Sinnestäuschung

           Es gab sie kurzzeitig vorgestern in der Frühe. Der Himmel war wolkenverhangen, die Lufttemperatur etwa um + 10 Grad, als wir zum Spaziergang aufbrachen. Außer den unschönen schrillen Schreien wieder zurückgekehrter Eichelhäher war nur das typische leise Tönen der Kohlmeisen eine Abwechslung im Bereich des Waldrandes. 
         Zwei Tage davor hatte man am kleinen Stausee oberhalb der Stadt am Nachmittag begonnen, Wasser abzulassen, um Stauraum für die Herbst-Wintersaison zu schaffen. Augenzeugen unter den Anglern berichteten, wie sich in kurzer Zeit der Pegel des Flusses um etwa 1,5 Meter anhob. Dabei kamen mit den befreiten Wassermassen Bäume, Sträucher und Un-Kulturmüll in „Scharen“ geschwommen. 
          Vor der hölzernen Brücke sah ich den Stau, den die Flut durch die mitgeschleppten Gegenstände verursacht hatte. Auf der weiteren Spazierstrecke konnte man an der Schlammgrenze auf dem Ufer sehen, wie hoch der Wasserspiegel angestiegen war. Weil in diesem Jahr in der Ukraine und in Russland vor allem die Hochwasserbilder lange die Massenmedien füllten, konnte ich nachempfinden, wie es den Menschen dort ergangen sein musste. 
        Feuer lässt sich häufig mit Wasser löschen – das „heranschleichende“, überall durchsickernde Wasser ist aber nicht so einfach zu bändigen… 
          Aus diesen Überlegungen riss mich die Sinnestäuschung. Wir waren auf dem Heimweg. Durch die vielen entlaubten Bäume sah ich weit weg ein Großfeuer! Es loderte immer mehr auf – allerdings ohne Rauch. Erst da verstand ich, dass die Wolkendecke aufzureißen begann und die am Horizont noch rote Sonne die Illusion schaffte, welcher ich kurzzeitig verfallen war… 

           Heute Morgen bekam ich nach dem Spaziergang den Auftrag, auf den Basar einkaufen zu gehen. Alles wie gewöhnlich – gegenseitige Begrüßung mit einigen Worten, ab und an ein Scherz. 
           Dann war ich bei Katja – meiner netten Freundin. Ich wusste, dass sie Verbindung mit ihrer Tochter hielt, welche zu einem Schüleraustausch für einige Tage in die Umgebung von Krakow gefahren war. Deshalb fragte ich, welches denn der Grund sei, dass sie selbst heute so besonders glücklich aussieht. Die Antwort überraschte mich. 
           „Ich habe mich drei Tage erholt. Besonders gestern in der Frühe. Weil unser Anwesen höher gelegen ist als alle anderen im Dorf, haben wir uns mit meinem Mann vor die Haustür auf die Bank gesetzt, unseren Kaffee getrunken und den Sonnenaufgang am hellen Himmel beobachtet. Wie schön – dazu die Stille, unterbrochen ab und an durch die Stimmübungen der ersten erwachten Hähne. Schön, dass wir die hektische Zeit vor den vierziger Lebensjahren hinter uns haben.“ 
          Erstmals habe ich die auch sonst sehr vernünftige, humorvolle Frau in einer als elegisch zu bezeichnenden Stimmung erlebt. Die Tatsache, dass sie sich so offen mir gegenüber äußerte, freute mich außerordentlich. So wird ein Einkauf zu einem Erlebnis. 
           Wie Robert Browning meint: „Jede Freude ist ein Gewinn und bleibt es, auch wenn er noch so klein ist.“ 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger 





Schlüsselprobleme...

           Zum heutigen Post habe ich etwas sehr gut formuliertes gefunden. Pearl S. Buck meint und ich stimme uneingeschränkt zu: „Die wahre Lebensweisheit besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen.“ Ohne mich zu beweihräuchern – diese Art hinzusehen und zu sehen hat mir schon, seit ich mich dazu ganz unbefangen äußere, eine Menge Kritik der Uneinsichtigen eingetragen. 
           Wie sagt Friedrich Hebbel: „Das Publikum beklatscht ein Feuerwerk, aber keinen Sonnenaufgang.“ Noch etwas bissiger drückt sich J. W. von Goethe aus: 
„Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen? 
Die wenigen, die was davon erkannt, 
die töricht g`nug ihr volles Herz nicht wahrten, 
dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten, 
hat man von je gekreuzigt und verbrannt.“ 
           Schön, dass das heute recht unüblich ist – aber es tut mir leid um alle jene, die nicht verstehen, auf diese einfache Weise ihre Lebensqualität zu steigern. 
         Als wir gestern vom Morgenspaziergang heimkehrten, kam uns ein dick vermummter junger Mann entgegen gelaufen. Er hatte uns schon auf dem Hinweg überholt und wir waren an ihm vorbeigegangen, als er am Reck auf der Waldlichtung einige Übungen machte. Ich fragte ihn – wir grüßen einander, ohne näher bekannt zu sein – ob er heute die doppelte Norm erfüllen wolle. Seine Antwort: „Der Reißverschluss an der Tasche hier oben ist defekt. Als ich turnte, fiel mein Schlüsselbund heraus. Das habe ich an einen Ast gehängt und prompt vergessen.“ Wir beide lachten. 
           Wer meint, dass ich schadenfreudig bin – Fehlanzeige. Mir ist es vor vier oder fünf Jahren an selbiger Stelle ähnlich ergangen, als ich mich zum Baden auszog und meine Schlüssel in den Sand fielen. Der nahe Baum war Helfer und ich ließ meine Schlüssel ebenfalls hängen…  
          Etwas weiter auf dem Rückweg eine riesige Dogge, läufig. Das wittert unser Kai auf hunderte von Metern. Ich musste laut werden, um ihn zu mir zu zwingen. Meine Bemerkung: „Das ist nicht deine Gewichtsklasse!“ rief beim Herren des Tieres ein Lächeln hervor. Zweihundert Meter weiter ein Gleiches – nur war die Hündin ein Zwergterrier. 
          Wie sagen die Inder: „Unsere Freude beginnt dort, wo wir andere zum Lächeln bringen.“  
          Dann überholte mich in der Mittagszeit ein junger Mann, während ich gemächlich dem Hund hinterher spazierte. Er grüßte ganz unüblich hier auf Deutsch mit „Guten Tag.“ – worüber ich mich etwas wunderte. In dem sich entwickelnden Gespräch stellte sich heraus, dass er in der Schule und auch auf der Universität etwas intensiver als andere Deutsch gelernt und nun versucht hatte, seine Kenntnisse trotz gewisser Scheu zu überprüfen. Eine Viertelstunde sehr nettes Gespräch – wie viel Nutzen an guter Stimmung danach für beide.
        Heute Morgen nun das Treffen mit dem sehr großen und wunderschönen Malamut (s. Bild) und seinen Besitzern. Dieser harmonisch entwickelte und wunderbar eingefärbte Rüde begeistert mich immer wieder. 
         Abschließend das alltägliche Wunder zu Hause. Vor ein paar Tagen hatte meine Natascha angemerkt – ohne Vorwurf: „Dieses Jahr habe ich keine Blumen von dir zum Geburtstag bekommen.“ Mein Einwand, dafür wäre ein deutscher Männerchor in Lugansk zur Gratulation aufgetreten, wischte sie weg. Der Feldblumenstrauß von mir sei schöner. Heute habe ich sehr aufmerksam um mich geschaut und wirklich noch drei Spätblüher gefunden, ihr mitgebracht. Sie hat gelächelt – wie die Inder meinen, freute ich mich auch darüber. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger 







Kleine Münzen...

           Es gibt zum Thema mehrere sehr treffende Bemerkungen. Mir gefällt besonders, was Jean Anouilh zum täglichen Schatzsuchen formulierte: „Das Leben besteht aus vielen kleinen Münzen, wer sie aufzuheben weiß, hat ein Vermögen.“ 
          Nun lassen Sie sich hier ja kaum mit Kleingeld abspeisen. Deshalb ein wenig aus meiner Sammlung der letzten Tage. Am Sonntagmorgen war es erstmals in diesem Herbst richtig kalt. Aus dem Fenster war zu sehen, dass auf den Gräsern Reif lag. Also zog ich mir über das dicke Hemd einen Pullover und stülpte eine dünne Mütze über die dünnen Haare. Vor der Holzbrücke ein Lehrstück: ein älterer Mann fiel auf die Nase. Er hatte die Glätte der leicht bereiften Stufen falsch eingeschätzt. Musste sie also mit seinen Händen befühlen… Ich nahm deshalb sofort das Geländer als Stütze und kam wohlbehalten oben an. Man lernt am besten aus den Fehlern anderer. 
           Einer der Angler, mir bekannt, begrüßte mich mit Händedruck und der Bemerkung: „Na, hast du dich endlich etwas vernünftiger angezogen?“ Ich habe mit ihm darüber nicht diskutiert. Wer sich abhärtet, findet gewöhnlich wenig Verbündete. Außerdem ist das mit den Bedingungen beim fast unbeweglichen Angler nicht zu vergleichen. Bei + 12 Grad Celsius der Vortage reicht mir ein Flanellhemd völlig aus, da ich bei gewohnt raschen Gehen sonst zu stark schwitze. Dass bei ersten Minusgraden eine „Haut“ mehr angezogen wird, ist normal. 
           Nach einiger Zeit, wir waren schon im Wald, hörte ich einen Specht hämmern – der Lautstärke nach in der Nähe über uns. Mit Ohren und Augen suchte und fand ich den eifrigen Buntspecht. Hund Kai wunderte sich sichtlich, weshalb wir fast auf der Stelle herum traten. Aber so bekam ich die zweite kleine Münze des Tages – meine Befriedigung, die Laute der Natur immer noch zu verstehen. 
       Letztmalig in diesem Jahr sah ich auch den bunten Wald in seiner herbstlichen Farbenvielfalt. Die Mischungen von gelb, rot und braun mit dem dunklen Grün selten herausragender, noch belaubter alter Weiden oder noch dunklerer Nadelbäume. 
         Der Montag begann mit zwei Erlebnissen. Ein mir unbekannter Angler hob einen kleinen Zander aus dem Wasser auf die Brücke und brachte den stolz zu seinem Auto – ohne den zu töten oder, wie es bei deutschen Anglern heißt – ohne ihn zu versorgen (bedeutet ebendies). Der Fisch war nach meinem Verständnis untermaßig. Die Fischereiaufsicht in unserer Heimat würde dafür hart abstrafen. Außerdem ist er sicher elendiglich verreckt – so, wie auf dem Markt die „Lebendfische“ in kleinen Wannen oder Bottichen. 
      Als wir am anderen Brückenende waren, erscholl hinter uns Lärm. Ein etwa gleichaltriger, bekannter  Angler hatte einen größeren Fisch gehakt und versuchte, diesen erst einmal über Wasser und danach auf das Trockene zu bekommen. Ich beobachtete die Szene. Weil der Haken zu klein oder zu stumpf war, konnte sich der etwa 2 kg schwere Zander jedoch befreien. 
            Die Oberfläche des Flusses war wie mit einem bunten Teppich bedeckt. Der Frost vom Vortag und der Wind in der Nacht hatten gemeinsam dafür gesorgt, dass plötzlich viele Bäume entblättert worden waren. An Stelle des bunten Waldes vom Vortag war dieser nun vorwiegend astschwarz mit einzelnen Farbtupfern von besonders widerstandsfähigen Laubbäumen. 
            Im Wald ist es stiller geworden – viele Singvögel sind fortgeflogen. Freude machten Kohlmeisen und Kleiber, aber auch die durch die nackten Büsche leichter zu sehenden Eisvögel. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger   





Die nackte Wahrheit...

           Der Weg aus Lugansk nach Hause begann damit, dass im Zug nur noch im Zwei-Personen-Abteil zu fast dem dreifachen als dem normalen Preis Platz war. Aber nach fast drei Wochen in der Ferne musste das Geld eingesetzt werden. 
           Schon auf dem Weg von der Bushaltestelle nach Hause trafen mich die ersten vier Bekannten mit den Worte: „Alles Gute nach der Heimkehr.“ 
        Als erstes begrüßten daheim Hund und Kater mich so heftig, dass ich vorher das Gesicht abwaschen musste, um meinen Begrüßungskuss anbringen zu können bzw. zu dürfen… Nach auspacken der Wäsche folgte deren Verteilung auf die Waschmaschine und die Wartestation. Danach die gegenseitigen Berichte. 
         In meiner Abwesenheit hatte Natascha mit Sohn und Fliesenleger die Toilette renoviert. Sie wollte mich nicht mit dem Trubel, Staub und Schmutz in Berührung bringen – so kam ich ins Fertige. 
        Am Abend der erste Spaziergang mit dem Hund, der besonders folgsam war, immer dicht bei mir blieb. In der Wohnung verfolgte mich Kater Darik wie ein leiser Schatten. saß ich, sprang er auf meine Knie, lag ich, stieg er auf meinen Bauch oder ringelte sich in meine Armbeuge.
       Am gestrigen Morgen gingen wir – für Hund Kai erstmals seit langem wieder – am Fluss spazieren. Auf dem leicht gewundenen Weg waren weit vor uns zwei bunt gekleidete Personen zu sehen – Frauen, im Herbst ziehen Männer sich so nicht an. Beim Näherkommen etwas genauer: die schlankere von beiden inzwischen deutlich feucht im großen Badetuch, die kräftigere angezogen. Die Stufen zum Wasser nass. Ich ging vorbei, den Hund rufend. Damit der nicht eine der beiden belästigte. 
          Nach etwa 25 m drehte ich mich um – beide Frauen waren nackt. Die Schlanke rieb ihren Rücken trocken, während die Fülligere begann hinab ins Wasser zu steigen. Ein Bild für Götter – bzw. Männer… 
           Der Hund und ich waren etwa 200 m weiter gegangen, als am Rand einer kleinen Waldwiese und am Ufer einer kleinen Bucht eine Frau ihren Pullover überstreifte, während die andere, grazilere, schon topless, erst die Trainingshosen ablegte. Das dritte Geschenk an diesem Morgen. Die beiden schenkten mir wenig Beachtung – so wenig sehe ich schon nach rechtem Mann aus?  
           Wir gingen unseres Weges. Auf dem Heimweg dann die dritte Frauengruppe – ein Paar hoch zu Pferde. Die Reittiere gingen in forschem Schritt, das jüngere musste im Temperament gezügelt werden. Aber es war kaum zu halten und mit schnellen Schritten immer wieder vor dem etwas besser genährten anderen. Auf die Brücke gingen beide fast nebeneinander, eine Schräge hoch. Am Abgang aber musste eine Reiterin mit der erfahreneren Stute, schwarz mit weißen Fesseln, voran, denn dort an den Treppenstufen hielt sich das jüngere, gänzlich schwarze Pferd fast scheuend zurück. 
       Daheim berichtete ich von meinen Erlebnissen. Natascha meinte: „Du hast ja noch Marktwert, mein Alterchen, wenn sich die Frauen hier anlässlich deiner Heimkehr in  ganzen Gruppen nackt ausziehen.“ 
             So kann man das auch sehen. Als Kompliment.

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





Kollegen...

           Wer sprachliche Barrieren überwinden muss, hat es nicht immer leicht. Vor allem dann, wenn die Themen der Unterhaltung, über die aus Gründen der Notwendigkeit unbedingt gesprochen werden muss, sachlich weit auseinander liegen. Genauer: wenn geradebrecht wird. 
      Leichter ist es dann, wenn Berufserfahrung mit eingebracht werden kann. In der sich unsere ukrainischen Kollegen wenig von uns unterscheiden. Selbst relativ junge Burschen haben Erfahrungen, die bei jungen Deutschen heute so reichhaltig selten zu finden sind. Wenn ein junger ukrainische Meister aus der Mechanik-Werkstatt den Elektroantrieb eines Winkelschleifers vor unseren Augen auseinander nimmt und wieder funktionsfähig macht, ist das ein Zeichen jener Findigkeit, welche durch die unterschiedlichen Situationen und noch mangelnden Möglichkeiten ihrer Bewältigung durch Spezialisten herangebildet worden ist. 
           In den fast drei Wochen unseres Hierseins hat sich das gute Verhältnis aus den ersten Besuchen noch mehr gefestigt. Wenn ich zu den einzelnen Meistern oder Gruppenleitern komme, um einen Winkelschleifer oder anderes Gerät zeitweilig auszuborgen, finde ich die Minute, um nach der Gesundheit des Gesprächspartners zu fragen, ob der Sprössling wieder wohlauf ist, der Urlaub oder wenigstens der Sonntag erholsam oder der Angelausflug erfolgreich waren. Die Begeisterung für die Brüder Klitschko besteht auf beiden Seiten – ich bin mit meinen Bemerkungen zum Boxkampf Klitschko-Powetkin sofort noch angesehener. 
          Folglich  bekomme ich immer recht bereitwillig direkt oder von anderen besorgt alles, was wir benötigen. 
        Bei den Ukrainern haben wir ein modernes Analysegerät für die Bestimmung der chemischen Bestandteile von Edelstahl vor dem Schweißen gesehen – einfach fantastisch. Nur auf den Draht halten, einschalten, nach kurzer Zeit ist auf einer Art Handybildschirm die genaue chemische Zusammensetzung des Stahls abzulesen. 
       Andererseits bewundern sie einige der von unseren Kollegen mitgebrachten Meßeinrichtungen – zum Beispiel eine extrem genaue Wasserwaage in Form eines sich nicht verziehenden metallischen quadratischen Blocks. 
           Was beiden Gruppen von Kollegen gemeinsam ist: der sorgfältige Einsatz aller dieser Messmittel. Konsequent nach der alten Weisheit: „Lieber neun Mal messen, als einmal zu viel abschneiden.“ Denn in der Metallverarbeitung ist nach fehlerhaftem Verkürzen noch etwas abschneiden leichter, als an zu kurzem wertvollen Material wieder ein Stück anzusetzen. 
         Wenn am Morgen auf unserem Arbeitstisch ein von „Unbekannt“ abgelegter kleiner Berg frischer Walnüsse liegt, die so leicht zu öffnen sind wie kalifornische und auch sehr schmackhaft, ist das doch ein gutes Zeichen menschlicher Beziehungen untereinander. 
            Andererseits: unserem ukrainischen Kollegen Denis fiel seine Sicherheitsbrille für Schleifarbeiten herunter, zersplitterte. Spontan lief unser Patrick zu seinem eigenen Werkzeug, holte dort eine sehr moderne, als Reserve eingepackte, fast unzerbrechliche Brille heraus und schenkte diese mit freundlichem Lächeln dem immer hilfsbereiten Ukrainer. Beide waren zufrieden – der Gebende wie auch der Beschenkte.
          Meine Kollegen fragen nach der für sie immer gleich klingenden Bemerkung einzelner ukrainischer Arbeiter, welche mit mir scherzen – wissen sie doch, dass ich sie mental verstehe. Denn auf mein „Danke schön“ für eine unmittelbaren kurzzeitige Hilfe (Anheben eines schweren Werkstückes oder ähnliches) kommt manchmal das „Dankeschön kann man nicht in die Tasche stecken.“ oder „Dankeschön gluckert nicht.“ Das erste bedeutet, dass für die Leistung ja nichts bezahlt wurde – das zweite, dass kein Fläschchen mit Bier oder Stärkerem herüber gereicht wurde – in dem Lande übliche Entgelte für technische Hilfeleistungen. Das ging meinen Jungens ein. Aber wir kamen ohne diese „Währung“ aus. 
            Der Abschied war kurz und herzlich. Die Einladung der Männer an uns, doch wieder zu kommen, beantworteten wir damit, dass wir gerne kämen, es aber lieber sähen, wenn unsere Technik bei ihnen einwandfrei funktionieren würde.  

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger  








   

Hallo Taxi...

            Andere Länder – andere Sitten! Oder, wie es ein DDR-Schriftsteller einmal ausdrückte, den ich leider als Autor des Zitats vergessen habe: 

 „Reisen – die Erwartung, dass es anderswo anders ist. Reisen – die Enttäuschung, dass es anderswo anders ist.“

          Da fehlen die heimischen Bedingungen, es gilt eine ganz andere Straßenverkehrsordnung (Linksverkehr), die Einheimischen beweisen durch lautes Schmatzen und Schlürfen, dass es ihnen schmeckt (Ostasien), in Bulgarien kann man sich durch Kopfschütteln (bedeutet „Ja!“) in unangenehme Situationen manövrieren – und erst das „trockene Gesetz“ in einigen Staaten mit vorwiegend muselmanischer Bevölkerung…  

           Unsere Kollegen haben ihre Probleme mit den hiesigen Taxi-Betrieben. Der Ärger hier kam mit dem Regen. Wir hatten am Feiertag (Tag der Einheit, 03. Oktober 2013) eine halbe Stunde später unsere Arbeit aufnehmen wollen. Um morgens rechtzeitig vom Hotel in das Werk zu kommen, wo sie eine Spezialmaschine „aufpeppen“, muss man rechtzeitig ein Taxi bestellen. 
           Es ist so, dass wir auf Taxis der Firma „Eurotaxi“ fast gezwungen angewiesen sind, weil nur die Fahrzeuge dieses Unternehmens Taxometer besitzen. Die von jenen ausgedruckten Quittungen braucht unsere Buchhaltung dringend, um uns unsere  Aufwendungen zu erstatten. Der Morgen war verregnet. Wie gewohnt, rief ich etwa eine Viertelstunde vor geplanter Abfahrt beim Europa-Taxi an. Die Dame Dispatcher erklärte mir, dass sie zeitlich befristete Bestellungen nicht annehmen könne. Also rief ich andere Nummern an. Nach etwa 15 Minuten bekam ich bei einer die Auskunft, dass wir in etwa 10 Minuten ein Fahrzeug erwarten könnten. 
         Meist gelingt es schon, zeitnah ein Taxi zu bestellen. Kaum aber beginnt es intensiv zu regnen, geben Leute, die gewöhnlich an Bus- oder Straßenbahnhaltestellen geduldig warten, ihre Hrywna für ein Taxi aus. Damit wird ein Mechanismus in Gang gesetzt, an den sich z. B. einer unserer Kollegen absolut nicht gewöhnen will. Seinen Frust lässt er dann am Sprachmittler aus, der es nach seiner Meinung nicht versteht, rechtzeitig das Taxi zu organisieren. Dass die angespannte Verkehrslage die Dispatcher zwingt, diesem Unschuldigen – dem Sprachmittler – das Folgende zu sagen :     „Wir können gegenwärtig keine zeitgebundenen Bestellungen annehmen.“ „Sie werden 30 bis 40 Minuten warten müssen.“ 
          Wenn ich diese Antworten weitergebe, rastet der genannte Kollege bald aus. Das ist früh am Morgen im Hotel noch unverständlich – wir sind doch unschuldig an der Verspätung. Die Ukrainer im Unternehmen verstehen das.
                Unangenehmer wird es aber bei Arbeitsschluss. Wir müssen das Werk verlassen, stehen dann in dem engen Raum gedrängt zusammen, durch den sich auch noch Werksangehörige zum Ausgang drängeln. Auf der Straße strömender Regen. 
           Das endlich telefonisch gemeldete Taxi steht, weil an dem Ausgang des neuen Werksteils noch keine Hausnummer angebracht ist, etwa 80 m weiter in Fahrtrichtung und der Fahrer wird vom Dispatcher telefonisch an mich „weitergereicht“. Er will nicht wenden – man hat ihn an die Adresse geschickt, wir sollen hinkommen. Da ist danach die Stimmung der nassen Kollegen ganz im Eimer, denn wir haben ja schon eine halbe Stunde Freizeit mit Warten verschenken müssen. Außerdem ist das eines der Taxis, in welchem 4 kräftige und auch lange Kerle nur mit Mühe untergebracht werden können. Die Unebenheiten der hiesigen Straßen machen sich für einen von uns mit leicht gezerrtem Rücken so besonders bemerkbar. 
             Der Fahrer erklärt auf meine Frage noch etwas, das wir einfach nicht wissen können. Eben der Straßenzustand, durch die schlechte Sicht bei Regen noch weniger genau einzuschätzen, bringt viele Defekte an den Fahrzeugen mit sich – sie fehlen dann zeitweilig im Angebot. Das leuchtet den Kollegen ein. 
           Aber weil wir schon zehn Tage hier tätig sind, ist die Stimmung doch etwas angespannt. Wir wurden ja nicht wie Kosmonauten/Astronauten auf gemeinsame psychologische Verträglichkeit getestet… 
        Jedoch nach Duschen und Abendessen mit den besonders schmackhaften ukrainischen Gerichten war die Stimmung am Feiertag wieder gerettet. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger