Gemopst...

          Es war der erste Tag  meiner wie immer sachbezogenen Visite in Lugansk (Ostukraine) Meine deutschen Schutzbefohlenen waren für die Nacht angekündigt - per Flugzeug nach Donetsk. Von dort mit Auto der ukrainischen Firma hierher - Ankunft weit nach Mitternacht.

          Schon auf der Zugreise hatte ich mich bei Stöbern in meiner Visitenkartenbox mit einer Karte besonders beschäftigt. Irgendwann, etwa vor acht Monaten, hatte ich auf merkwürdige Weise im Zug ein Ehepaar kennen gelernt. Sie hatte auf meinem Laptop aus einiger Entfernung eine Fotografie unseres Alabai Athos gesehen und war herangekommen, das Tier zu bewundern. Dann sagte sie etwas, das mich zum lauten Lachen reizte: "Ja Mopsicha." - auf deutsch: "Ich bin Mopsfanatin." Allerdings ist der Wortteil "Psicha" im Russischen als "Psich" die Bezeichnung für einen Verrückten. (aus dem Bereich Psychologie als verkürztes Lehnwort übernommen). Die reizende Frau sich als verrückt vorzustellen fiel mir schwer.
          Es stellte sich heraus, dass sie und ihr Mann Architekten sind, allerdings nicht im Beruf tätig. Ein eigenes Häuschen endlich kaufen konnten, an dem sie sich mit Sachkenntnis "austoben". Wir kamen, weil ich kurz zuvor auf dem Hundertwasser-Bahnhof Uelzen gewesen und beeindruckt war, auf jenen zu sprechen. Schließlich bekam ich die Visitenkarte mit der Einladung, bei Besuch in Lugansk anzurufen, um bei ihnen auch Gast zu sein.

          Als Xenia mich erkannt hatte, erfolgt prompt die Frage: "Wann werden sie in ihrer Freizeit bei uns sein?" Da die zu betreuenden Mitarbeiter kein Wort Russisch können, war "Amme rund um die Uhr" angesagt. Ich hatte nur gestern noch Freizeit. Wir verabredeten uns - beide holten mich am Hotel ab. Ich übergab der Hausherrin ein Sträußchen, dem Hausherrn, wie in der Ukraine bei einem Erstbesuch üblich  ist, ein Brot und anstelle einer Flasche mit Alkohol eine Tafel Bitterschokolade.
          Wir kamen zu einem deutlich im Umbau befindlichen unverputzten Haus. Xenia zeigte mit ihr gut bebautes bzw. auf Anbau von eigenem Gemüse vorbereitetes und mit Halbstamm-Obstbäumen ordentlich bepflanztes Grundstück. Im Haus empfingen uns vier sehr bewegliche Mopsdamen und sieben Katzen - der Nachwuchs etwas später als die neugierigen Muttis. Trotz dieser Fülle an Lebewesen nicht eine einzige "Duftspur".
          Nachdem ich auch noch den 21-jährigen Sohn (Silbermedaillengewinner der Europameisterschaften im Kampfsport ohne Regeln) und seine 16-jährige, etwas zurückhaltende Schwester kennengelernt hatte, wurden wir zu Tisch gebeten. Xenia machte mich darauf aufmerksam, dass sie die Fastenzeit einhielten - weniger aus religiösen, sondern aus gesundheitlichen Gründen. Ob ich damit Probleme hätte?
          Die ukrainische und auch die russische Kirche leiten 50 Tage vor Ostern  das sogenannte "große Fasten" ein - bis zu ihrem Osterfest (das nur selten mit dem in Westeuropa nach den Datum zusammenfällt, weil diese Kirche nach dem julianischen Kalender rechnet). In der Fastenzeit werden ausschließlich vegetarische Speisen auf den Tisch gebracht - um den Körper zu entlasten, wie es heißt.
          Xenia war beruhigt, als sie gesagt bekam, dass ich auf Fastenkost neugierig sei. Was da an vor allem selbst gekochten, gedünsteten, gebackenen Speisen auf den Tisch kam, überraschte mich in seiner Vielfalt und besonders mit Wohlgeschmack. Mit dem im Querschnitt dreieckigen Schwarzbrot hatte ich originell sein wollen und vor allen sichern, dass ich nicht unbedingt Weißbrot essen musste. Da stellte sich heraus, dass die Brotsorte von der Hausfrau besonders bevorzugt wurde. Ein Schuss ins Dunkle mit Volltreffer - etwas ungewöhnlich.
          Als mir dann plötzlich auch noch eine hübsche Katze mit einer sonderbaren Vorgeschichte zu Verwunderung der Familie auf die Knie sprang, um ihre Nase an meiner zu reiben, war der Abend besonders gelungen. Ich erfuhr, dass dieser Vorzug mir als einziger Person aus ihrem Bekanntenkreis gewährt würde, was die Tischgesellschaft erstaunte. Das hübsche, gepflegte Tier saß danach, ohne zu betteln, etwa eine Viertelstunde bei mir. Ich hatte Xenia gebeten, es nicht zu verjagen. Das wurde akzeptiert, wenn auch nicht gerade wohlwollend.
         
          Wir haben mit ein ganz wenig Kognak, von dem Wadim nur einige Tropfen nippte, uns drei Stunden lang angeregt, ja glänzend unterhalten. Ich bekam auch eine schlüssige Antwort auf die Frage bezüglich der Ausweise beim Kauf von Fahrkarten und beim Einstieg in den Zug. Es ginge darum, die Leute auszubremsen, welche sich mit Aufkauf von Fahrkarten eine Verdienstmöglichkeit geschaffen hatten. Wer unbedingt fahren will oder muss ist bereit, für einen gültigen Fahrschein etwas mehr zu zahlen, wenn ihm jener in der Nähe der Kasse als  "bei mir übrig geblieben" angeboten wird.

        So kam es durch eine Eisenbahnbekanntschaft zu einer freundschaftlich beginnenden Beziehung.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger






         

       

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