Keinem von jenen, die im
Internet mit guten Ideen und Produkten schon viel Geld verdient haben, neide
ich auch nur einen Cent. Allerdings angesichts dessen, was ich eben erst erlebt
habe, erlaube ich mir einige Bemerkungen. Zum Überdenken. Zuerst zu den
Erlebnissen.
Zurzeit bin ich in Lugansk,
einer ostukrainischen Stadt. Sie hat industriellen Hintergrund seit ihrer
Gründung – im Prinzip um eine Stahlgießerei herum. Während die Eisenvorkommen
erschöpft sind, gibt es in der Nähe noch Steinkohleabbau. Wir sind mit zwei anderen
Kollegen dabei – ich als Dolmetscher – eine aus Deutschland eingeführte
Spezialmaschine in einem hiesigen Industriebetrieb mit erforderlichen Konstruktionselementen
zur ergänzen. Die Arbeit ist sehr aufwändig – bei Konstruktion nach anderen
Vorgaben und Vorüberlegungen wäre sie vielleicht unnötig gewesen.
Eines der Elemente war extrem
lang – es einzukürzen wäre möglich gewesen, hätte die Effektivität der
geplanten Änderung aber verringern können. Deshalb eine Beratung mit dem
Kranführer und der Gruppe ukrainischer Arbeiter, welche die Einsenkung des
Bauteils mit zu begleiten hatten.
Aus den vielen Vorschlägen kristallisierten
sich alle jene heraus, die sinnvoll und machbar erschienen. Auch da gab es
Korrekturen durch die Praxis – aber der Kranführer des Autokrans brachte mit gefühlvoller
Millimeterarbeit das 2,85 m lange und etwa 800 kg schwere Kreuzstück über die
Öffnung, in welche es versenkt wurde. Dabei hätte er leicht das Hallendach von
innen abdecken oder schon existierende, wesentliche Aufbauten der
Spezialmaschine beschädigen können… Auf den Gesichtern aller Beteiligten
erschien das Lächeln der Erleichterung und des Stolzes auf das „Wir haben es
doch geschafft!“ Wir drei bedankten uns vor allem beim Kranführer.
Alle ukrainischen und deutschen
Mitarbeiter könnten sich bessere Arbeitsbedingungen und Löhne vorstellen. Viele
gehen auch mit, wenn der Ruf erklingt, sich selbständig und auch finanziell
unabhängig zu machen. Also lange durchschlafen, arbeiten nach Lust und Laune
sowie ohne Chef, mehr verdienen, mehr Zeit für die Familie oder Hobbys, Urlaub
mehr und öfter und was alles sonst im Internet noch angepriesen und versprochen
wird.
Nur steht dann die Frage Bertold Brechts im Raum: „Wer baute das
siebentorige Theben?“
Auch im eigenen Traumhaus auf Mallorca gibt es keine Croissants mehr
zum späten Frühstück nach dem ausgiebigen Schlaf, wenn der Bäcker auch länger
schläft und an Stelle von frischen Backwaren im Internet das Coaching zum Brötchen-Selbstbacken
verkauft. Kein Luxuswagen wird mehr repariert – die Mechaniker werden reich
durch Videokurse über Selbst-ist-der-Mann bei der Porsche-Reparatur… Wenn wir
alle zu Internet-Dienstleistern mit extrem hohen Bezügen werden, müssen die
Gelddruckmaschinen in drei Schichten laufen – 7 Tage in der Woche. Manche Dinge
werden dann klarer, wenn man sie ins Extreme steigert.
Wer sich auf einen Internet-Geschäftsversuch einlässt, muss sich im
Klaren darüber sein: es ist ein Vorgang wie an der Börse – du riskierst allerdings
mit wesentlich geringerem Einsatz als bei einer Unternehmensgründung auf
übliche Weise, kannst bei genauerer Einsicht, erworben durch eigenen Fleiß und
gute Berater wirklich großen Gewinn machen. In anderem Falle machst du jene zu
Millionären, welche deine Verluste als Teil ihres Gewinns mit einfahren.
Einer meiner Brüder ist ein
begnadeter Handwerker. Er findet die Welt im Wesentlichen in Ordnung so, wie
sie ist. Geld im Internet zu verdienen fiele ihm im Traum nicht ein. Er hat da
den Stolz jener, von denen man sagt: „Sie haben es mit ihrer Hände Arbeit
geschaffen.“ Und wenn es die Laube im Schrebergarten ist. Er hat bei einer
Gelegenheit einmal gesagt: „Komm du Maulwerker mal an meine Drehbank. Da sehen
wir, wer wen!“ Von seiner Art waren heute und sind in Zukunft alle jene, die
uns bei unserer Aufgabe hier geholfen haben. Das sind auch alle, welche weiter
Haare schneiden, Kartoffeln oder Reis anbauen, iPhones montieren oder
Lokomotiven durch die Nacht fahren. Die nicht laut rufen: „Werte Millionäre,
kommt zu uns an die Werkbank.“ Denn dann werden die geschäftstüchtig durch
Automatisierung verringerten Arbeitsplätze noch weniger – selbst wenn mancher
der Genannten bei Test auf berufliche Brauchbarkeit ausgesondert würde…
Es gibt unter allen, welche gute
Geschäftsideen zugkräftig im Internet vermarkten auch jene, die ehrlich
formulieren, dass sie die Dienste dritter gegen Bezahlung einsetzen. Das können
auch im eigenen Internet-Unternehmen beschäftigte Mitarbeiter sein. Sie
überzeugen mich mit einer sachlich stimmigen Kosten-Nutzen-Rechnung. Dabei wird
von ihnen auch erwähnt, dass Dienstleistungen aller Art sehr preiswert zu
bekommen sind. Die Dienstleister also kaum Millionäre werden.
Es bleibt zu wünschen, dass die genannten abhängig beschäftigten Personen
ebenso wie ihr Arbeitgeber leben – wovon ich nicht überzeugt bin… Sie werden
rechtzeitig aufstehen, pünktlich auf der Arbeit sein müssen, den Weisungen
eines – vielleicht auch guten – Chefs nachkommen dürfen, Freizeit und
Urlaub nicht nach eigenem Wunsch
organisieren können…
Es im Internet nicht zu versuchen ist auch kein Ausweg. Eine beliebige
Chance kann zu „der Chance“ werden. Für Selbstverwirklichung und ein bescheidenes
Zusatzeinkommen.
Bleiben Sie
recht gesund!
Ihr
Siegfried
Newiger
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