Alle Vögel...

          Die Überschrift geht im Volkslied ja weiter: "Alle Vögel sind schon da, ... Amsel, Drossel, Fink und Star ...". Heute habe ich den ersten Kuckucksruf in diesem Jahr gehört und die für den endgültig beginnenden Frühling charakteristischen kleinen Gruppen von Staren beim Würmersuchen auf der Wiese gesehen. Dazu die zunehmend lauter werdenden Rufe der sich gegenseitig in Hochzeitslaune bringenden Froschmänner, die Wellen der sich auf die Laichperiode zu bewegenden kleinen Fische an der Oberfläche des Flusses - hier werchowodki genannt - und die mit ihnen um die darüber flirrenden Insekten konkurrierenden tieffliegenden Schwalben. Dazu die in diesem Jahr nach dem anhaltenden Winter scheinbar besonders wärmende Sonne - ein Spaziergang fast ideal.
         
          Weg sind wieder unsere Gäste aus Rostock. Die Schüler aus beiden Schulen hatten sich am letzten Tag ohne die nicht selten störenden Erwachsenen am Flussufer zusammengefunden, um ihren Abschied zu begehen. Ich durfte wieder den Dolmetscher zwischen dem ukrainischen Gastgeber Alexander und dem deutschen Gast Jens abgeben. Wir spazierten gemeinsam durch den Park "Alexandria" in Belaja Zerkow, einer der bedeutendsten in Osteuropa. Es ist ein Park, der nicht künstlich angelegt wurde, sondern der nach dem Plan eines französischen Gartenarchitekten "aus der Landschaft herausgearbeitet" wurde. Das Terrain wurde maßgeblich vom deutschen Gartenarchitekten August Jens mit gestaltet, der im Dienst der Fürsten Branitzki hier volle 54 Jahre tätig war. Zu seinem 50. Dienstjubiläum wurde im Park ihm zu Ehren eine Bronzesäule errichtet. Sie ist hier als Bild eingefügt - auch mit einer Aufschrift im Sockel. Dass es sich um eine metallische Säule handelt, beweisen die aus dem 2. Weltkrieg übrig gebliebenen Einschusslöcher im Textbereich.



          Der Jens aus Rostock war etwas erstaunt - wegen des Familiennamens und der deutschen Inschrift. Aber auch Alexander kannte diese Säule in ihrer Bedeutung noch nicht. Er drückte seine Achtung vor meiner Beobachtungsgabe etwas originell aus: die deutsche Aufklärung hätte wieder einmal exakt gearbeitet - was ich zurückweisen musste.
          Wir beendete die drei Stunden Spaziergang durch den weiträumigen Park mit der Fahrt in eine nahe gelegene gute Pizzeria. Der Nacchmittag hatte Appetit und Durst gebracht. Dort am Tisch hatten wir Zeit, einige Worte zum Aufenthalt des erwachsenen Rostockers hier zu wechseln. Jens hatte viel Neues und Interessantes gesehen und gehört. Besonders ist ihm das ukrainische Straßennetz in Erinnerung geblieben und die Meisterschaft, mit welcher die ukrainischen Kraftfahrer den Weg durch fast unwegsames Gelände finden. Aber auch, wie sie sich gegenseitig vor Gefahrenstellen warnen. Wie im hierunter zu sehenden Bild.


          Das sind aber nicht die bestimmenden Eindrücke. Was sich nicht in Bildern, sondern nur in Worten ausdrücken lässt: die herzerwärmende Gastfreundlichkeit der Ukrainer, ihre Aufgeschlossenheit gegenüber den ausländisch motivierten Fragen und Ansichten. Alles in Allem - ein riesengroßer Dank an den Alexander und auch an seinen Dolmetscher.
          Was beide freute.
          Trotz des für mich unvermeidlichen Abschieds.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger






Maifeier nach Hochzeit


                Noch in Lugansk, bekam ich den Anruf eines unserer Freunde. Erfolgreich als Geschäftsmann, Witwer, wegen eigenwilliger Wahlkriterien für eine würdige Nachfolgerin schon lange alleinerziehender Vater. Er war in das Programm der Schule seiner Tochter „Schüleraustausch mit Partnerschulen“ einbezogen worden, hatte freiwillig sowohl Tochter als auch deren Vater aus Rostock bei sich aufgenommen. Ein wenig half der in Kiew wohnende Sohn bei seinen Besuchen daheim mit Englisch aus, der Rest wurde zeitweilig mehr schlecht denn recht über die Google-Übersetzerfunktion gemanagt. Ob ich bereit wäre, nach Rückkehr freiwillig zeitweilig mit in die Familie als eine Art Großvater mit Dolmetscherfunktion eingegliedert zu werden? Ich war es.

                Heimgekommen am 29. April, überraschte mich meine Frau abends mit der Bemerkung: „Wir gehen morgen zur Hochzeit!“ Ich überschlug die Liste möglicher Kandidaten, kam aber zu keinem Ergebnis. Der Grund war einfach: die zusammen in ihrem Häuschen im Nachbardorf lebenden Valentina und Vitalij wollten sich wieder offiziell „zusammenschreiben“ lassen. Sie hatten sich vor langer Zeit scheiden lassen, um beim geplanten Abriss eines Häuserviertels in einem anderen zwei Wohnungen zu bekommen. Da Mutter zielbewusst den Sohn zu sich nahm und Vater die Tochter, standen laut Gesetz jedem eine Zweizimmerwohnung zu – wegen der andersgeschlechtlichen Kinder bei ihnen. Das war unter den hiesigen Wohnungsproblemen die gesuchte Ausnahme. Sie bekamen das Angestrebte, hatten später für die erwachsenen Kinder mit deren Familien sofort Wohnraum und zogen in das geerbte Haus im Dorf.
                Sie waren damals nicht die einzigen, welche mit diesem Trick ihre Wohnraumsituation drastisch verbesserten. Wir wissen allerdings von anderen „Tricksern“ auch, dass sich deren Wege anschließend wirklich trennten. Nun reiften bei unseren Beiden Entscheidungen zu möglichen Erbfolgen heran – als offiziell verheiratetes Paar erledigt man die finanziell günstiger. Also der unerwartete Entschluss. Meine Natascha hatte von dem Wind bekommen. So waren wir die Überraschungszeugen und Gäste der „Jungvermählten“. Nachdem eine Schreibkraft die Ausweise mit den erforderlichen Vermerken und Stempeln versehen hatte, wurde in einem kleinen, recht geschmackvoll dekorierten Raum durch eine Standesbeamtin das juristische Zeremoniell vollzogen. Die offizielle Registrierung der Ehe, der gemeinsame – nie geänderte Familienname – und einige nette, passende Worte für den gemeinsamen Lebensweg.  
Die Überraschung beim bescheidenen, für die unerwarteten Gäste improvisierten Festmahl war mein Ruf nach dem ersten auf die Eheleute ausgetrunkenen Wodka „Der ist aber bitter!“. Mit diesen Worten werden bei den lärmenden Hochzeiten junger Leute jene aufgefordert, einander zu küssen. Meine diesmal verdutzte Frau begriff rascher als das Paar und sagte mit angewidertem Gesicht – obwohl sie als Chauffeur nur Saft trank: „Der ist ja auch bitter!“ Die beiden lachten und küssten einander.
                Abends fuhren wir noch zu Alexander, um uns mit seinen Gästen bekannt zu machen und das Programm der Folgetage abzustimmen. Bei ihnen war eine gewisse Erleichterung deutlich zu spüren – sich rascher und deutlicher verständigen zu können.

                Am Folgetag der 1. Mai. Die Option: den Gästen den Basar zu zeigen und einen Spaziergang in unserem Wohngebiet mit ihnen zu unternehmen. Um mit den unterschiedlichen Lebensbedingungen etwas näher bekannt zu machen. Auf dem Weg in unsere Wohnung, um dort ein wenig Kaffee oder Tee zu trinken, bis Alexander (Sascha) uns abholte, trafen wir eine Blumenverkäuferin vom Markt, die uns dort schon auf Deutsch begrüßt hatte. Sie reichte mir impulsiv einen Strauß roter Tulpen. Ich solle die meiner Frau zum Feiertag von ihr schenken. Unsere Gäste waren verwundert. Wie auch schon vorher auf dem Basar wegen meines deutlich freundschaftlichen Verhältnisses zu vielen der Verkäuferinnen und deren männlichen Gehilfen.
                Sascha war 24 km weit gefahren, um für das Grillen an frischer Luft seinen Gästen etwas Besonderes zu bieten: Flusskrebse, die allerdings gekocht wurden. Für beide eine echte Neuheit. Aber auch die gesamte Atmosphäre eines chaotischen Volksfestes am Flussufer. Weil der Bereich, in dem wir weniger Leute zu treffen hofften, nur nach Zahlung einer Maut für den PKW zu erreichen war (so versucht die Verwaltung des Parkgeländes die Einnahmen aufzubessern), waren wir guter Hoffnung. Die wurde zerstört. Weil viele andere ebenfalls auf diese Idee gekommen waren. Überall Jubel, Trubel, Heiterkeit. Ich hatte unseren Gästen viel zu erklären, wir aßen Krebse und tranken Bier dazu, später Schaschlik mit Wodkazugabe. Für die Dolmetscherleistung durfte ich mir Lob aller Seiten spenden lassen. Müde, mit heiserer Stimme und leichter Schlagseite wurde ich gegen 20 Uhr daheim abgeliefert.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried  Newiger