Medikament Lächeln...



Gestern früh beim Spaziergang sah ich plötzlich, wie der mir bekannte krebskranke, deswegen auch extrem schlanke ukrainische Mann rasch über die Straße auf mich zukam. Wir hatten einander lange nicht gesehen -  was auf beiden Seiten natürliche, aber zum Glück nicht wahrhafte Gedanken ausgelöst hatte. 
Er klagte nach der Begrüßung darüber, dass er bei dieser Hitze Fieber habe. Allerdings auch eine Frage an mich Wie ich denn einen Satz bzw. dessen Gegenteil einschätze. Was daran absolut wahr sei. Meine begründete Überlegung, dass beide Sätze in Abhängigkeit von Person und Situation Berechtigung hätten, machte ihn nachdenklich. Er lächelte mir zu. Da zitierte ich ihm das folgende indische Sprichwort, um meine Befriedigung über seine Reaktion auszudrücken: „Unser Glück beginnt dort, wo wir bei einem Menschen sein Lächeln hervorrufen.“  Er lächelte stärker und sagte: „Batjko (Vater), sie haben mir wieder eine sehr eindrucksvolle Weisheit vermittelt.“ Worüber ich mich noch mehr freute. Sagte doch schon Wilhelm Busch: „Glück entsteht oft durch Aufmerksamkeit in kleinen Dingen, Unglück oft durch die Vernachlässigung kleiner Dinge.“ Also begann mein Tag mit einer kleinen Portion Glück. Weil alle Stimmungen sich auf unsere, also deutlich auf meine psychische Gesundheit auswirken, hatte ich mein morgendliches, positiv wirkendes  Medikament Lächeln eingenommen. Ganz ohne Geld und Chemie. 
Im Weiteren sah ich eine gut angezogene Frau mittleren Alters, die dazu sich auch noch elegant bewegte. Der hellgelbe Rock war aus einer Art Musselin, ließ die hübschen Beine bis auf Höhe des kurzen Unterrocks sehen. Geschickt geschmackvoll verborgen, dezent erotisch nicht nur männliche Blicke anziehend - eine Extravorstellung weiblicher Rafinesse. Sie war sich dieser Wirkung offensichtlich sehr bewusst… Warum auch nicht… 
Als ich den Hund zum Abend ausführte, begegnete mir Svitlanas Freundin, die ich ebenfalls lange nicht sah. Ich erfuhr, dass sie während dieser Krisenzeit in Arbeit geblieben war und zum Erhalt ihrer schlanken Figur aktiv Sport treibt. Ihre ehrliche Freude über unser Treffen und Gespräch tat mir wohl. 
Auf dem Rückweg lief uns eine ehemalige Freundin meines Stiefsohns mit ihrer inzwischen schon zweieinhalbjährigen ganz niedlichen Tochter Viktoria über den Weg. Die junge Mutti begrüßte mich ganz unzeremoniell, indem sie mir vor den am Kiosk stehenden Leuten um den Hals fiel und mich auf die Wange küsste. Die Empfindungen eines Greises in einer solchen Situation nachzufühlen überlasse ich Ihrer Phantasie. 
Wir standen etwa 15 Minuten beieinander und ich erfasste, dass mir die familiär eindeutig zufriedene, wenn nicht gar glückliche junge Frau nicht vergaß, wie ich ihr einst geraten hatte, sich von dem damals sehr eigenartig denkenden jungen Mann nicht unterwerfen zu lassen. Schön, dass er inzwischen einiges gelernt hat. Wir verabschiedeten uns so herzlich wie wir uns trafen. 
Am gestrigen Tag habe ich sehr viele Glückssplitterchen in meine persönliche Schatulle einordnen können. Was ich Ihnen auch wünsche! 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger   





Tagesfunken



Wenn ich in diesem Blog für Sie etwas schreibe, dann in erster Linie nicht, um ein konkretes Problem zu lösen. Sondern Ihnen zu zeigen, dass der römische Kaiser und dazu Philosoph Marc Aurel mit seinen Sentenzen vor etwa 1900 Jahren einen bemerkenswerten Satz schrieb: „Betrachte einmal die Dinge von einer anderen Seite, als du sie bisher sahst, denn das heißt ein neues Leben beginnen.“ 
Mit meinen täglichen Erlebnissen kann ich unterschiedlich umgehen. Wenn ich sie in Freuden für mich wandele, habe alle mit mir gemeinsam lebenden Menschen etwas davon. Beginne so täglich meinneues Leben. Getreu der Prämisse des deutschen Dichters Gotthold Ephraim Lessing: „Lese jeden Tag etwas, was sonst niemand liest. Denke jeden Tag etwas, was sonst niemand denkt. Tue jeden Tag etwas, was sonst niemandem albern genug wäre, zu tun. Es ist schlecht für den Geist, andauernd Teil der Einmütigkeit zu sein.“ 

Als mich am Morgen des ersten August meine liebe Frau mit geheimnisvoller Miene in die Küche winkte, lag da auf einem großen Teller ein gefrorener Fisch. Ich erkannte sofort eine Schleie - aus dem Eisschrank. Mir wurde eröffnet, dass Natascha tagsüber nicht da sein würde, weil sie unseren von der Krim rückgesiedelten Freunden in Fragen bei deren Hausbau behilflich sein würde. Der von Pavel während meiner Berlinreise per Harpune erbeutete Fisch sei extra für mich aufgehoben worden, weil ich ihn bevorzuge. Den solle ich mir mittags zubereiten und schmecken lassen. Was ich nach einem Rezept tat, das ich in der Heimatzeitschrift der Insel Föhr las und für mich variierte. Für mich ist das außergewöhnlicher  „Fisch im eigenen Saft“. 
Man nehme mittelgroße Schleien oder große Barsche, die sich gewöhnlich nicht gut schuppen lassen. Aber auch Kabeljau (Dorsch) oder beliebige andere Fische sind geeignet. Den Händler bzw. Fischer kann man bitten, die Köpfe zu entfernen und den Fisch längs zu halbieren (Mittelgräte kann drin bleiben). Wer sich das zutraut wie ich, erledigt diese Arbeit ebenfalls. Wenn keine Gäste da sind, entferne ich auch alle Flossen mit der Geflügelschere. Sie sind sperrig und haben für mich  auf den Geschmack keinen merkbaren Einfluss. 
Den Backofen heize ich auf 180-200 Grad auf. Auf ein Kuchenblech lege ich Aluminiumfolie (wer vorsichtig sein will in Doppellage) und bestreiche die mit Speiseöl. Mit der Schuppenhaut wird der Fisch auf die Folie gelegt, vorsichtig, aber ausreichend gesalzen und mit Pfeffer bestreut. Keine anderen Gewürze, Zitronensaft oder ähnliches. Das Backblech in die Röhre schieben und nach etwa 15 Minuten kontrollieren. 
Es gibt vor allem hier in der Ukraine Hausfrauen, welche beliebigen Fisch fast so lange wie Rindfleisch kochen. Das ist Unfug. Wenn sich am Rand der Fischstücke hellbraune Flüssigkeit sammelt, sollte man alles noch fünf weitere Minuten garen lassen. 
Meine Schleie vom ersten August 2014 war eine Delikatesse. Die mich befriedigte, meine Stimmung anhob. Freude, schöner Götterfunken… Selbst wenn mich jemand für diese Bemerkung abstrafen möchte: „Jede Freude ist ein Gewinn und bleibt es, auch wenn er noch so klein ist.“ sagte berechtigt Robert Browning. 

Bevor meine Natascha am ersten August wegfuhr, stöberte sie mit ihrem iPhone noch etwas im Internet. Dann lachte sie und las mir vor: „Wenn sie sagt „Du bist doch der Allerbeste“ – dann sollte er sich nicht nur darüber freuen, sondern nachdenken – wo und mit wem fand der Wettbewerb statt?“ 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger 




      

Ausbeute Odessa



Lange habe ich überlegt, wie ich eine für mich wesentliche Überlegung der letzten Wochen formulieren solle. Wir haben in Odessa auf der meernah gelegenen Datsche unserer Freunde eine ganze Woche verbracht. Der Stadtteil von Odessa, in welchem sie steht, heißt heute Tshernomorka, war früher als Lustdorf mit vorwiegend deutschen Einwohnern (ehemaligen Schwaben) bekannt. 
Der Aufenthalt dort war durch informatorische Diät gekennzeichnet – Radio, Fernsehen und Internet fehlten vor Ort. Der nahe Strand war sandig und recht breit, allerdings nicht einfach zu erreichen vom Steilufer. Für mich wegen meines invaliden linken Knies, für meine Frau wegen der für ihre Größe ungerechtfertigten Masse. 
Der Urlaub war leider überschattet durch den Tod der Mutter unserer Freundin. Mir hat die von Störungen freie Zeit Anlass geboten, einen Gedanken zu verfolgen. Vor Jahren schon hatte ich meinen Moskauer Arzt-Freund nach dem Sinn menschlichen Lebens gefragt. Er antwortete sehr eigenwillig: „Den kenne ich nicht. Er muss im Leben selbst begründet liegen. Denn ich hatte schon blutige Fleischklumpen auf dem OP-Tisch, die mich bettelten – Doktor, gib mir noch fünf Minuten. In dem Versepos „Pilgrime“ gibt es eine mich befriedigende Antwort: Leben ist eine Fata Morgana und der Weg zu ihr.“ 
Mir scheint, dass der lange Kampf vieler gegen ihr Ende aus dem Wunsch gespeist wird, diese Erde nicht zu verlassen. Aus dem Wissen darum, dass wir aus der Ewigkeit Zukunft kamen und in die Ewigkeit Vergangenheit eingehen. Dass der winzige, unser Augenblick zwischen den Ewigkeiten etwas unsagbar Einmaliges ist – wie auch wir selbst. Das bewusst aufzugeben, loszulassen scheint mir das Ungeheuerliche, unsagbar Schwere am menschlichen Sterben. 
Deshalb versuche ich auch aktiv, meinen eigenen Abschied hinauszuschieben. Dadurch, dass ich alles mir bekannte zur Gesundheitsvorsorge nutze. Abhärten, altersgerecht viel bewegen, genügsam essen. Nach Möglichkeit mit vielen vernünftigen Leuten reden, lachen. 
Erst vor einigen Tagen hat mir einer meiner ukrainischen Freude einen Artikel geschickt. Über die Gründe japanischer Langlebigkeit. Der Autor hat als hervorstechendste Eigenschaft japanischer Menschen die anerzogene Fähigkeit zur Vermeidung schlechter Laune, von kleineren oder größeren Konflikten zwischen einzelnen und Gruppen hervorgehoben. Damit ist die Stabilisierung positiver Grundeinstellung verbunden. Das an Bodenschätzen bettelarme Japan hat mit dieser Einstellung zum Leben und dessen Grundlage, der Arbeit auf hohem qualitativem Niveau den Weg mit an die Spitze der gutsituierten Völker geschafft. 
Deswegen ist mir heute verständlich, was vor Jahren ein russischer Gerontologe schrieb. Ein Japaner von 102 Jahren hatte auf dessen Frage nach dem Grund seines Alters geantwortet: „Für mich ist das Leben noch interessant. Wenn es mich einmal nicht mehr interessieren sollte, drehe ich mich auf meiner Schlafmatte zur Wand und bin in einer halben Stunde tot.“ 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger