Sonntagsvergnügen...


                Wir hatten am Sonntag 6 Stunden gearbeitet, weil wir auch etwas Sehnsucht nach daheim haben. Anschließend gab es die Möglichkeit, einige Gespräche zu führen. Mit Einheimischen, versteht sich. Die Informationen waren für beide Seiten von Interesse.
                In der Ukraine hält sich bei vielen Bürgern die Meinung, dass die Bundesrepublik ein Land ist, in welchem Milch und Honig den Leuten in den Mund fließen. Das hat natürlich einige Gründe. Zum einen die Selbstdarstellung unseres Vaterlandes in Medien und Broschüren – sie ist logischer Weise nicht darauf gerichtet, die Schmutzwäsche öffentlich vorzuzeigen. Dann gibt es nicht wenige Auswanderer aus der Ukraine, welche mittels geschickter Nutzung gesetzlicher Freiräume ins deutsche Land gekommen sind. Einige darunter haben Arbeit, verdienen so viel Geld, dass sie auch bescheiden davon leben können – andere führen mit der ihnen zugesprochenen Sozialhilfe ein in ihren Augen auskömmliches Leben. Mit etwas Fantasie haben beide Gruppen Zusatzeinkünfte, die nach einiger Zeit für ein preiswertes Auto aus zweiter Hand reichen. Das wegen der benutzten Straßen und der sorgsamen Pflege im zehnten Jahr noch fast fabrikneu aussieht. Wenn diese Personen in der Ukraine auftauchen, stellen sie ihre neue Heimat natürlich auch im günstigsten Licht und sich vor allem gegenüber Fremden als besonders erfolgreich dar. Anschließend gibt das „Radio Sarafan“ diese Story weiter – in Deutschland würde man etwa sagen, dass sie sich wie ein Lauffeuer verbreitet.  
               
                Wir hatten uns mit dem Gesprächspartner darauf geeinigt, dass wir alle so offen wie möglich die Fragen der anderen Seite beantworten.
                Als unserem Partner bewusst wurde, dass der Höhe der Einkünfte auch eine entsprechende Summe an Ausgaben gegenübersteht, war das eine Art „erster Schock“. Denn in den Haushalten meiner deutschen Kollegen werden mehr als 50 % der Einkünfte als Ausgaben für das Wohnen (Miete, Elektroenergie) aufgewendet. Der Preis für einen Herrenhaarschnitt in der Ukraine (1,80-2,20 €) fällt gegen den in Deutschland (12-16 €) deutlich ab – und das Geld für ein Weißbrot in Deutschland reicht  hier, um 9-10 davon zu kaufen. Andererseits sind die Preise für Rind- und Schweinefleisch vor Ort nur wenig geringer als in der Bundesrepublik.
                Wir kamen in dem Zusammenhang dann auf die sehr unterschiedliche Bezahlung in deutschen vergleichbaren Unternehmen der Metallbranche bzw. Autoindustrie zu sprechen, auch auf die miserable Entlohnung für Pflegekräfte und medizinisches Personal im Vergleich mit Schönheitschirurgen... Allerdings waren meine Kollegen doch erschrocken darüber, dass eine junge Ärztin in der Ukraine, genauer in der Region Lugansk im Monat umgerechnet etwa 120 € verdient – ein Maschinenarbeiter fast das Doppelte bis Dreifache, sein Meister etwa das Vierfache vom genannten Arztgehalt. Diese sozialen Gefälle sind noch typisch für die Ukraine. Nur stellt sich hier die Frage: wieviel ist der Erhalt eines einzelnen Menschenlebens, der gesamten nationalen Gesundheit den Entscheidungsträgern wert?

                In der Unterhaltung war ich nicht nur Dolmetscher, sondern mehr Moderator. Meine 18 Jahre hier im Lande halfen mir, Wogen zu glätten und die Diskussion wieder ins Sachliche überzuleiten. Mein Hinweis auf die bescheidenen Löhne der Kellnerinnen, die uns immer angenehm, nicht aufgesetzt lächelnd bedienten, löste an diesem Nachmittag eine besondere Großzügigkeit bei Trinkgeldgeben aus.

                Im Restaurant hatten wir noch ein besonderes Erlebnis. Ein etwa fünfjähriger, schlecht erzogener Junge kletterte in Nähe seines Vaters auf den Tresen und kroch auf allen Vieren diesen entlang. Weil ich grundsätzlich etwas gegen solche Auswüchse habe, stand ich auf, griff mir den Bengel und hob ihn hoch, stellte ihn anschließend auf den Fußboden – mit einigen Bemerkungen. Hätte ihn die etwa 15 Jahre alte Tochter nicht gebremst, wäre mir der stark angesäuselte Papa beinahe an die Gurgel gesprungen. Bis ihn seine energische Frau auf den Weg zum Taxi bugsiert hatte, wollte er immer wieder in Richtung auf unseren Tisch los – nur von Töchterlein gebremst. Das Söhnchen hatte sich hinter ihm versteckt. Ich befürchte, dass Vater und Sohn noch vom Schicksal ihre Prügel bekommen…
  
Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





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