Die Begegnung mit
ihr war ein wenig Rettung. Denn nachdem ich die Taxifahrt beim Chauffeur storniert
hatte, kam ich nicht ins Haus. Die Schlüssel waren ja nicht da und die Haustür
hatte ich in der Eile nicht offen gesperrt. Aber der Reihe nach.
Der
Hauptmieter unserer Wohnung war nicht da, weit weg – ich sollte folglich alle elektrischen
Anschlüsse abziehen, Sicherungen ausschalten und Ordnung hinterlassen. Hatte rechtzeitig
das Taxi zum Zentralen Busbahnhof bestellt, die gewünschten Aufgaben erledigt
und mein recht gewichtiges Gepäck vor die Wohnungstür gestellt. Denn die
Reparatur des Aufzugs, die mich schon seit dem 5. September 2016 täglich mindestens
zweimal 95 Stufen jeweils aufwärts und abwärts zu überwinden zwang, war noch
nicht beendet. Also hatte ich meine Lasten langsam und sicher abwärts zu
schleppen.
Die Tage zuvor waren wie auch der heutige recht warm. Deshalb war
ich täglich auch nur im kurzärmligen Hemd zu der Hose ausgegangen. Hatte die
Weste mit allen Dokumenten und den Euros im Schrank gelassen. Kleingeld für
dringende Ausgaben war wie immer in der Hosentasche. Dazu hatte ich am Vorabend
kontrolliert, ob alles vorher Erwähnte am Platz war und konnte der Reise
beruhigt entgegensehen.
Plötzlich auf Handy eine SMS. Das Taxi würde bald da
sein. Etwa eine Viertelstunde vor Verabredung. Abgelenkt von dieser Nachricht,
ging ich mit dem Gepäck vor die Wohnungstür, schloss sie ab und warf den
Schlüssel in den Briefschlitz. Packte Gepäckstück Rolli sowie die Tasche mit
Marschverpflegung und marschierte abwärts. Nach zwei Etagen stellte ich die Sachen
ab, holte die wesentlich schwerere Reisetasche nach.
Mit Rolli und Futter im
Erdgeschoß angekommen, setzte der Denkprozess
ein. „Wo sind Dokumente und Portemonnaie?“ Dass die im Kleiderschrank gut
aufgehoben, aber für mich aktuell unerreichbar waren, erklärte sich von selbst.
Fast hätte ich mich hingesetzt. Denn sofort begriff ich: meine Reise in die
Ukraine fällt heute aus. Also die Taxifahrt stornieren.
Deshalb stand ich auf
der Straße. Nicht nur im übertragenen Sinne, sondern wahrhaft. Überlegte die
weiteren Handlungen. Rief die Busfirma an, stornierte meine Reise zum zweiten
Mal, rief die Stieftochter an. Sie hatte Verbindung zu meiner Frau und zum
Hauptmieter. Erstere machte wenig schmeichelhafte Bemerkungen, der zweite hatte
nirgends eine Vertrauensperson „für alle Fälle“ und riet zum Schlüsseldienst.
Dorthin
kam ich über die Auskunft, welche dankenswerter Weise mich mit Herrn Herrmann
aus Moabit verband, für den Fall des Misslingens per SMS noch seine
Telefonnummer zusandte. Dann kam eine große, junge, kräftig gewachsene und
ansehnliche junge Frau zur Haustür. Sie ist, wie später klar wurde, Albanerin und auch Bewohnerin
des Hauses.
Nicht nur, dass sie mir die Haustür aufschloss – sie sah in ihren
Briefkasten und holte mich ein, als ich den Rolli zu schleppen begann. Bot mir
ihre Hilfe an und fragte, in welche Etage ich den müsse. Stolz lehnte ich ab –
aber sie griff sehr resolut das Gepäck und trug es bis vor die Wohnungstür. Ähnlich ging
sie mit meinem Gepäck aus der dritten Etage um. Als sie schwer atmend die Reisetasche
absetzte, fragte sie nach dem Ziel meiner Reise. Da erklärte ich ihr kurz
gefasst meine Misere.
Auf die Frage, wo ich denn unterkommen würde, verwies ich
auf den Schlüsseldienst. Verabschiedete mich mit einem Küsschen auf die Wange
der Errötenden. Mehr ist nicht drin…
Meister Herrmann kam wie verabredet. Seine
Leistungen wurden gewiss nach rechtlich abgestimmtem Tarif berechnet. Nur meine
Frau multiplizierte später sofort mit 30 und fragte zurück: „Für ein Schloss
öffnen 6000 Hrywna?“ Als ich bestätigte, darauf verwies, dass auch ein neuer
Sicherheitszylinder eingesetzt wurde, verlangte sie, dass ich die Rechnung
mitbrächte. Bloß morgen nicht vergessen…
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried
Newiger
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen