, Obst und Brot einkaufen.
Die Verkäuferin im Brotladen, einst mit ihren
Eltern in der DDR gewesen, fragte: „Was sagen sie denn zu dieser Unordnung in
unserem Land?“ Da erzählte ich ihr ein wenig von den Demonstrationen in diesem
Land vor dem Fall der Mauer. Sie hatte das noch nie so erfahren.
Um bei der
Wahrheit zu bleiben sagte ich auch, dass die versprochenen „blühenden
Landschaften“ Versprechungen geblieben sind und Gewinner der Schlacht um die
Märkte die internationalen Konzerne blieben.
Das merken die einfachen Ukrainer
auch schon – selbst wenn sie in die Europäische Union streben. Denn ab 2015
wird der Basar so, wie er heute noch ist, zu existieren aufhören. Eine Forderung
der Weltwirtschaftsorganisation. Die Bäuerlein und Kleingärtner, welche heute
noch ihre Produkte feilbieten, haben dann nur noch den Weg über die
Verarbeitung bei den „Großen“ der Branche übrig. Sie werden noch weniger
Einkünfte haben, die Risiken von Gammelfleisch und anderen bekannten Verunreinigungen
und Verfälschungen im Bereich Lebensmittel werden wachsen. Die Verbraucher sind
vorläufig und im Wesentlichen noch unbeeinträchtigt von diesen Erkenntnissen.
Mir
zumindest scheint das Rezept des ersten ukrainischen Präsidenten nach Erringung
der „Unabhängigkeit“, Herrn Krawtshuk, ausgesprochen am „RundenTisch“ der vier Präsidenten,
sehr zweifelhaft: „Wir sollten erst das Assoziierungsabkommen unterschreiben und anschließend im Rahmen und mit
Hilfe der EU unsere ökonomischen Probleme lösen.“
Da habe ich meine Bedenken.
Vor allem, nachdem ich die Videos
http://www.youtube.com/watch?v=3ZpnOX4l7XA und den zweiten Teil dazu http://www.youtube.com/watch?v=wEIWJx8GiGA
gesehen habe. Was ich allen Lesern empfehle.
Außerdem verfestigt sich mein Gefühl auch, nachdem die westeuropäische Seite die Verhandlungen heute abgebrochen hat. Denn sie will die Bedingungen nicht aushandeln, sondern diktieren.
Nach dem 01. Januar 2014, wenn die arbeitslosen Bulgaren und Rumänen Westeuropa überschwemmen, wird die EU für die Ukraine noch weniger anziehend sein. Dagegen werden auch die Gebete der Popen nicht helfen, welche heute dem Maidan gutmeinend eine Art Weihe gaben.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
Meinungen...
Gestern Abend bekam meine Frau einen Anruf aus dem Krankenhaus. Unsere Freundin Nina war erneut dorthin eingewiesen worden, damit eine zweite Operation an ihrer Stirnhöhle endgültige Heilung bringen soll. Für einen Augenblick ließ ich mir das Handy reichen. Ninas Stimme klang gut. Das sagte ich ihr auch. Die Antwort: „Ich bin doch noch nicht tot.“ Da meinte ich: „Werde gesund – damit wir beiden noch auf der Hochzeit deines Sohnes miteinander tanzen können.“ Sie lachte relativ ungezwungen. „Danke – das wünsche ich mir auch.“ Also hatte ich ihre positive Einstellung mit wenigen Worten bestärken können. Wir verabschiedeten uns. Das Frauengespräch ging weiter.
Danach musste ich an den römischen Philosophen und Dichter Seneca denken. Vor rund 2000 Jahren hatte er schon formuliert: „Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern unsere Meinung über die Dinge.“
Nina hat den Willen, gesund zu werden. Sie kennt – vor allem auch als Krankenschwester und schon operierte Patientin – alles, was an Unangenehmem mit der OP verbunden ist. Aber sie ist stark. Stärker als mancher Kerl, der meint schwer krank zu sein schon beim Erscheinen eines Pickels auf seinem hervorstehendsten Organ – der Nase, nicht was jemand denkt. Solch überempfindliche Männer habe ich schon viele kennen gelernt.
Ninas Meinung ist also positiv. Sie ist in ärztlicher Obhut, um gesund zu werden und nicht, um bemitleidenswert krank zu sein!
Wer zur Macht unserer Gedanken etwas besonders Interessantes erfahren möchte – der oder dem empfehle ich hier einen Link zu einem für mich absolut überraschenden Video:
http://www.youtube.com/watch?v=8kNp4ma3-7I
Dass zu allem Geschehen in der Welt andere Meinungen da sein können, andere Betrachtungsweisen, hat mir einmal eine Freundin überzeugend mitgeteilt.
In Afrika war sie in einem Hotelprojekt eingebunden. Die dort angestellten einheimischen Frauen fragten sie anlässlich einer Instruktionsstunde, ob sich die europäischen Gäste nicht ordentlich waschen. Ihre Gegenfrage, wieso sie darauf kämen, wurde in etwa so beantwortet.
„Wenn wir uns waschen oder duschen, ist danach unsere Haut sauber. Mit dem Handtuch entfernen wir sauberes Wasser von sauberer Haut. Wenn wir hier jeden Tag die Handtücher wechseln sollen, müssen sich die Europäer anders waschen als wir.“ Sehr diplomatisch ausgedrückt.
In einem Land, wo sauberes Wasser eine Kostbarkeit ist, wird von klein auf ein anderes Verhalten zu diesem Nass vorgelebt und weiter gegeben.
Nun nochmals Seneca: „Glücklich ist nicht, wer anderen so vorkommt, sondern wer sich selbst dafür hält.“
Oder das Folgende vom römischen Philosophen-Kaiser Marc Aurel, etwa 150 Jahre nach Seneca: „Das Glück deines Lebens hängt ab von der Beschaffenheit deiner Gedanken.“
Wer einen Rat zum Thema möchte: sehr einfühlsam wird dieses in der „Lebenslotsen-Akademie“ behandelt – der Link dazu:
„http://hans-dirk-reinartz.com/lebenslotse-akademie/“
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
Reise nach Berlin...
Es ist schon eine Weile her, dass wir gezwungen waren, aus Belaja
Zerkov nach Berlin zu fahren – über Kiew. Wir nahmen von dort einen guten
Bekannten mit. Den hatte ich vor rund 7 Jahren im Schnellzug Kiew-Berlin kennen
gelernt. Volodja – die Verniedlichungs- oder auch Koseform von Vladimir – hatte
erst vor Kurzem eine Prostataoperation hinter sich gebracht und war deshalb ein
wenig gehandicapt.
Wir haben erstmals seit langer Zeit die sogenannte „Warschawjanka“
auf voller Länge befahren. Gemeint ist der ukrainische Teil der Straße
Kiew-Warschau, der in den letzten zwei Jahren gründlich repariert wurde. In sehr
guter Qualität. Deshalb waren die knapp 600 km sehr rasch durchfahren. Im
Abschnitt vor der Grenzübergangszone eine Warteschlange, wie sie an
innereuropäischen Landesgrenzen seit langem unbekannt ist.
Um noch bei
Tageslicht nach Polen zu kommen, ging ich mit meinem Herzschrittmacherpass zum
Sergeanten, welcher die Reihenfolge der Durchfahrt regelte. Er ließ uns von
hinten vor- und sofort durchfahren. Danke von hier zusätzlich nachträglich. Auf
polnischer Seite keine Chance, die Variante zu wiederholen – weil die Ordnung
durch sehr deutliche Abgrenzung der zulässigen Bereiche markiert war. Aber die
Vielfahrer aus der Westukraine (so genannter „kleiner Grenzverkehr“ – gab es
auch einmal in Westeuropa) mit ihren offiziell erlaubten und auch
Schmuggelwaren hielten einander dennoch Lücken frei, in welche die Bekannten
andere überholend einfuhren. Ärgerlich – aber nicht vermeidbar.
Auf Volodjas
Bitte hin entschieden wir uns, bis Berlin durchzufahren. Die Route, welche wir
kannten, um rasch auf die Autobahn A-2 zu kommen, kannte er noch nicht, fuhr
gewöhnlich mit dem Auto über Warschau. Jedoch um die Stadt herum und in ihr häufig sehr zäher Verkehr. Wir konnten ihn eines Besseren überzeugen.
Als wir
um 03.30 Uhr etwa bei seiner Wohnung in Berlin ankamen, waren alle
rechtschaffen müde. Vor allem Natascha, welche die rund 1.500 km hinter dem
Steuer gesessen hatte.
Daheim eine Überraschung. Gäste aus Moskau, die in einem
anderen Zimmer schliefen, weil sie um 05,30 Uhr aufstehen und zu Flughafen
Tegel mussten. Also drängten sich – zum Teil auf Luftmatratzen – 6 Erwachsene in
einem kleinen Zimmer zum Schlafen zusammen. Ich wunderte mich nicht – Slawen haben
so etwas drauf! Wir Deutschen (mich ausgeschlossen) kommen nicht mehr auf
solche verrückten Ideen…
Meine Besorgungen hatte ich rasch erledigen können.
Der bürokratischer gewordene erfolgreiche Umzug, die erforderlichen Arztbesuche
und ähnliches wurden von einem eingetrübt: von Vandalismus mit
nationalistischem Einschlag. Unbekannt hatte bei unserem vor einem Kaufhaus in
Hellersdorf geparkten Auto mit ukrainischem Kennzeichen die Frontscheibe
beschädigt. Einfach entweder mit einem Stein oder einem Knüppel auf sie gedroschen.
Sie blieb zwar ganz – aber eine dem deutschen TÜV oder einer Polizeistreife
wäre der Schaden aufgefallen. Folglich entschieden wir uns, das wenig
gastfreundliche Berlin am nächsten Morgen zu verlassen.
Bis daheim sind wir
niemanden mit der defekten Scheibe aufgefallen. Der Grenzübergang Polen-Ukraine war viel „härter“
als bei der Hinfahrt. Die Warteschlange länger und der polnische Regulierer trotz
vorgezeigtem Schrittmacher-Dokument nicht gleich zugänglich. Weil es aber gegen
23 Uhr war und ich ihm klar machen konnte, dass ich sonst von ihm erwarte, dass
mich die „Schnelle medizinische Hilfe“ hier versorgen müsse, ließ ihn uns
durchwinken. Etwa zwei Stunden Wartezeit gespart.
Die Frontscheibe wird hier zu
etwa einem Viertel des in Berlin angebotenen guten Preises gewechselt werden. Was
wir aber beim TÜV in Berlin für 5 Euro gleich noch mitgenommen haben: die grüne
Plakette für die neue Scheibe, welche uns Einfahrt in alle Stadtzentren in
Deutschland erlaubt.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
Bin wieder da...
Es
ist im Leben eben lebendig.
Mal ist in einem Winkel der Welt kein Internet da. Dann geht es nach der
Weisheit: „Das Erinnern hat Zeit,
das Erlebnis hat keine.“ Außerdem
existieren Situationen, wo ich keine Lust habe, mich mitzuteilen. Für alle, die
mich dennoch lesen – ich bin wieder da.
Auch Hund Kai und Kater Darik. Beide haben
sich auf ihre Art über das wiedergekehrte Herrchen gefreut. Beim Kater drückt
sich das so aus, dass er sich einen Stuhl ganz in meiner Nähe – am Laptop –
ausgesucht hat, um dort zu ruhen. Der Hund liegt unter dem Tisch vor oder gar
auf meinen Füßen. Angenehm warm.
Nun komme ich zum Erlebnis. Wie immer in der
Frühe. Auf dem Rückweg vom Morgenspaziergang ist zu sehen, wie sich die Wildenten
sammeln. Eines der Zeichen dafür, dass es kalt werden könnte. Denn eine
Futterstelle auf dem Fluss gemeinsam offen zu halten, ist für das Schoof
einfacher, als bei Frost im Eis zwanzig kleine Löcher frei zu machen bzw. so zu
halten.
Dann trafen wir in Nähe der Holzbrücke über den Fluss Ros einen alten
Herrn, mit einem Fahrrad. Auf dem Gepäckträger ein mit Lappen ausgefüllter
Korb. Er fragte: „Guten Tag! Sie kenne ich, sie gehen weit spazieren. Haben sie
dort, wo sie lang gingen, viele leere Bierflaschen auf dem Ufer herumliegen sehen?“
Ich antwortete wahrheitsgemäß – nur drei. Er bedankte sich dennoch.
Offensichtlich ein Rentner, welcher seine sehr geringen Einkünfte auf diese
Weise aufbessert. Flaschen aufsammeln, mit denen gedankenlose oder besser
gestellte Bürger die Natur verschandeln. Das Umweltbewusstsein ist in der
Ukraine bei den meisten Einwohnern absolut unterentwickelt. Es gibt auch keine
besonderen Aktivitäten von Seiten der Administration, das zu ändern. So ist z.
B. nicht unüblich, dass Autobesitzer ihre Fahrzeuge am Flussufer waschen. Angeblich
soll das strafbar sein – aber wo kein Kläger, da kein Richter.
Auf dem später besuchten Basar
wie immer die herzliche Begrüßung einschließlich der Frage: „Wo waren sie denn
so lange?“ Meine Bemerkung, dass ich in meiner Heimat war, rief eine Vielzahl
von Reaktionen hervor. Darunter die Frage, was man denn in Deutschland über die
dummen Ukrainer denkt, welche sich nicht entscheiden können: rein in die
Europäische Union oder doch lieber in die Zollunion mit Belorussland, Russland
und Kasachstan.
Diese Fragen wimmele ich gewöhnlich ab. Ohne offiziellen Status
als Journalist ist die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates
mit einer eigenen und vielleicht auch abweichenden Meinung immer ein unnötiges
Risiko. Allerdings versuche ich dennoch, auf meinem Blog http://mein-ostblock.blogspot.de/
so delikat wie möglich die Ereignisse hier zu kommentieren. Sie können gerne
dahin klicken.
Bleiben Sie recht gesund.
Ihr
Siegfried Newiger
Sinnestäuschung
Es gab sie kurzzeitig vorgestern in der Frühe. Der Himmel war
wolkenverhangen, die Lufttemperatur etwa um + 10 Grad, als wir zum Spaziergang
aufbrachen. Außer den unschönen schrillen Schreien wieder zurückgekehrter Eichelhäher
war nur das typische leise Tönen der Kohlmeisen eine Abwechslung im Bereich des
Waldrandes.
Zwei Tage davor hatte man am kleinen Stausee oberhalb der Stadt am
Nachmittag begonnen, Wasser abzulassen, um Stauraum für die Herbst-Wintersaison
zu schaffen. Augenzeugen unter den Anglern berichteten, wie sich in kurzer Zeit
der Pegel des Flusses um etwa 1,5 Meter anhob. Dabei kamen mit den befreiten
Wassermassen Bäume, Sträucher und Un-Kulturmüll in „Scharen“ geschwommen.
Vor der
hölzernen Brücke sah ich den Stau, den die Flut durch die mitgeschleppten
Gegenstände verursacht hatte. Auf der weiteren Spazierstrecke konnte man an der
Schlammgrenze auf dem Ufer sehen, wie hoch der Wasserspiegel angestiegen war. Weil
in diesem Jahr in der Ukraine und in Russland vor allem die Hochwasserbilder
lange die Massenmedien füllten, konnte ich nachempfinden, wie es den Menschen
dort ergangen sein musste.
Feuer lässt sich häufig mit Wasser löschen – das „heranschleichende“,
überall durchsickernde Wasser ist aber nicht so einfach zu bändigen…
Aus diesen
Überlegungen riss mich die Sinnestäuschung. Wir waren auf dem Heimweg. Durch die
vielen entlaubten Bäume sah ich weit weg ein Großfeuer! Es loderte immer mehr
auf – allerdings ohne Rauch. Erst da verstand ich, dass die Wolkendecke
aufzureißen begann und die am Horizont noch rote Sonne die Illusion schaffte,
welcher ich kurzzeitig verfallen war…
Heute Morgen bekam ich nach dem
Spaziergang den Auftrag, auf den Basar einkaufen zu gehen. Alles wie gewöhnlich
– gegenseitige Begrüßung mit einigen Worten, ab und an ein Scherz.
Dann war ich
bei Katja – meiner netten Freundin. Ich wusste, dass sie Verbindung mit ihrer
Tochter hielt, welche zu einem Schüleraustausch für einige Tage in die Umgebung
von Krakow gefahren war. Deshalb fragte ich, welches denn der Grund sei, dass
sie selbst heute so besonders glücklich aussieht. Die Antwort überraschte mich.
„Ich habe mich drei Tage erholt. Besonders gestern in der Frühe. Weil unser
Anwesen höher gelegen ist als alle anderen im Dorf, haben wir uns mit meinem
Mann vor die Haustür auf die Bank gesetzt, unseren Kaffee getrunken und den
Sonnenaufgang am hellen Himmel beobachtet. Wie schön – dazu die Stille,
unterbrochen ab und an durch die Stimmübungen der ersten erwachten Hähne. Schön,
dass wir die hektische Zeit vor den vierziger Lebensjahren hinter uns haben.“
Erstmals habe ich die auch sonst sehr vernünftige, humorvolle Frau in einer als
elegisch zu bezeichnenden Stimmung erlebt. Die Tatsache, dass sie sich so offen
mir gegenüber äußerte, freute mich außerordentlich. So wird ein Einkauf zu
einem Erlebnis.
Wie Robert Browning meint: „Jede Freude ist ein Gewinn und
bleibt es, auch wenn er noch so klein ist.“
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
Schlüsselprobleme...
Zum heutigen Post habe ich etwas sehr gut formuliertes
gefunden. Pearl S. Buck meint und ich stimme uneingeschränkt zu: „Die wahre
Lebensweisheit besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen.“ Ohne
mich zu beweihräuchern – diese Art hinzusehen und zu sehen hat mir schon, seit
ich mich dazu ganz unbefangen äußere, eine Menge Kritik der Uneinsichtigen
eingetragen.
Wie sagt Friedrich Hebbel: „Das Publikum beklatscht ein Feuerwerk,
aber keinen Sonnenaufgang.“ Noch etwas bissiger drückt sich J. W. von Goethe
aus:
„Wer darf das Kind beim rechten
Namen nennen?
Die wenigen, die was davon erkannt,
die töricht g`nug ihr volles
Herz nicht wahrten,
dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
hat man von
je gekreuzigt und verbrannt.“
Schön, dass das heute recht unüblich ist – aber es
tut mir leid um alle jene, die nicht verstehen, auf diese einfache Weise ihre
Lebensqualität zu steigern.
Als wir gestern vom Morgenspaziergang heimkehrten, kam
uns ein dick vermummter junger Mann entgegen gelaufen. Er hatte uns schon auf
dem Hinweg überholt und wir waren an ihm vorbeigegangen, als er am Reck auf der
Waldlichtung einige Übungen machte. Ich fragte ihn – wir grüßen einander, ohne
näher bekannt zu sein – ob er heute die doppelte Norm erfüllen wolle. Seine Antwort:
„Der Reißverschluss an der Tasche hier oben ist defekt. Als ich turnte, fiel
mein Schlüsselbund heraus. Das habe ich an einen Ast gehängt und prompt
vergessen.“ Wir beide lachten.
Wer meint, dass ich schadenfreudig bin –
Fehlanzeige. Mir ist es vor vier oder fünf Jahren an selbiger Stelle ähnlich
ergangen, als ich mich zum Baden auszog und meine Schlüssel in den Sand fielen.
Der nahe Baum war Helfer und ich ließ meine Schlüssel ebenfalls hängen…
Etwas weiter auf dem Rückweg eine riesige
Dogge, läufig. Das wittert unser Kai auf hunderte von Metern. Ich musste laut
werden, um ihn zu mir zu zwingen. Meine Bemerkung: „Das ist nicht deine
Gewichtsklasse!“ rief beim Herren des Tieres ein Lächeln hervor. Zweihundert Meter
weiter ein Gleiches – nur war die Hündin ein Zwergterrier.
Wie sagen die Inder:
„Unsere Freude beginnt
dort, wo wir andere zum Lächeln bringen.“
Dann überholte mich in
der Mittagszeit ein junger Mann, während ich gemächlich dem Hund hinterher
spazierte. Er grüßte ganz unüblich hier auf Deutsch mit „Guten Tag.“ – worüber ich
mich etwas wunderte. In dem sich entwickelnden Gespräch stellte sich heraus,
dass er in der Schule und auch auf der Universität etwas intensiver als andere
Deutsch gelernt und nun versucht hatte, seine Kenntnisse trotz gewisser Scheu
zu überprüfen. Eine Viertelstunde sehr nettes Gespräch – wie viel Nutzen an
guter Stimmung danach für beide.
Heute Morgen nun das Treffen mit dem sehr
großen und wunderschönen Malamut (s. Bild) und seinen Besitzern. Dieser
harmonisch entwickelte und wunderbar eingefärbte Rüde begeistert mich immer wieder.
Abschließend das
alltägliche Wunder zu Hause. Vor ein paar Tagen hatte meine Natascha angemerkt –
ohne Vorwurf: „Dieses Jahr habe ich keine Blumen von dir zum Geburtstag
bekommen.“ Mein Einwand, dafür wäre ein deutscher Männerchor in Lugansk zur
Gratulation aufgetreten, wischte sie weg. Der Feldblumenstrauß von mir sei schöner. Heute
habe ich sehr aufmerksam um mich geschaut und wirklich noch drei Spätblüher
gefunden, ihr mitgebracht. Sie hat gelächelt – wie die Inder meinen, freute ich
mich auch darüber.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
Kleine Münzen...
Es gibt zum
Thema mehrere sehr treffende Bemerkungen. Mir gefällt besonders, was Jean
Anouilh zum täglichen Schatzsuchen formulierte: „Das Leben besteht aus vielen
kleinen Münzen, wer sie aufzuheben weiß, hat ein Vermögen.“
Nun lassen Sie sich
hier ja kaum mit Kleingeld abspeisen. Deshalb ein wenig aus meiner Sammlung der
letzten Tage. Am Sonntagmorgen war es erstmals in diesem Herbst richtig kalt. Aus
dem Fenster war zu sehen, dass auf den Gräsern Reif lag. Also zog ich mir über
das dicke Hemd einen Pullover und stülpte eine dünne Mütze über die dünnen
Haare. Vor der Holzbrücke ein Lehrstück: ein älterer Mann fiel auf die Nase. Er
hatte die Glätte der leicht bereiften Stufen falsch eingeschätzt. Musste sie
also mit seinen Händen befühlen… Ich nahm deshalb sofort das Geländer als
Stütze und kam wohlbehalten oben an. Man lernt am besten aus den Fehlern
anderer.
Einer der Angler, mir bekannt, begrüßte mich mit Händedruck und der
Bemerkung: „Na, hast du dich endlich etwas vernünftiger angezogen?“ Ich habe
mit ihm darüber nicht diskutiert. Wer sich abhärtet, findet gewöhnlich wenig
Verbündete. Außerdem ist das mit den Bedingungen beim fast unbeweglichen Angler
nicht zu vergleichen. Bei + 12 Grad Celsius der Vortage reicht mir ein
Flanellhemd völlig aus, da ich bei gewohnt raschen Gehen sonst zu stark
schwitze. Dass bei ersten Minusgraden eine „Haut“ mehr angezogen wird, ist
normal.
Nach einiger Zeit, wir waren schon im Wald, hörte ich einen Specht hämmern
– der Lautstärke nach in der Nähe über uns. Mit Ohren und Augen suchte und fand
ich den eifrigen Buntspecht. Hund Kai wunderte sich sichtlich, weshalb wir fast
auf der Stelle herum traten. Aber so bekam ich die zweite kleine Münze des
Tages – meine Befriedigung, die Laute der Natur immer noch zu verstehen.
Letztmalig
in diesem Jahr sah ich auch den bunten Wald in seiner herbstlichen
Farbenvielfalt. Die Mischungen von gelb, rot und braun mit dem dunklen Grün
selten herausragender, noch belaubter alter Weiden oder noch dunklerer
Nadelbäume.
Der Montag begann mit zwei Erlebnissen. Ein mir unbekannter Angler
hob einen kleinen Zander aus dem Wasser auf die Brücke und brachte den stolz zu
seinem Auto – ohne den zu töten oder, wie es bei deutschen Anglern heißt – ohne
ihn zu versorgen (bedeutet ebendies). Der Fisch war nach meinem Verständnis
untermaßig. Die Fischereiaufsicht in unserer Heimat würde dafür hart abstrafen.
Außerdem ist er sicher elendiglich verreckt – so, wie auf dem Markt die „Lebendfische“
in kleinen Wannen oder Bottichen.
Als wir am anderen Brückenende waren, erscholl
hinter uns Lärm. Ein etwa gleichaltriger, bekannter Angler hatte einen größeren Fisch gehakt und
versuchte, diesen erst einmal über Wasser und danach auf das Trockene zu
bekommen. Ich beobachtete die Szene. Weil der Haken zu klein oder zu stumpf war,
konnte sich der etwa 2 kg schwere Zander jedoch befreien.
Die Oberfläche des
Flusses war wie mit einem bunten Teppich bedeckt. Der Frost vom Vortag und der
Wind in der Nacht hatten gemeinsam dafür gesorgt, dass plötzlich viele Bäume
entblättert worden waren. An Stelle des bunten Waldes vom Vortag war dieser nun
vorwiegend astschwarz mit einzelnen Farbtupfern von besonders
widerstandsfähigen Laubbäumen.
Im Wald ist es stiller geworden – viele Singvögel
sind fortgeflogen. Freude machten Kohlmeisen und Kleiber, aber auch die durch
die nackten Büsche leichter zu sehenden Eisvögel.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
Die nackte Wahrheit...
Der Weg aus Lugansk nach Hause begann damit, dass im Zug nur noch im
Zwei-Personen-Abteil zu fast dem dreifachen als dem normalen Preis Platz war.
Aber nach fast drei Wochen in der Ferne musste das Geld eingesetzt werden.
Schon auf dem Weg
von der Bushaltestelle nach Hause trafen mich die ersten vier Bekannten mit den Worte: „Alles
Gute nach der Heimkehr.“
Als erstes begrüßten daheim Hund und Kater mich so
heftig, dass ich vorher das Gesicht abwaschen musste, um meinen Begrüßungskuss
anbringen zu können bzw. zu dürfen… Nach auspacken der Wäsche folgte deren
Verteilung auf die Waschmaschine und die Wartestation. Danach die gegenseitigen
Berichte.
In meiner Abwesenheit hatte Natascha mit Sohn und Fliesenleger die
Toilette renoviert. Sie wollte mich nicht mit dem Trubel, Staub und Schmutz in Berührung
bringen – so kam ich ins Fertige.
Am Abend der erste Spaziergang mit dem Hund,
der besonders folgsam war, immer dicht bei mir blieb. In der Wohnung verfolgte
mich Kater Darik wie ein leiser Schatten. saß ich, sprang er auf meine Knie, lag ich, stieg er auf meinen Bauch oder ringelte sich in meine Armbeuge.
Am gestrigen Morgen gingen wir – für Hund
Kai erstmals seit langem wieder – am Fluss spazieren. Auf dem leicht gewundenen
Weg waren weit vor uns zwei bunt gekleidete Personen zu sehen – Frauen, im
Herbst ziehen Männer sich so nicht an. Beim Näherkommen etwas genauer: die
schlankere von beiden inzwischen deutlich feucht im großen Badetuch, die kräftigere angezogen. Die Stufen zum
Wasser nass. Ich ging vorbei, den Hund rufend. Damit der nicht eine der beiden
belästigte.
Nach etwa 25 m drehte ich mich um – beide Frauen waren nackt. Die Schlanke
rieb ihren Rücken trocken, während die Fülligere begann hinab ins Wasser zu
steigen. Ein Bild für Götter – bzw. Männer…
Der Hund und ich waren etwa 200 m
weiter gegangen, als am Rand einer kleinen Waldwiese und am Ufer einer kleinen
Bucht eine Frau ihren Pullover überstreifte, während die andere, grazilere,
schon topless, erst die Trainingshosen ablegte. Das dritte Geschenk an diesem
Morgen. Die beiden schenkten mir wenig Beachtung – so wenig sehe ich schon nach
rechtem Mann aus?
Wir gingen unseres
Weges. Auf dem Heimweg dann die dritte Frauengruppe – ein Paar hoch zu Pferde. Die
Reittiere gingen in forschem Schritt, das jüngere musste im Temperament
gezügelt werden. Aber es war kaum zu halten und mit schnellen Schritten immer
wieder vor dem etwas besser genährten anderen. Auf die Brücke gingen beide fast
nebeneinander, eine Schräge hoch. Am Abgang aber musste eine Reiterin mit der
erfahreneren Stute, schwarz mit weißen Fesseln, voran, denn dort an den
Treppenstufen hielt sich das jüngere, gänzlich schwarze Pferd fast scheuend
zurück.
Daheim berichtete ich von meinen Erlebnissen. Natascha meinte: „Du hast
ja noch Marktwert, mein Alterchen, wenn sich die Frauen hier anlässlich deiner
Heimkehr in ganzen Gruppen nackt
ausziehen.“
So kann man das auch sehen. Als Kompliment.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried
Newiger
Kollegen...
Wer
sprachliche Barrieren überwinden muss, hat es nicht immer leicht. Vor allem
dann, wenn die Themen der Unterhaltung, über die aus Gründen der Notwendigkeit
unbedingt gesprochen werden muss, sachlich weit auseinander liegen. Genauer: wenn
geradebrecht wird.
Leichter ist es dann, wenn Berufserfahrung mit eingebracht
werden kann. In der sich unsere ukrainischen Kollegen wenig von uns
unterscheiden. Selbst relativ junge Burschen haben Erfahrungen, die bei jungen
Deutschen heute so reichhaltig selten zu finden sind. Wenn ein junger ukrainische
Meister aus der Mechanik-Werkstatt den Elektroantrieb eines Winkelschleifers
vor unseren Augen auseinander nimmt und wieder funktionsfähig macht, ist das
ein Zeichen jener Findigkeit, welche durch die unterschiedlichen Situationen
und noch mangelnden Möglichkeiten ihrer Bewältigung durch Spezialisten herangebildet
worden ist.
In den fast drei Wochen unseres Hierseins hat sich das gute
Verhältnis aus den ersten Besuchen noch mehr gefestigt. Wenn ich zu den einzelnen Meistern
oder Gruppenleitern komme, um einen Winkelschleifer oder anderes Gerät
zeitweilig auszuborgen, finde ich die Minute, um nach der Gesundheit des
Gesprächspartners zu fragen, ob der Sprössling wieder wohlauf ist, der Urlaub
oder wenigstens der Sonntag erholsam oder der Angelausflug erfolgreich waren. Die
Begeisterung für die Brüder Klitschko besteht auf beiden Seiten – ich bin mit
meinen Bemerkungen zum Boxkampf Klitschko-Powetkin sofort noch angesehener.
Folglich bekomme ich immer recht
bereitwillig direkt oder von anderen besorgt alles, was wir benötigen.
Bei den
Ukrainern haben wir ein modernes Analysegerät für die Bestimmung der chemischen
Bestandteile von Edelstahl vor dem Schweißen gesehen – einfach fantastisch. Nur
auf den Draht halten, einschalten, nach kurzer Zeit ist auf einer Art
Handybildschirm die genaue chemische Zusammensetzung des Stahls abzulesen.
Andererseits bewundern sie einige der von unseren Kollegen mitgebrachten
Meßeinrichtungen – zum Beispiel eine extrem genaue Wasserwaage in Form eines
sich nicht verziehenden metallischen quadratischen Blocks.
Was beiden Gruppen
von Kollegen gemeinsam ist: der sorgfältige Einsatz aller dieser Messmittel. Konsequent
nach der alten Weisheit: „Lieber neun Mal messen, als einmal zu viel
abschneiden.“ Denn in der Metallverarbeitung ist nach fehlerhaftem Verkürzen noch
etwas abschneiden leichter, als an zu kurzem wertvollen Material wieder ein
Stück anzusetzen.
Wenn am Morgen auf unserem Arbeitstisch ein von „Unbekannt“
abgelegter kleiner Berg frischer Walnüsse liegt, die so leicht zu öffnen sind
wie kalifornische und auch sehr schmackhaft, ist das doch ein gutes Zeichen
menschlicher Beziehungen untereinander.
Andererseits: unserem ukrainischen
Kollegen Denis fiel seine Sicherheitsbrille für Schleifarbeiten herunter, zersplitterte.
Spontan lief unser Patrick zu seinem eigenen Werkzeug, holte dort eine sehr
moderne, als Reserve eingepackte, fast unzerbrechliche Brille heraus und
schenkte diese mit freundlichem Lächeln dem immer hilfsbereiten Ukrainer. Beide waren zufrieden
– der Gebende wie auch der Beschenkte.
Meine Kollegen fragen nach der für sie
immer gleich klingenden Bemerkung einzelner ukrainischer Arbeiter, welche mit
mir scherzen – wissen sie doch, dass ich sie mental verstehe. Denn auf mein
„Danke schön“ für eine unmittelbaren kurzzeitige Hilfe (Anheben eines schweren
Werkstückes oder ähnliches) kommt manchmal das „Dankeschön kann man nicht in
die Tasche stecken.“ oder „Dankeschön gluckert nicht.“ Das erste bedeutet, dass
für die Leistung ja nichts bezahlt wurde – das zweite, dass kein Fläschchen mit
Bier oder Stärkerem herüber gereicht wurde – in dem Lande übliche Entgelte für
technische Hilfeleistungen. Das ging meinen Jungens ein. Aber wir kamen ohne
diese „Währung“ aus.
Der Abschied war kurz und herzlich. Die Einladung der Männer
an uns, doch wieder zu kommen, beantworteten wir damit, dass wir gerne kämen,
es aber lieber sähen, wenn unsere Technik bei ihnen einwandfrei funktionieren
würde.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
Hallo Taxi...
Andere Länder
– andere Sitten! Oder, wie es ein DDR-Schriftsteller einmal ausdrückte, den ich
leider als Autor des Zitats vergessen habe:
„Reisen – die Erwartung, dass es
anderswo anders ist. Reisen – die Enttäuschung, dass es anderswo anders ist.“
Da fehlen die heimischen Bedingungen, es gilt eine ganz andere Straßenverkehrsordnung (Linksverkehr), die Einheimischen beweisen durch lautes Schmatzen und Schlürfen,
dass es ihnen schmeckt (Ostasien), in Bulgarien kann man sich durch
Kopfschütteln (bedeutet „Ja!“) in unangenehme Situationen manövrieren – und
erst das „trockene Gesetz“ in einigen Staaten mit vorwiegend muselmanischer
Bevölkerung…
Unsere Kollegen haben ihre
Probleme mit den hiesigen Taxi-Betrieben. Der Ärger hier kam mit dem Regen. Wir
hatten am Feiertag (Tag der Einheit, 03. Oktober 2013) eine halbe Stunde später
unsere Arbeit aufnehmen wollen. Um morgens rechtzeitig vom Hotel in das Werk zu
kommen, wo sie eine Spezialmaschine „aufpeppen“, muss man rechtzeitig ein Taxi
bestellen.
Es ist so, dass wir auf Taxis der Firma „Eurotaxi“ fast gezwungen
angewiesen sind, weil nur die Fahrzeuge dieses Unternehmens Taxometer besitzen.
Die von jenen ausgedruckten Quittungen braucht unsere Buchhaltung dringend, um
uns unsere Aufwendungen zu erstatten. Der
Morgen war verregnet. Wie gewohnt, rief ich etwa eine Viertelstunde vor
geplanter Abfahrt beim Europa-Taxi an. Die Dame Dispatcher erklärte mir, dass
sie zeitlich befristete Bestellungen nicht annehmen könne. Also rief ich andere
Nummern an. Nach etwa 15 Minuten bekam ich bei einer die Auskunft, dass wir in
etwa 10 Minuten ein Fahrzeug erwarten könnten.
Meist gelingt es schon, zeitnah
ein Taxi zu bestellen. Kaum aber beginnt es intensiv zu regnen, geben Leute,
die gewöhnlich an Bus- oder Straßenbahnhaltestellen geduldig warten, ihre
Hrywna für ein Taxi aus. Damit wird ein Mechanismus in Gang gesetzt, an den
sich z. B. einer unserer Kollegen absolut nicht gewöhnen will. Seinen Frust
lässt er dann am Sprachmittler aus, der es nach seiner Meinung nicht versteht,
rechtzeitig das Taxi zu organisieren. Dass die angespannte Verkehrslage die
Dispatcher zwingt, diesem Unschuldigen – dem Sprachmittler – das Folgende zu sagen : „Wir können gegenwärtig keine
zeitgebundenen Bestellungen annehmen.“ „Sie werden 30 bis 40 Minuten warten
müssen.“
Wenn ich diese Antworten weitergebe, rastet der genannte Kollege bald
aus. Das ist früh am Morgen im Hotel noch unverständlich – wir sind doch
unschuldig an der Verspätung. Die Ukrainer im Unternehmen verstehen das.
Unangenehmer
wird es aber bei Arbeitsschluss. Wir müssen das Werk verlassen, stehen dann in dem engen
Raum gedrängt zusammen, durch den sich auch noch Werksangehörige zum Ausgang
drängeln. Auf der Straße strömender Regen.
Das endlich telefonisch gemeldete
Taxi steht, weil an dem Ausgang des neuen Werksteils noch keine Hausnummer
angebracht ist, etwa 80 m weiter in Fahrtrichtung und der Fahrer wird vom
Dispatcher telefonisch an mich „weitergereicht“. Er will nicht wenden – man hat
ihn an die Adresse geschickt, wir sollen hinkommen. Da ist danach die Stimmung
der nassen Kollegen ganz im Eimer, denn wir haben ja schon eine halbe Stunde
Freizeit mit Warten verschenken müssen. Außerdem ist das eines der Taxis, in
welchem 4 kräftige und auch lange Kerle nur mit Mühe untergebracht werden können.
Die Unebenheiten der hiesigen Straßen machen sich für einen von uns mit leicht
gezerrtem Rücken so besonders bemerkbar.
Der Fahrer erklärt auf meine Frage
noch etwas, das wir einfach nicht wissen können. Eben der Straßenzustand, durch
die schlechte Sicht bei Regen noch weniger genau einzuschätzen, bringt viele
Defekte an den Fahrzeugen mit sich – sie fehlen dann zeitweilig im Angebot. Das
leuchtet den Kollegen ein.
Aber weil wir schon zehn Tage hier tätig sind, ist
die Stimmung doch etwas angespannt. Wir wurden ja nicht wie
Kosmonauten/Astronauten auf gemeinsame psychologische Verträglichkeit getestet…
Jedoch nach
Duschen und Abendessen mit den besonders schmackhaften ukrainischen Gerichten
war die Stimmung am Feiertag wieder gerettet.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried
Newiger
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