Feldblumenstrauß

Unklar ist, weshalb ich heute für meine Begriffe erst sehr spät aufgewacht bin. Kurz nach sieben Uhr – entgegen den sonst fünf Uhr dreißig Minuten. Der an frühen Spaziergang gewöhnte Hund begann zu fiepen. Allerdings wurde meine bessere Hälfte ebenfalls munter. Auf den Guten-Morgenkuss und die Worte „Alles Gute zum Festtag!“ reagierte sie so unerwartet, dass es mir die Sprache verschlug. „Wenn du mich vor zehn Jahren im Affekt erwürgt hättest, wärest du heute schon frei aus dem Kittchen.“ Sie hat eben ihre Auffassung von Humor.

Das hinderte mich nicht, nach dem Ausführen des Hundes den  Blumenstrauß nebenan von der Wiese zu holen. Sie liebt Feldblumen, die noch duften. Die vor allem eine wahre Aufmerksamkeit sind, nicht ein Erkaufen von liebevoller Zuwendung. Denn das kann jeder mit ein wenig Geld in der Tasche. Aber eineinhalb Stunden unter sengender Sonne auf den Flusswiesen Blüten und dekorative Pflanzen zu suchen – da gehört ein wenig mehr dazu. Meint zumindest meine Natascha. Auf dem Spaziergang mit Hund haben wir heute auch wieder des Merkens würdige Erlebnisse gehabt.

Vor einigen Tagen war einer der vielen hier  streunenden Hunde überfahren worden. Ein Unbekannter hatte den Kadaver in eine flache Obstkiste geworfen, wo dieser mit der Zeit bei etwa + 30 Grad Lufttemperatur natürlich aufgedunsen war. Heute in der Frühe war das Müllfahrzeug gekommen, die Abfallbehälter auf der Allee zu entleeren und hatte den Kadaver auch entsorgt.

Gestern Abend hatte ich schon die farbigen Anzeigen unter Plasthülle an den Bäumen bemerkt, sie aber erst heute gelesen. Ein Chihuahua-Welpe war verschwunden. Unklar, wie die Besitzer eines so teuren Tierchens das so schlecht angeleint spazieren geführt hatten. Oder unbewacht im Garten hatten spielen lassen, wo ein geringer Abstand zwischen Brettern oder Latten reichte, den neugierigen Kleinen hinauszulassen. Die dem Finder ausgelobten 400 US-$ oder 300 € sind beredtes Zeugnis, dass das Hündchen teuer ist. 
Ob es aber zurückkommt? Vielleicht kann der Finder/Räuber es noch teurer verkaufen…

Eine ausnehmend dürre, streunende Hündin verfolgt uns mit Hund seit einiger Zeit, kommt bettelnd an meine Seite. Weil ich ihr vor Tagen ein Stück Pastete hinwarf, welches unser Hund und auch der daheim ebenfalls gut gefütterte Kater abgelehnt hatten.

Die winzige Katze, die uns gleichfalls eine Weile begleitet hatte, konnte ich bei allem Mitleid und bestem Willen nicht aufnehmen. Wir können zuhause kein Tierheim eröffnen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger  

P, S. Entschuldigung

Der Satz meiner Frau heute Morgen ist unvollständig zitiert. Er muss so heißen: „Wenn du mich vor zehn Jahren nicht geheiratet, sondern im Affekt erwürgt hättest, wärest du heute schon frei aus dem Kittchen.“ So wird verständlich, wie sie sich den Feiertag, unseren zehnten Hochzeitstag, für mich solo vorstellt. Das bitte ich zu verstehen. Jedoch auch meine anders geartete Entscheidung. Wäre doch schade gewesen um eine so fürsorgliche Frau - oder?

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger








  

Biberangriff


Die Tage auf den schwarzen Stellen der Kuhhaut Schicksal scheinen vorbei. Seit einer Woche etwa kann ich wieder mit weiter geöffneten Augen durch die Gegend spazieren. Sofort stellen sich die Erlebnisse ein, welche das Lebensgefühl weiter anfachen.

Das Wetter ist entgegen den pessimistischen Voraussagen klimagesteuerter Trockenheit richtig durchwachsen. Abwechselnd Regen und Sonnenschein. Selbst am Straßenrand der Allee, auf der wir mit Hund spazieren gehen, sprießen deswegen die seit langem hier nicht mehr gesehenen Wiesenchampignons. 

Den Gartenrotschwanz konnte ich deutlich bestimmen, auch selten hier in der Stadt. Die weißgraue Katze, welche Hund Kai dicht an sich heranlässt, mir aber vorläufig noch Buckel und Krallen zeigt, wälzte sich unweit von unserer Pausenbank genüsslich in Gras und Staub.

Wir haben angehalten, weil wir einen alten Bekannten trafen, der sich gern in Ruhe unterhalten wollte. Weil er in Kiew ein Marschroutentaxi fährt, sind wir einander lange nicht begegnet. Im Gespräch stellt sich heraus, dass er von seinem Betrieb verpflichtet wurde, aus der Ostukraine Verwundete ins Militärhospital von Belaja Zerkov zu holen. Seine Bemerkung: „Ich habe in Kroatien im UNO-Kontingent schon Krieg erlebt. Nun haben wir den im eigenen Lande. Ob ich zurückkehre, ist ja ungewiss.“ Habe ihm das beim Abschied aufrichtig gewünscht.

Eines Morgens habe ich einer sehr rundlichen Frau geholfen, ihre Lasten auf dem Weg von der Haltestelle des Überlandbusses zum Basar ein Stück zu tragen. Sie hatte vier Packen, die sie in Paaren immer etwa 20 Meter schleppte, abstellte und das zweite Paar nachholte. War sichtlich erfreut, dass ein fast gleichaltriger Mann sich ein Herz gefasst hatte. Bedankte sich überschwänglich. Die Taschen mit etwa zwölf Kilogramm Inhalt jede waren aber recht mühevoll zu tragen. Zu merken, dass der Schwung der Jugend aus Muskeln und Knochen verfliegt. Nur ist der nette Dank eine reine Freude.

Der Stiefsohn hatte an dem Tag noch etwas zu ergänzen. Nicht nur einen unter Wasser harpunierten Wels von sechs Kilogramm. Sondern auch den Bericht über den Kampf mit einem Biber. Dass im Fluss solche leben, hatte ich schon an Bissspuren an dünnen Bäumen in Ufernähe gemerkt, einmal einen schwimmen sehen. Der Junge war unter Wasser an ein ihm bekanntes Baumgerippe gekommen, wo er in den Astverstecken nicht selten schon gewichtige Raubfische aufgespürt hatte. Diesmal kam bei der Annäherung plötzlich etwas Kräftiges von einer Seite auf ihn zugeschossen und rammte ihn an der Schulter, wendete aber sofort. Als er sich dem Angreifer zuwandte, machte der eine elegante Kehrtwendung. Unser Pascha konnte sich nur durch einen Stoß mit dem Kolben der Harpune vorm Angriff  des recht großen Bibers schützen und den vertreiben. Seine Augen glänzten bei seiner leidenschaftlichen Erzählung.

So haben wir alle wieder einige Glücksmomente gesammelt.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger






Trotz alledem!

Nach dem 24. März dieses Jahres habe ich aus vielerlei Gründen eine Auszeit genommen. Es wird mir mit zunehmendem Lebensalter nicht einfacher, sich hinter den Laptop zu setzen. Weniger deswegen, weil dazu Kräfte fehlen. Sondern weil in einem Land, in welchem sich grundsätzliche Veränderungen anbahnen, jede Äußerung im Internet etwas Besonderes ist. Zumindestens für einen Menschen mit Lebenserfahrung. Denn von einer Front können nur Frontberichterstatter wahrhaft berichten. Außerdem nur von der Seite, auf der sie sich befinden. Die andere Seite hat meistens und überall ganz andere Auffassungen. Damit sind nicht Fälschungen, sondern nur bedingt einseitige Ansichten sogar bei Bildberichten typisch. Für mich. Soviel zu den moralischen Hindernissen.

Meine Meinung zu den Ereignissen in der Ukraine werde ich hier selten veröffentlichen. Dazu gehen Sie lieber auf meinen zu diesen Themenkreisen speziell geschaffenen Blog http://mein-ostblock.blogspot.de/

Erschwerend für die Entschlussfassung, das posten eine Weile einzustellen, kamen dazu noch einige gesundheitliche Probleme. Die langwierige Eingrenzung meiner so schon gestörten Beweglichkeit (dazu war etwas im Blog zu lesen), die Fahrt nach Deutschland zur Hochzeit unserer Tochter, eine Reise als Dolmetscher nach Russland, der zeitweilige Verlust meiner Hörfähigkeit... 
Letztere wurde von einem hervorragenden ukrainischen Facharzt, Dr. Udot, hier wieder hergestellt.

Mein medizinischer und ebenfalls moralischer deutscher Berater aus Odessa - http://www.hans-dirk-reinartz.com - hat mich wieder an den PC gebracht mit der Bemerkung: "Nicht klagen darüber, was du nicht mehr kannst. Sondern sich darüber freuen, was du trotz Invalidität mit deinen Jahren immer noch kannst!"
Deshalb werde ich hier wieder darüber berichten, was für mich des Merkens würdig, also merkwürdig und damit interessant ist. Was mir hilft, meine körperliche und geistige Beweglichkeit zu behalten. Denn unsere psychologische Gesundheit wirkt doch so beflügelnd auf unseren Gesamtzustand, dass dies manchmal fast an ein Wunder grenzt. 

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger