Freundin Xenia

           Wir waren schon fast eine Woche in der Stadt, als ich sie anrief. Da ich ihr das sagte, war sie erstaunt. Den Anruf hätte sie eher erwartet. Um sich zu verabreden. Ihr Wadim würde aus geschäftlichen Gründen am Sonntagvormittag für neun Tage wegfahren müssen – er hätte sich auch gerne mit mir unterhalten. Ich konnte erklären, dass die unerwarteten Schwierigkeiten beim Umbau der Spezialmaschine uns häufig bis spät abends im Werk gehalten hätten – mir weder die Zeit noch die Ungewissheit über die nächsten Tage erlaubten, mich bei ihnen zu melden. Wurde akzeptiert. Sie würde mit ihren vier Mopswelpen zur Markierung müssen – aber ansonsten wären sie beide gerne mit mir an diesem Abend noch zusammengekommen. Ich sagte zu, ging rasch im nahen Geschäft etwas Konfekt kaufen und packte meine Flasche deutschen Rotweins mit dazu. 
         Meine Kollegen, die mit der Speisekarte weder in Russisch noch in Englisch so recht zurechtkommen, baten mich, dass ich ihre Bestellungen im Lokal organisiere. Weil einer besonders hungrig war, bestellte er als Beilage zum gebackenen Lachs drei Portionen Kartoffeln – einmal fri, dazu doppelt nach Hausfrauenart gebraten. Die Serviererin war etwas unschlüssig. Ob sie auf zwei Tellern servieren solle. Ich meinte – vielleicht nicht besonders elegant – sie könne ihm das doch auch zusammen auf einem Backblech bringen. Dann ging ich zum Treffen mit Wadim, der mich vor dem Hotel mit seinem Auto erwartete. 
           Als wir ihren dunklen Hof betraten, bat er mich stehen zu bleiben, ging das Licht einschalten. Beinahe wäre ich über ein Gebinde voll Weißkohl gefallen. Da fragte ich, ob sie nun auch mit dem zu handeln begonnen hätten. Die Antwort: daraus würde das Sauerkraut für den Winter bereitet werden. Xenia, keine Schönheit, aber eine Frau mit Aura, begrüßte mich herzlich. Noch vor ihr war ihre Rassekatze bei mir aufgetaucht, sagte „Miau?“ zu mir. Weil ich daheim mit unserem Kater auch in seiner Sprache rede, antwortete ich ihr ebenso. Das interessierte sie sehr – sie kam näher und wiederholte ihre Frage. Mit entsprechender Antwort. Da begann sie, sich an meinen Beinen zu reiben und ich hob sie auf den Arm. Sie beschnupperte und beleckte meine Nase, legte sich dann in meinem Arm auf den Rücken und forderte so auf, ihren Bauch zu streicheln. Dies ist der größte Vertrauensbeweis von Tieren  die Stelle ist die ungeschützteste am Körper. Die Hausherrin hatte das alles mit Verwunderung gesehen. Ich konnte sie auch erst begrüßen, nachdem ich die Katze vorsichtig auf den Fußboden gesetzt hatte. Die hübsche dreizehnjährige Tochter und ihr älterer Bruder mit Freundin waren auch zur Begrüßung gekommen und erklärten unisono, dass noch kein anderer Gast von dieser Rassekatze, Siegerin auf nationalen und internationalen Ausstellungen, auf diese „familiäre“ Weise begrüßt wurde. Das Tier kam im Verlauf des Abends noch zweimal zu mir, um es sich auf meinen Oberschenkeln bequem zu machen, sich Kopf und Bauch kraulen zu lassen. 
            In Xenias einfach blitzsauberer Wohnung riecht es weder nach den 5 Katzen noch nach den 4 Möpsinnen. Dass dazu noch momentan 4 Mopswelpen und 9 kleine Rassekätzchen kamen, machte den Gang durch dieses Quartier zu einem wahren Vergnügen. 
           Xenia, von meinem relativ unerwarteten Auftauchen doch etwas überrascht, hatte einige der hier üblichen flach geklopften Fleischscheiben gebraten, servierte dazu auf einem Backblech in Folie gedünstetes Gemüse. Ich musste lachen, was die beiden verunsicherte. Da erzählte ich von meiner ungeschickten Bemerkung gegenüber der Kellnerin. Sie lachten mit über den Zufall. Das Abendessen war eine köstliche Kombination – denn dazu wurde noch Krautsalat, Pellkartoffeln und Weißbrot gereicht. Bei ein wenig Wein – auch aus eigener Produktion und dem gelobten Halbtrockenen aus Deutschland – sowie Kirschlikör eigenen Rezepts und einem Whisky als Bettbeschwerer gab es angeregte Unterhaltung. An ihr nahmen nur die Eltern teil. Die Jugendlichen hatten sich höflich zu ihren Beschäftigungen zurückgezogen. Nur ganz sacht störte ab und an das Töchterlein, um sich zu den Hausaufgaben Rat vom Vati zu holen. Welch wundervolle harmonische Atmosphäre in dieser Familie! 
           An diesem Abend besichtigte ich auch noch den Keller. Was Xenia dort an Obst und Gemüse, an Säften und Wein eingeweckt hat, ist für eine deutsche Familie sicher sehr beeindruckend. Die etwa 15 Eimer voll Pilze sind auch noch selbst von allen gemeinsam gesammelt worden. 

           „Meine“ Katze verabschiedete sich ebenso liebevoll von mir, wie sie mich empfangen hatte. 
           Mit meinen Freunden, genauer mit unseren haben wir wirklich Glück. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





Lächeln am Morgen...

           Auf dem Weg in das ostukrainische Industriegebiet das Typische – ein wegen der zu Ende gehenden Urlaubszeit bis zum letzten Platz voll besetzter Schnellzug. Das Abteil war eines aus der günstigen konstruktiven  Lösung – nur für vier Personen. Damit war der Aufstieg zur Liege in den zweiten Rang auch für einen älteren Herrn noch zu bewältigen, wenn auch mühsam. 
          Wir hatten keinen altersgerechteren unteren Liegeplatz mehr bekommen können – fünf Tage vor der Fahrt. Die ältere Frau in dieser Gruppe war auch noch erstaunlich gelenkig. Dass die etwas jüngeren Leute – er Bergmann, sie Hautärztin – ihre unteren Liegeplätze nicht mit uns tauschten, ließ sich deshalb verschmerzen. 
           Bisher hatte ich noch nie mit einem aktiven Bergmann unterhalten können. Er antwortete mir bereitwillig auf meine Fragen und war hin und wieder verwundert, wie sich jemand für ihm so vertraute, alltägliche Vorgänge und Ereignisse interessierte. Es ist natürlich auch eine ganz andere Arbeit, Kohle mit einer modernen Kombine abzubauen, als sie mit einer Spitzhacke aus dem Berg zu brechen. 
            Unsere Reise verlief ohne Zwischenfälle, wenn man die bemitleidenswerten Verkäufer von Textilien oder anderen Waren auf den Gängen in den Waggons zwischen einigen Stationen unbeachtet lässt. Aber auch sie wollen leben… Als ich dem Taxifahrer am Bahnhof als Ziel das „Bügeleisen“ nannte, eigentlich „Hotel Freundschaft“ (ein sich einseitig am Giebel wie Treppenstufen nach oben verjüngender Bau), war er sofort zugänglicher, weil ich seinen Fahrpreis übertrieben fand und ging mit dem gleich um 5 Hrywna herunter. 
         Die Hotelchefin saß selbst an der Rezeption und war sichtlich erfreut, dass wir aus einem deutschen Unternehmen erneut bei ihr Gäste sein würden. Sie erinnerte sich gerne an uns, die wir bei unserer letzten Dienstreise ihr zu ihrem Geburtstag als einzige ihrer ausländischen Gäste mit einem schönen Blumenstrauß gratuliert hatten. Auf meine Frage, weshalb sie die zu bestellenden Frühstücksmenüs nicht durch ein Buffet ersetze, bekam ich eine für mich erstaunliche Antwort. Es hätte Probleme mit den Kunden gegeben. Weil die meisten Geschäftsleute ihre Kraftfahrer in den bescheideneren Räumen mit einquartierten, jene aber aus Gewohnheit wie täglich früher aufstanden, seien die geschätzten Fleisch- und Wurstwaren bei Erscheinen der zahlenden Gäste immer schon aus dem Angebot verschwunden. Die Mitarbeiter begrüßten mich ebenfalls freundlich wie einen guten Bekannten, fragten, ob noch andere kämen. Sehr angenehme Atmosphäre. 
         Nach einigen Tagen hatten wir im Werk zusätzlich zu den täglichen Grußzeremonien zwei winzige, aber nette Erlebnisse. Eine der in der Produktion tätigen Frauen bemerkte, als wir ihr einen „Guten Tag!“ wünschten: „Guten Morgen! Schön, dass sie gekommen sind und die Sonne mitgebracht haben.“ Galant antwortete einer meiner Kollegen mit einer leichten Verneigung in ihre Richtung: „Ist doch selbstverständlich – die Sonne für die Sönnchen.“ 
          Am selbigen Morgen kam einer unserer Kollegen von einer Spezialmaschine zurück, nach Handschlag mit deren Bediener. Jener hatte ihm eine große Plastetüte mit wunderbar großen und wohlschmeckenden Weintrauben gereicht. „Von meinem Vater aus dem Dorf für euch.“ Was für eine unerwartete und auch großherzige Geste. Wenn man weiß, wie schwer es heute die Menschen in den meisten ukrainischen Dörfern haben. 
             So begann unser Arbeitstag mit einem Lächeln von und nach allen Seiten. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





Schirmpilze

           Schirmpilze kennen viele von ihnen sicher nicht. Sie heißen auch Parasolpilze. Schon der griechische Philosoph Sokrates meinte, dass es nichts Köstlicheres gäbe als eine Portion gebratener Parasolpilze. 
           Als ich gestern vom Bauernmarkt kam, wurden auf dem Mittelweg der Allee wunderbare Steinpilze angeboten. So, wie man sie von Fotos aus Pilzbüchern kennt. Groß, fest, die Stiele gesäubert. Vom Preis zwischen 6 bis 7 € das Kilogramm. Für hiesige Bedingungen – 60 bis 70 Hrywna – ein stolzer Preis. Die beiden Verkäuferinnen hatten in ihren Körben etwa 30 kg. 
           Weil ich schon eingekauft hatte, war mein Portemonnaie fast leer. Gerne hätte ich ein Kilo gekauft. Da sah ich am Rand der Reihe eine bescheidene Frau stehen – mit Schirmpilzen. Sie bot jene in kleinen Häufchen an – je 7–8 Stück für 5 Hrywna oder auch 50 Eurocent. Das passte mir. Ich fragte, wo denn die Stiele der Pilze seien und erfuhr wie erwartet, dass die holzig und damit ungenießbar sind. Als ich erzählte, dass ich die Stiele kleinschneide, trockne und dann durch die elektrische Kaffeemühle zu einem extrem schmackhaften Würzmehl für Soßen oder Aufläufe verarbeite, bedankte sie sich damit, dass sie mir einen schönen festen Schirm zusätzlich auf meinen Einkauf legte. 
           Wer sich zusätzliche Arbeit machen will, kann versuchen, die Deckhaut der Schirme abzuziehen. Ich lasse sie drauf, wasche die Schirme von oben und lasse sie abtrocknen auf Küchenserviette. Vor dem Braten wird der Pilz in geschlagenem Ei gewälzt, das mit Salz und Pfeffer gewürzt wurde. Anschließend hat man Brätlinge, die häufig besser schmecken als ein Steak. 
          Heute Morgen am Fluss lud mich ein Angler ein. Er war am Vortag Pilze suchen gewesen, hatte Steinpilze, Rotkappen, Maronen, Butterpilze und Schirmpilze mit heimgebracht. Seine Frau hatte ihm einige der gebratenen Schirmpilze zum Frühstück am Wasser eingepackt. Weil er mich als einen Laien einschätzte, bewirtete er mich mit der kalten Köstlichkeit. 
           Als ich ihm anschließend das Rezept für das Pilzmehl verriet, war er erstaunt, dass ich auch auf diesem Gebiet Bescheid weiß. 
            Schließlich traf ich am Ende des Spazierganges den 82 Jahre alten ehemaligen Schiffsmaschinisten, mit dem mich eine langjährige enge Bekanntschaft verbindet. Weil er im Sommer gewöhnlich auf der Datsche lebt, sehen wir uns seltener. Da erst vor einer Woche wieder ein 60-jähriger aus der Nachbarschaft auf die andere Seite der Ewigkeit gewechselt war, verständigten wir uns darüber, dass wir beide aus unbekanntem Grund vom Schicksal bevorteilt werden. 
           Wir freuen uns darüber, deshalb zwingen wir uns zur Bewegung, auch wenn ab und an das Zipperlein uns bremsen will. Auf diese Weise haben wir jeden Morgen das Vergnügen, im Spiegel einen guten alten Bekannten wiederzusehen. 
           Er erzählte mir einen Witz, der mit gefiel. Dazu muss man wissen: hier stellen oder setzen sich Männer zum Trinken von Bier oder härteren Sachen gewöhnlich zu dritt an die Tische. 

          Die Ehefrau legt ihrem Mann soeben gebügelte Hosen hin, ein frisches Hemd, sucht die Monatskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel heraus. Er bittet sie in der Tür um etwas Geld. „Wozu brauchst du auf Arbeit Geld?“ „Wenn ich auf dem Heimweg jemanden treffe, kann ich der dritte in der Runde sein.“ „Liebling, komm besser gleich nach Hause. Dann bist du der erste.“ 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





Namenstag

           Gestern war Nataschas Namenstag. Wie immer – ich wusste das nicht. Wurde aber durch meine Anglerfreunde darauf hingewiesen. Um das vorweg zu nehmen: das sind keine Säufer. Aber als ich bei leichtem Morgennebel über dem Fluss mit raschem Schritt auf der Brücke den 82-jährigen einholte, passte ich mich seinem Tempo an. Schneller zu gehen wäre einfach nur unhöflich gewesen. 
           Wir kamen an den Platz, auf welchem Vitalij schon saß und auch schon Fisch gefangen hatte. Boris Petrowitsch an meiner Seite  lächelte verschmitzt und lud mich ein, auf Nataschas Gesundheit einen guten Selbstgebrannten mit ihnen zu trinken. Ich meinte, dass ich zwar mit Natascha verheiratet bin, aber keinen Grund dafür sehe, am frühem Morgen einen zu heben. Ich hätte ja auch keinen Selbstgebrannten dabei, natürlich auch keine „Bierhappen“ (wie ich die „sakuski“ übersetze). 
          Beide grinsten und informierten mich, dass heute Namenstag von Natascha wäre – einer hätte eine Tochter mit diesem Vornamen, der andere eine geliebte Enkelin. Ich wäre bei ihnen der Dritte in der Runde. Sie hätten schon alles vorbereitet – Petrowitsch auch denselbst von ihm gebrannten Wodka mitgebracht. Dazu soll man wissen, dass sich gewöhnlich die hiesigen Säufer „zu dritt“ zusammenfinden. Meine diesbezügliche Bemerkung wurde abgeblockt – wir hätten einen Grund. Also bekam ich meinen Becher mit etwa 80 ml Wodka, dazu ein Stück Brot mit hausgemachter Blutwurst darauf und eine geteilte Tomate. Wir tranken auf unsere lieben Nataschas. Dann setzten wir mit Hund den Spaziergang fort.
                Der Nebel stieg langsam auf – die sich schon herbstlich einfärbende Landschaft kam immer mehr zum Vorschein, glänzte beginnend bunt in der Herbstsonne. Plötzlich fühlte ich ein intensives Brennen in der linken Hand. Unter der zusammengerollten Hundeleine hatte sich eine Wespe eingenistet und mich gestochen. Den Stachel, den sie in der Haut zurück gelassen hatte, konnte ich herausziehen. Das Insekt fiel zu Boden. Wir gingen weiter – die Einstichstelle schmerzte immer intensiver. 
           Daheim wünschte ich meiner Guten etwas zu ihrem Feiertag. Sie konterte: „Wo hast du Alkoholiker am frühen Morgen schon getrunken?“ Nach Bericht mit den besten Wünschen der „Zechkumpane“ vergab sie mir die Entgleisung. Fragte aber sofort: „Was hast du mir noch mitgebracht?“ Ich verstand nicht. „Was hast du da in der Hand?“ Meine linke Hand war außen stark angeschwollen und machte aus der Entfernung den Eindruck, als ob in ihr etwas versteckt war. Ich bemerkte die Entwicklung an der Stelle erst nach dieser Frage und erzählte vom Wespenstich. 
           Ungeachtet dieser „Verwundung“, welche mir gestern das etwas raschere Schreiben am PC unmöglich machte, wurde ich auf den Basar geschickt. Auf dem Weg nach dort saßen „Einzelhändler“ wie üblich am Überweg auf der Allee. Eine von den vorwiegend Frauen hatte einen Korb voll wunderbar fester Rotkappen (Pilze) vor sich, verkaufte das Kilogramm für 3,50 € (35 Hrywna). Ich nahm vier besonders schöne Pilze und schmorte sie anlässlich des Namenstages. Mit Buchweizengrütze dazu – ein echtes Festmahl. 
          Am Nachmittag dann noch der Versuch aus London, uns besonders reich machen zu wollen. Die angeblich seriöse Anwaltskanzlei Andrews&Kurth mit der etwas seltsamen Website  www.andrewskurth.com versuchte mich davon zu überzeugen, dass mir ein ferner Verwandter, der mit Frau und Sohn bei einem Autounfall leider ums Leben gekommen sei, eine beträchtliche Summe hinterlassen hätte. Weil ich schon erstaunt war, das Angebot auf Russisch zu bekommen, sah ich besonders genau hin. Das Geld würde in einem Medienkonzern in Ghana stecken. Den Leuten habe ich meine Verbindung gesperrt. 

Seien auch Sie vorsichtig. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





Rat suchender Nachbar...

          Das Freudige am gestrigen Morgenspaziergang waren zwei Eisvögel. Den einen sah ich nur abfliegen – schön wie er auch genannt wird – „fliegender Edelstein“. Den anderen erblickte ich in einer winzigen steilen Bucht auf einer herausragenden Wurzel. Ich sah ihn von oben durch das Gezweig, etwa 2,5 m von meinen Augen bis zu ihm. Erstmals aus dieser Perspektive. Deshalb sah er unerwartet anders aus. Die Flügel blaugrau, der Rücken in einer relativ starken grünen Linie. Ich blieb, als ich ihn aufgefasst hatte, wie angewurzelt stehen. In Erwartung, dass er sich auf eine Beute stürzen würde. Aber im Wasser unter ihm schien sich nichts zu bewegen – er flog ab. 
          Auf dem Rückweg überholte uns laufend ein sehr ansehnliches junges Mädchen. Etwa 20 m danach stürzte sie unvermittelt. Wir waren rasch genug bei ihr – aber sie hatte sich angeblich nicht weh getan und lief nach Abklopfen der Sportkleidung weiter. Schadenfreude kam aber bei mir nicht auf. 

          Am Nachmittag erlebte ich etwas, das ich erst jetzt bei „auch erfreulich“ einordnen will. Auf der Mittelallee kam uns ein Mann entgegen, den ich vom Sehen kannte. Er wohnt in der Nachbarschaft – wenn man einen 9-Stöcker so bezeichnen will. Er grüßte freundlich, wenn auch schwermütig. Dann sagte er: „Ich sehe sie und ihre Frau häufig. Ich weiß auch, dass sie Deutscher und ein kluger Mensch sind. Können sie mir sagen, warum mich das Schicksal so beutelt?“ Ich fragte ihn, wie er zu dieser Einschätzung käme. „Vor 3 Jahren habe ich meinen Vater begraben, vor zwei Jahren starb meine Mutter, vergangene Woche meine liebe Frau. Warum tut mir das Schicksal das an?“ Da musste ich erst einmal Luft holen. Ich drückte ihm mein Beileid aus und sprach davon, dass ich erst vor 5 Wochen meinen jüngeren Bruder hatte mit zu Grabe tragen müssen – ich ihn also verstände.  Dann sagte ich – nicht besonders delikat, ich weiß –  dass das Leid mit der Zeit verblassen würde und er in seinem Alter noch eine Partnerin finden könne. 
          Er antwortete, dass sie 37 Jahre verheiratet waren und das sehr glücklich. Sie hätten einander das Versprechen gegeben, nach dem Hinscheiden eines von ihnen nicht wieder zu heiraten. Da fiel mir ein, ihn nach Enkeln zu fragen. Kinder sehen andere Partner gewöhnlich nicht gerne, sind deshalb zu Elternteilen gewöhnlich etwas zurückhaltend. Enkel haben andere Interessen, sind für liebevolle Großeltern viel offener. Also stellte ich meine Argumente darauf ab, dass er seinen Enkeln nötig ist – als liebevoller Opa, immer bereit, ihnen dann beiseite zu stehen, wenn die Eltern das nicht können.  Ich fand eine Menge von Gründen, die ihn darauf fixierten, eine Aufgabe zu erfüllen, die für ihn Lebensinhalt werden könnte. Nach einiger Zeit merkte ich, dass meine Argumente ihr Ziel erreichten. 
          Bevor wir uns verabschiedeten, sagte er mir: „So habe ich richtig gehandelt, dass ich sie ansprach – sie wurden mir als ein Mensch mit großer Lebenserfahrung beschrieben. Danke für ihre Unterstützung.“ 
          Das war erst nach etwas Überlegung erfreulich. 

Bleiben Sie recht gesund. 

Ihr 

Siegfried Newiger







Einladung am Ufer...

          Meine Eheliebste hatte Freunden einen Gefallen getan. Weil die verreisen wollten, sie aber wichtige Unterlagen sehr spät bekommen hatten, spielte sie den Kurier. Etwas über 600 km in eine Richtung. 
          Deshalb hatte ich nicht erfasst, dass heute in der Ukraine ein Feiertag ist – der Tag der Unabhängigkeit. Für mich ist das in der modernen Welt ein etwas verschwommener Begriff – wo doch alles so stark mit einander verwoben ist. Da sollte hinter dieses Wort doch seine Begriffsbestimmung stehen. Für alle, die von außen oder eine Generation später dazu stoßen… 

          Als ich am Fluss angekommen war, begrüßten mich zwei Angler mit den Worten „S prasdnikom!“ – „Zum Feiertag!“. Ich antwortete so rituell höflich, wie sich das hier gehört. Fragte dann aber nach, weswegen. „Heute ist Unabhängigkeitstag. Weil die Fische frei machen, komme mal her und trinke mit uns einen.“ Ablehnen konnte ich wohl. Aber das hätte wenn nicht gleich den Abbruch diplomatischer Beziehungen bedeutet, so doch einen Schatten auf das gute Verhältnis geworfen. Die 50 gr Selbstgebrannter brannten im Rachen, ein Stück Brot mit gekochtem Fleisch und eine halbe Tomate zum Nachessen machten es erträglicher. Nach Anhören eines systemkritischen politischen Witzes ging ich meiner Wege. 
          Wir wollten mit dem Hund – der ein Stück Schweineschwarte bekommen hatte – unsere Norm erledigen. Wie jeden Tag 5 Kilometer Spaziergang in raschem Tempo. 
          Als wir zurück kamen, bekam ich die nächste Einladung. Die wollte ich ausschlagen – wurde aber „überlistet“. Man möchte, dass ich einen Trinkspruch ausbringe und verhindern, dass ich von der Zimmerdecke falle. Letzteres verstand ich nicht. Zur Erklärung sei man nach dem nächsten Schluck bereit. Ich ließ mir ein paar vernünftige Sätze einfallen – wir tranken, schon kein Selbstgebrannter mehr. Nachdem ich nachgegessen hatte, bekam ich die versprochene Erklärung. 
          „Ein Mann erzählt seinem Freund, dass sein Kater wie wild durch das Zimmer rennt, auch an der Stubendecke entlang. Der Freund bezweifelt das. Daraufhin wird er gebeten, mit ins Haus zu kommen. Der Hausherr gibt seinem Kater ein Glas Benzin zum Saufen. Danach rast der durch das Zimmer, auch die Decke entlang. Von der fällt er plötzlich herunter. Das Herrchen meint: „Das Benzin ist alle.“ Wir wollen bei dir vorbeugen.“ Nach freundlichem Gelächter verabschiedeten wir uns voneinander. 

          Nachdem ich den Hund heimgebracht und gefüttert hatte, den Kater auch mit etwas frischem Gras, ging ich in gehobener Stimmung auf den Basar. Nur meine gute Freundin Katja bemerkte etwas. „Sie sehen heute so glücklich aus – freut sie der Feiertag so?“ Ich erzählte ihr das, was ich an einem Gewässer in Deutschland wohl kaum erleben dürfte. Die junge Frau sah mich etwas irritiert an. „Dass sie am frühen Morgen eine solche Einladung annehmen, hätte ich nie gedacht. Sie sind wahrhaft hier schon integriert.“ Das war Kritik und Lob in einem. 
          So ist eben das Leben… 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger







Siegfried Germanowitsch...

          Meine Fähigkeiten im Raten von Kreuzworträtseln sind bescheiden. Vor allem, weil ich nicht in Übung bin. Aber auch, weil ich lieber lese. 
          In den letzten Wochen habe ich „Rangas Welt“ begonnen. (ISBN 978-3-462-04471-3) Da reichen täglich drei-vier Geschichtchen, um im Nachhinein viel von der Physik und Chemie zu verstehen, die ich einmal glaubte verstanden zu haben. 
          Davor las ich das von den Engländern R. F. Toliver und T. J. Konstable (keine exakte Angaben zu der richtigen Schreibweise gefunden) geschriebene und von A. G. Bolnych ins Russische übersetzte und sehr vernünftig kommentierte „Das beste As des Zweiten Weltkrieges“. Über den deutschen Jagdflieger Erich Hartmann. Ich bin kein Faschist, das Buch handelt in erster Linie von einem begabten Flieger und ritterlichem Offizier – als achtenswerter Gegner den Verfassern die vielen Seiten wert. Sie haben mich von soldatischen und persönlichen Qualitäten ihres Helden überzeugt. Vor allem alles das, was zur russischen bzw. sowjetischen Seite seiner Erlebnisse im Kampf um das Überleben gehörte, ist mir aus den neusten Erkenntnissen russischer Schriftsteller und Filmemacher sowie dem Leben innerhalb der von beiden Extremen betroffenen Völker sehr klar geworden. Auch Vor- und Nachwort des Übersetzers zeugen davon, dass die zweite Ausgabe dieses Werkes wirklich ohne Zensur geschrieben und gedruckt ist. 
          Dass Hartmann es wegen seiner Geradlinigkeit in der Bundeswehr nur bis zum Obersten gebracht hat, zeigt das, was allen Armeen eigen ist: Können und Karriere sind zwei unterschiedliche Schuhe. 
          Denn als drittes Buch habe ich „Die Fernbomberkräfte…“ vor mir, die Erinnerungen des Hauptmarschall der Luftstreitkräfte Alexander Jewgenjewitsch Golowanow von 1941 bis 1945. Es eröffnet für mich eine ganz neue Sicht auf Stalin. Noch nie habe ich über den Diktator so fundiert Charakterschilderungen gelesen. Sie stützen einerseits seine Beurteilung als hoch befähigte Persönlichkeit – enthalten aber auch Bemerkungen zur Schattenseite seiner Lenkung des Landes. 
          Was hat das mit der Überschrift zu tun? 
          Das Buch zu Erich Hartmann habe ich an einen ehemaligen Seemann der sowjetischen Handelsmarine verliehen. Hauptmechaniker aus dem Maschinenbereich. Er ist  82 Jahre alt und allseitig aktiv, fragt mich häufig zu den unterschiedlichsten Problemen technischer und gesellschaftlicher Art. Er ist jemand, dem das nicht droht, was aktuell auf meinem anderen Blog beschrieben ist: 
          Seine Fragen zum deutsch-russischen Verhältnis nach Lesen des Buches waren bemerkenswert. Eine allerdings ehrenhaft: „Siegfried, haben sie eigentlich einen Vatersnamen?“ Für alle, die das nicht ohne Weiteres einordnen können: Zar Peter der Erste hat in Russland die Sitte eingeführt, Kindern als Unterscheidungsmerkmal und Zeichen persönlicher Achtung den Vatersnamen beizuordnen. Ab einem gewissen Alter oder wenn sich ein junger Mensch durch besondere persönliche Vorzüge aus der Masse heraushebt, wird diese Zuwendung üblich. Da antwortete ich: „Ja, mein Vater hieß Hermann.“ (Im Russischen wegen des fehlenden „H“ im kyrillischen Alphabet German) „Darf ich sie dann Siegfried Germanowitsch nennen?“ „Natürlich, Pjotr Nikolajewitsch.“ So bin ich endgültig unter seine Freunde aufgenommen. Was mir viel bedeutet. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





Hundstage...

Die Hundstage beginnen nach altem Brauch in Europa etwa um den 22./23. Juli. Aber die Temperaturen sind hier in der Ukraine gegenwärtig schon so hoch. Voreilig.
Heute gegen 05.30 Uhr gingen wir spazieren – der Hund und ich. Um nicht so bärisch zu schwitzen wie zu späterer Zeit. Auf die Idee kommen allerdings auch andere Hundefreunde.
Als erstes trafen wir einen Chow-Chow. Der relativ große und alte Rüde fängt beim Treffen mit anderen Hunden immer an zu wimmern wie ein Welpe, welcher den Schutz der Hündin anruft. Das Gebahren ist bekannt und andererseits dennoch eigenartig.
Dann kam ein Bekannter mit seinem kräftigen deutschen Schäferhund uns schon auf dem Heimweg entgegen. Beide Rüden sind nicht regelrecht böse aufeinander, knurren aber laut und warnend beim aneinander  Vorbeilaufen. Selbst wenn die Entfernung zwischen ihnen bis zu 5 Metern beträgt. Die Besitzer grüßen sich dagegen freundlich.
Auf einem Seitenweg bewies eine riesige deutsche Dogge, schwarz-weiß gefleckt, ihrem Besitzer ihre Freundschaft. Der gewaltige, allerdings schlanke Rüde richtete sich auf die Hinterbeine auf und umarmte mit den Vorderpfoten das Herrchen. Dabei ragte der Kopf des Hundes weit über das Haupt des Mannes hinaus. Dem Hundehalter war anzusehen, dass es sich gegen das Gewicht des Tieres stemmen musste, um nicht umgeworfen zu werden. Ein Bild für die Götter!
Nachdem wir umgekehrt waren, kam uns der Hund entgegen, wegen dessen Spuren an mir ich diesen Post schreibe. Der junge Rüde vom Stamm der japanischen Akita. Angeleint beim Hundeführer, mit dem ich einen Händedruck tauschte. Danach wandte ich mich dem Junghund zu. Dieser scheint mich trotz kurzer Zeit unserer Bekanntschaft zu mögen. Also erhob er sich auf die Hinterbeine und legte die Vorderpfoten auf meinen nackten Unterarm. Natürlich streichelte ich ihn für diesen Sympathiebeweis. Vor allem auch deswegen, weil dies ein besonders schmucker Vertreter der Rasse ist. Allerdings hat er auch scharfe Nägel an den Zehen. Als Ergebnis – eine blutende Wunde. Allerdings trocknete die bei der beginnenden Hitze schon rasch an.
Bis zum nächsten Hund waren es einige hundert Meter, auf denen Stockentenpärchen, ganze Familien von ihnen und ein Buntspecht den Weg abwechslungsreich machten. Dann aber kam der Hund, den ich gestern als Staffordshire Bullterrier bestimmt hatte. Jedoch mit Abstrichen.
Also fragte ich nach höflicher Anrede das Herrchen, zu welcher Rasse der Hund gehört. Ein schwarzer Canecorso! Von diesem Italiener hatte ich schon gelesen. Durch seinem Besitzer eingeschätzt als der ruhigste ihm bekannte Hund. Nicht aggressiv gegen andere Hunde – er „bemerkt“ unseren Kai einfach nicht. Der seinerseits umgeht den Rüden aus einer massigen Molosserart ganz vorsichtig.
So kommen immer mehr Kenntnisse zu Hunden dazu.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger







Gartenstuhl...

          Wenn von allen Seiten Informationen auf uns einprasseln, ist auswählen schwer. Vor allem dann, wenn die Texte in Russisch sind und Sie den Inhalt gewöhnlich in Deutsch oder Englisch brauchen.
Hier geht es aber um den Alltag. Nur: den Post muss ja jemand schreiben. Das ist mühselig, wenn das 10-Finger-System weit weg liegt. Allerdings sollte das ja kein Hindernis sein. Wenn den Internet-Informationen zu trauen ist, hat Sokrates erst mit 70 Jahren einige Instrumente zu spielen gelernt und es darin zu gewisser Meisterschaft gebracht. Vielleicht nehme ich mir das Schnellschreiben auch noch vor…
          Zum Thema. Dazu habe ich einen Tag nachgedacht – aber es ist wesentlich. Als ich gestern vom Spaziergang mit unserem Hund zurück kam, hatten wir schon einige Erlebnisse und rund 4 km hinter uns. Zu Beginn des Weges trafen wir Hera – eine wunderhübsche Golden-Retriever-Hündin. Sie kam auf meinen Ruf hin herangesprungen, ihre Herrin toleriert das – Kai ganz besonders. Nach der Trennung lief uns ein kreuzgefährlich aussehender Staffordshire Bullterrier-Rüde über den Weg. Der kräftige Hund nahm von unserem keine Notiz und Kai hütete sich davor, dem anderen hinterherzulaufen.
          Am Reck auf der Lichtung übte die etwa 40-jährige hübsche Frau, dehnte und streckte sich – fast aufreizend. Die freundliche Blondine war offensichtlich früher aufgestanden als wir. Sonst läuft sie uns erst auf unserem Heimweg entgegen…
          Am Wendepunkt des Weges konnte Kai noch ein wenig mit einer Englisch-Spaniel-Dame spielen – eindeutig wesentlich jünger als er. Aber er echt Kerl. Wenn etwas Jüngeres ruft, immer bereit und Brust raus. Gleichaltrige Spielgefährten lässt er links stehen…

Der schmucke Eisvogel, den ich abfliegen sah, kehrte zurück. Anscheinend war die kleine Bucht für ihn ein gutes Jagdrevier. Seine enge Kurve vollführte er in der Art eines Jagdflugzeugs – mit starker Schräglage und ohne Höhenverlust. Er landete auf einem vorstehenden Ast etwa eine Meter weiter als jener, von dem er gestartet war.
         Nach rund 150 m erreichten wir die „große Bucht“. Die Blondine war schon fort. Im Wasser planschten Schüler, die ich in den letzten Tagen häufiger getroffen habe. Sie sind in einer Art Trainingslager. Als wir fast am Prophylaktorium waren, überholten sie uns im Laufschritt. Allerdings mussten sie plötzlich anhalten und warten.

          Durch die enge Pforte zum Fluss hin quälte sich eine alte, körperlich sehr behinderte Frau. Stark im Bereich Wirbelsäule verkrümmt. Sie war offensichtlich den Hang herunter ebenso gekommen – auf einen Gartenstuhl aus Plaste gestützt. Anscheinend hatte sie das Geld nicht, sich einen Laufwagen zu kaufen. Also nahm sie, was sie fand. So groß war der Wunsch, gemeinsam mit ihrer alten Hündin einmal ans Flussufer zu kommen. Die Jugendlichen sahen die fast verzweifelten Bemühungen der invaliden Frau und verstummten. Ohne Hilfe bewältigte sie die Enge – die Kinder liefen durch, sicher zum Frühstück. Welch ein Kontrast. Die jungen Burschen scheinen ihn gefühlsmäßig erfasst zu haben.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr


Siegfried Newiger





Fiel eine Birne auf die Birne...

      Das war beim heutigen Morgenspaziergang mit Hund. Ich musste mich nicht nur körperlich ein wenig plagen. Sondern angestrengt nachdenken. Es ging darum, eine wirklich wesentliche Entscheidung vorzubereiten. Weil eben an diesem Tag viele bekannte und unbekannte Hunde mit ihren Begleitern unterwegs waren, darunter die ersten Hündinnen mit Anzeichen beginnender Läufigkeit, die unser Rüde sofort "erschnüffelte", wurde es problematisch. Denn der mittelgroße russische Jagdspaniel  (hier daneben) ist eben für eine fast doppelt so hohe Hündin der Rasse Alabai kein passender Partner. Das will der paarungsgewillte Rüde nicht einfach so einsehen. Auf menschlich: sie will doch! Also eine Aufgabe etwa dieser Art - den Enkel von der Disko abbringen...  
       Dann kam etwas, was bei Newton angeblich zur Erkenntnis führte. Nicht ein Apfel, sondern eine wilde Birne fiel mir auf den Kopf. Zum Glück nicht matschig, aber aus solcher Höhe, dass sie auf meinem Scheitel zerplatzte. Ich blieb erst einmal stehen wie vom Blitz getroffen. Und hatte erstaunlicher Weise eben in diesem Moment den entscheidenden Einfall. Für die Lösung meines Problems. 
          Weil ich jemanden kenne, der sich - etwas selbstherrlich - den zusätzlichen Vornamen "Newton" zugelegt hat, weil ihm vor Jahren eine nicht unwesentliche Eingebung in den Sinn kam, war ich unsicher. Kam aber schnell wieder auf die Erde. Meinen zweiten Vornamen haben mir meine lieben Eltern gegeben. Einen Künstlernamen brauche ich auch nicht.Also wird "die Birne auf die Birne" keine personenstandsrechtlichen Folgen haben.
          Aber in Zukunft werde ich im Fallbereich öfter einen Bogen machen. Denn mit der Reife werden die Birnen saftig-matschiger...

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Nonne Schwester Anna

                    Ein Mann geht am Frauenkloster vorbei und sieht am Tor ein Plakat: „Sex mit einer hübschen jungen Nonne für 100 €.“ Er schaut sich um, dann in sein Portemonnaie. Klingelt und klopft. Ihm öffnet eine hübsche junge Frau. „Ich komme auf das Angebot hin.“ „Geld aber voraus.“ Er zahlt. Sie: „Am Ende des Korridors die letzte Tür links. Ich komme gleich.“
                    Er eilt zur Tür, öffnet die – nach innen. Die zweite Tür geht nach außen auf, während die erste ins Schloß fällt. Er steht auf der Straße. Auf der zweiten, hinter ihm geschlossenen Tür: „Sie hatten heute das Vergnügen mit Schwester Anna.“

                    An die Türen kam ich nicht, weil ich nicht gezahlt habe. Hier der Betrugsversuch, als Warnung für meine Leser. Die Kopie eines e-mail an mich, während meines Urlaubs.

17.07.2013 12:55, Inkasso Anwaltschaft 
Nils Munzer <l.adam15@laposte.net>

Guten Tag Newiger Siegfried,

bei der Firma Limango GmbH liegt Ihre nicht bezahlte Bestellung vom 04.06.2013 vor.
Da Sie mehrere Erringungen nicht beachtet haben, wurde unsere Anwaltskanzlei beauftragt die gesetzlichen Rechte des Unternehmens Limango GmbH zu schützen.
Der Rechnungsbetrag der Bestellung inklusive der Versandkosten entspricht 261,96 Euro. Zuzüglich wird Ihnen eine Mahngebühr von 18,00 Euro verrechnet und die Kosten unserer Beauftragung von 10,47 Euro.
Wir geben Ihnen letzte Möglichkeit bis zum 26.07.2013 den gesamten Betrag an das Konto von Limango GmbH zu überweisen. Falls Sie die Zahlung nicht tätigen müssen Sie mit weiteren Kosten rechnen.
Die Lieferdaten der Bestellung und die Kontonummer finden Sie im angehängten Ordner.

 Mit freundlichen Grüßen

 Nils Münzer
 Anwaltschaft
  
 Limango GmbH
www.limango.de
 Kontakt E-Mail: shop@limango.de

                    Mein PC hat den angehängten Ordner als vireninfiziert erkannt und nicht geladen.
                    Ordnungsgemäß habe ich geantwortet, mich gegen die angebliche Bestellung gewehrt.
                    Danach habe ich zwei Tage gewartet und an die Firma Limango geschrieben. Mit obiger Kopie. Von dort bekam ich höfliche Antwort. Als Kunde sei ich bei ihnen nicht erfasst. Unter anderem noch die Information, dass diese Art versuchten Betrugs sich „Pishing“ nennt, ich keine Angaben an den Absender geben solle. Mir wurde geraten, wie sie eine rechtliche Verfolgung anzustreben. Unter Beachtung dessen, was Sie weiter unter http://www.youtube.com/watch?v=8z99MO8uv2U finden können, habe ich das gelassen.

                    Wenn Sie solche oder ähnliche Post bekommen, schauen Sie sich bitte diese genau an. Juristen pflegen ein genaues Deutsch, haben Vordrucke, die genau geprüft wurden. Jedes Wort.
                    Schon die e-mail-Adresse ist aussagekräftig: 
                    Nils Munzer <l.adam15@laposte.net> Das kann gewollt sein, ist dann aber ungewöhnlich.
                    Es fehlen die Angaben der Geschäftsanschrift mit Telefon und Fax – absolut auffällig.
                    Kein Jurist redet offiziell so an: Guten Tag Newiger Siegfried
              Solche Fehler sind in typischen Vordrucken absolut ausgeschlossen: 
                    Erringungen statt Erinnerungen
                    
                    Der folgende Block täuscht Seriosität vor:
                     Limango GmbH
                     www.limango.de
                     Kontakt E-Mail: shop@limango.de

                    Von Anwalt Münzer habe ich bis heute auf mein höfliches Anschreiben keine Antwort.
                    Schwester Anna blieb auch hier hinter der Tür.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger











Heimreise

In http://mein-ostblock.blogspot.de/ habe ich unsere kurze, aber interessante Visite auf der Krim beschrieben. Denn das Anliegen des darüber genannten Blogs ist es ja, das Verständnis für die Ukraine und Russland in Deutschland und anderswo auch mit den kleinen Erlebnissen im Lande selbst zu entwickeln. Die Heimreise wird – wegen anderer Spezifik – auf diesem Erlebnis-Blog besprochen.

Als wir am Vorabend der Abreise vom Strand zurück zum Heim unserer Gastgeber fuhren, kamen wir an einem großen Garten, genauer einer Pfirsichplantage vorbei. Die Verkäufer waren schon dabei, Stand und Ware zusammenzupacken. Allerdings standen bei ihnen noch zwei Pappkisten mit reifen, frisch gepflückten Pfirsichen auf dem Tisch. Sie waren ohne Feilschen sofort bereit, meiner Frau die rund 10 kg Obst für den lächerlichen Preis von 40 Hrywna (4 Euro) zu überlassen. Als beide Behälter auf dem Rücksitz standen, ging von den Früchten ein meinen Appetit anregender Duft aus. Ohne die Regel zu beachten, das Obst erst zu waschen, ließ ich mir vom hinten sitzenden Anatolij drei der Früchte reichen und aß sie mit Genuss. Sie waren so, wie es der Duft versprach: reif, süß und saftig.

Nachdem uns Ljuba am nächsten Morgen mit nach ihrer Meinung ausreichendem Proviant versorgt hatte – natürlich zu viel, typisch ukrainisch – verabschiedeten wir uns herzlich voneinander und machten uns auf den Weg. Eine etwas andere Streckenführung über aus Erfahrung der Einheimischen besserer Streckenabschnitte. Aber wie in der Jahreszeit typisch mit an den Straßenrändern aufgetürmten gerade erst geernteten Wasser- und Honigmelonen. Wo bekommt man für nur 2 Hrywna (etwa 20 Cent) je Kilogramm so duftige und wohlschmeckende Melonen wie die aus der Gegend von Cherson?

Ein Stückchen weiter kaufte meine Natascha die uns bis daher unbekannte Samsa. Das sind in Öl gebackene runde Teigtaschen, gewöhnlich gefüllt mit wenig Fleisch und viel Zwiebel. Für meinen Geschmack zu fettig und nicht ausreichend gewürzt. Ein gutes Zeichen das letztere – eindeutig nicht der Versuch, irgendwelchen Pfusch durch Gewürz zu überdecken.

Eine Überraschung gab es für mich noch. An einem Stand, wo meine Frau Honigmelonen kaufen wollte, erschien plötzlich von Felde her ein junger Alabai. Neugierig, aber trotz imposanter Größe schüchtern. Er wurde nach einiger Zeit zutraulich. Als die Verkäuferin uns eine Melone anschnitt, schaute das Tier sie bettelnd an. Sie gab ihm eine Scheibe mit Schale, welche der Hund mit Appetit fraß. Ich brach ihm von meiner Scheibe ein Stück ab – das vertilgte er auch. Als ich allein die Schale weit weg  in den Straßengraben warf, holte er sich auch die. So etwas habe ich erstmalig erlebt.
Mit den Honigmelonen zusammen verströmten nun die Pfirsiche für unsere Reise im Auto ein so angenehmes Aroma, das vor allem nicht aus einem Plastik-Aufhänger, sondern aus natürlichen Quellen stammte. Unser Sohn, auch ein „Nasenmensch“, stellte abends beim Entladen die Frage, wie wir das bei der Intensität des Duftes im Fahrzeug ausgehalten hätten. Gut, dass die gekauften Weintrauben nicht auch noch etwas dazu gaben…

Hund und Kater begrüßten uns wie immer überschwänglich. Unser gewohnter Heimzoo. 

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger







Am Tag davor...

                Weil ich schon seit Jahren in der Ukraine lebe, wir aber noch nie gemeinsam auf der Krim waren, genauer: ich nie, wurde beschlossen, mich dorthin zu chauffieren. Damit ich die dortigen Sehenswürdigkeiten auch bewundern könne. Am Vortag der Reise war unser Hund schon aufgeregt. Erstaunlich wie Tiere fühlen, dass etwas vorgeht, was die gewohnte Ordnung durcheinander bringt.
                Der Morgenspaziergang am Tag davor war wieder einmal mit den „kleinen Wundern“ gespickt – wie ich die Beobachtungen nenne, welche mir Freude bereiten. Da schwamm ein Schoof Stockenten auf dem Wasser – mit der Entenmutter 8 schon recht große Jungenten, die vor einiger Zeit noch zehn gewesen waren. Es war nur zu spekulieren, wer unter den Räubern am und im Fluss zwei gefressen hatten. Nach etwa fünf Minuten eine weitere „Flotte“ – mit Mutter 11 kleine Jungenten. „Kinder einer späten Liebe“ – wie mein Jägerfreund Nikolai sie nennt Sie werden zum Herbst ausgewachsen und auch weniger sein…
                Auf einer Lichtung, in den leider unschönen Abfällen vom Picknick-Sonntag wühlend, vier Nebelkrähen. Zwei davon eindeutig Jungtiere. Immer wenn die Alten etwas Fressbares gefunden hatten, stellten sie sich mit hochgereckten Schnäbeln vor diese, um sich nach Nestgewohnheit füttern zu lassen. Allerdings blieben die Eltern hart. Sie veranlassten die „Faulenzer“ – nach menschlichem Verständnis – das gefundene „Futter“ selbst aufzuheben und danach zu schlucken.
                Eine ähnliche Situation beobachtete ich zwei Wochen davor. Zwar hatte ich die einst auf einer großen Eiche nistenden Raben hin und wieder gehört, aber am erwähnten Baum nicht wieder gesehen. Nun saßen die großen schwarzen Vögel mit ihrem Nachwuchs eben auf dieser Lichtung. Die Jungen durchliefen – wie die Nebelkrähen-Nachkömmlinge – die Lebensschule „Selbständig werden“. Unter Protest, mit hochgereckten Schnäbeln und den schon recht dunkel wie die Stimmen der Alten  klingenden Jammerlauten „Wir haben Hunger!“. Aber auch hier blieben die Eltern unerbittlich – wer fressen will, hat nach dem Ausflug aus dem Nest bitteschön auch etwas dafür zu leisten.
                Dann fanden wir auf dem Weg jeder seine von ihm zu identifizierenden Spuren – der Hund den Duft, ich die Späne, welche eindeutig ein einsamer Biber an einem Bäumchen mittleren Durchmessers am Ufer hinterlassen hatte. Das Tier hatte ich im Frühjahr auch kurz gesehen, aber gemeint, dass es abgewandert war.
                Den Abschluss auf dem Heimweg bildete ein Eisvogel. Ich konnte ihn auf dem über das Flachwasser ragenden Ast rechtzeitig sehen, um ihn nicht durch unvorsichtige Annäherung  zu stören. Sein Versuch, einen Kleinfisch zu erbeuten, ging ins Leere. Er flog ab.

                Auf den letzten 200 m vor der Brücke beobachtete ich, wie ein kleiner Junge aus einer fünfköpfigen Schar „seinen“ Fisch des Tages fing. Er bekam an seiner zwischen allen anderen ausgelegten Angel einen Biss. Nach dem Anschlag drillte er mit Mühe und unter den Anfeuerungsrufen der anderen eine gute Bleie – etwa ein Kilogramm schwer.  Als der Fisch mit gemeinsamer Anstrengung auf dem Ufer und im Kescher war, führte der Bengel fast so etwas wie einen Indianertanz auf. Ich erinnerte mich daran, wie wir vor fast 70 Jahre jeden unserer Fänge, die uns damals auch zu überleben halfen, mit sowohl innerer Freude  - aus dem Magen - und fröhlichen Rufen begrüßten…

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger




                

Abschied

                Auf der Geburtstagsfeier, im vorigen Blog erwähnt, hat mein Stiefsohn ein erstes Mal mit meinem Bruder Bekanntschaft gemacht, ihn mit Fragen gelöchert. Zu der kleinen Schleuse zwischen Berste und Spree, welche mein Bruder mit Sachkenntnis und auch gewisser Leidenschaft betreute. Zu den Tieren, die er mit Wissen um deren Eigenheiten beobachtete. Bruder Ulli zeigte zum Beweis auf die ein Junges führenden Kraniche, deren Köpfe über dem Schilfdschungel wippten. Beide Männer fanden aneinander uneingeschränktes Gefallen.
                Als ich am Montag, dem 24. Juni, die Information von Ullis plötzlichem Tod bekam, gab es nacheinander sehr aufbauende Ereignisse. Das erste – meine liebe Natascha. Die zweite – unser Kater. Er verfolgte mich fast wie ein Schatten – wo ich lag, war er neben mir, wo ich saß, war er auf meinen Knien. Etwa: „Lass mich dir helfen, Mensch, ich spüre, dass es dir schlecht geht.“
                Als Pavel abends von der Arbeit kam, legte er mir nur etwa für eine Schweigeminute seine Hand auf meine Schulter – ohne Worte. Dann richtete er ein bescheidenes Abendessen her. Auf dem Tisch stand, als er mich rief, ein halbes Glas Wodka, bedeckt mit einer Scheibe Brot – nach slawischer Art für den Verstorbenen. Ohne dass ich das erbeten hatte. Seine Art, Anteilnahme zu zeigen.
                Svetlana rief später über Skype an. „Wird Siegfried kommen?“ Natascha bejahte. „Ich übernehme die Hälfte der Flugkosten.“
                Mehr brauche ich wohl nicht zu erzählen.

                Auf dem Kiewer Flughafen Borispol lernte ich einen polnischen Unternehmer kennen. Dem ich eine Kleinigkeit behilflich sein konnte. Janusz spricht sehr gut Russisch und ist im Interesse seines Unternehmens viel in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion unterwegs. Weil wir beide sehr offenherzige Personen sind, haben wir nicht nur in der Business-Lounge miteinander gesessen (ich durch ihn eingeladen) und eine Kleinigkeit verzehrt, sondern die Bekanntschaft im Flugzeug nach Warschau fortgesetzt. Ich bekam beim Abschied seine Einladung, bei nächster Fahrt Ukraine-Deutschland unbedingt ihn und seine Familie zu besuchen. Ein guter Beginn der Abschiedsreise.

                Die Trauerfeier war wahrhaft ein würdiger Abschied von jenem Menschen, meinem jüngeren Bruder, der immer aufrecht geblieben war, mit Humor und extrem hilfsbereit. Sowohl die Zahl der Anwesenden als auch die schriftlichen Beileidsbekundungen waren mehr, als die Familie erwartet hatte. Der Redner sprach mit Worten, die nicht abgedroschen waren, über ein erfülltes Leben.
Als zum Abschiedsessen später darum gebeten wurde, vielleicht doch einige charakteristische Erlebnisse mit dem Ehemann, Bruder, Freund oder Kumpel zu erzählen, berichtete ich, womit er meine Entscheidung bestärkt hatte, die Arbeit in der damals als unsicheres Land beschriebenen Ukraine aufzunehmen,: „Wenn du denkst, dass die Leute da nur mit der Maschinenpistole Makarow hinter den Bäumen auf Touristen warten, bist du blöd. Die müssen ihre Kinder ernähren, säen und ernten, arbeiten. Denn Touristen ausrauben ist keine Erwerbstätigkeit mit Zukunft. Die kommen einfach nicht mehr. Dann ist Sense.“ Eine überzeugende Argumentation in seinem Stil.
                Den doppelten Wodka, welchen ich mir zu meiner kleinen Rede bestellt hatte, trank ich allein, stehend, auf das, was mein Bruder Ullrich außer seiner Familie so geliebt hatte: auf das LEBEN!

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger