Fernfahrt III



Am zweiten Tag der Montage stellte sich heraus, dass zwischen Käufer der Maschine (einem Vermittler) und Empfänger (Fabrik) aus unklaren Gründen keine echte Kooperation bestand. Eine Reihe im Kaufvertrag fixierter technologischer Anforderungen war nicht bis zum Leiter der Werkhalle durchgestellt worden. Als Beispiel: ein junger Mann lief schon am Vortag mit einer Skizze umher, auf welcher er uns einzuzeichnen bat, wo wir die Maschine platzieren wollten. Natürlich sparten wir mit Raum. Denn dass der Hallenkran alle Bereiche erreichen könne, setzten wir voraus. Der aber konnte an dem Rand, wo das Maschinenbett schon fixiert war, seiner eingekürzten Kabel wegen etwa zwei Meter nicht ausnutzen. Das machte die Montage des so genannten „Maschinenkopfes“ problematisch. Mit vereinten Kräften auch vieler russischer Kollegen und einigen erstaunlichen Tricks erfahrener Maschinenbauer war gegen Abend das Bearbeitungsteil an seinen Platz gehievt und sicher genug befestigt. 
Mir war an diesem Tag nach einem etwas heftigen Gespräch mit dem Vertreter des Käufers klar geworden, dass dieser etliche wesentliche Bedingungen des Vertrages nicht kannte und wir deshalb wegen einigen Voraussetzungen doch sicherheitshalber  beim Nutzer nachfragen sollten. 
Gewöhnlich waren bei anderen Einsätzen schon bei der Montage die späteren Bediener dabei gewesen, um ihre Maschine gründlich kennen zu lernen. Hier fehlten diese Männer. Für den Probebetrieb und auch die spätere Produktion mussten für zwei separate Kühlsysteme unbedingt 250 Liter destilliertes Wasser in zwei Tanks gefüllt werden. Zur Führung von langen Grundmaterialien sollte hinter der Maschine durch den Anwender ein nicht vom Hersteller mitzulieferndes Rohr aufgestellt werden. Beide Fragen klärte ich mit dem Hallenchef, der von diesen Anforderungen nichts gewusst hatte. Er sorgte sofort für die zweckmäßigen Einkaufs- bzw. Fertigungsaufträge. 
Wir aber hatten weder Zeit noch Lust, den Informationsverlust aufzuklären. Und ich hatte mich nur eingemischt, weil ich die gesamte vor uns stehende  Aufgabe erfolgreich hatte abschließen wollen – auch wenn ich nur der Dolmetscher war. Aber es stand im Ausland die Ehre eines deutschen mittelständischen Unternehmens auf dem Spiel. 
Am dritten Tag kamen die Operatoren mit an die Maschine. Es konnte trotz einiger Schwierigkeiten mit Hilfe eines extrem bereitwilligen russischen Elektrikers, der einst in der DDR als Soldat gedient hatte, die elektrische und elektronische Installation abgeschlossen werden. Nachmittags wurde das benötigte Kühlwasser geliefert, Druckluft angeschlossen, das erforderliche Stahlrohr auf Stelzen hinter der Maschine aufgestellt. 
Mit dem Vertreter des Käufers hatte ich erneut einen Disput, als er die die Betriebs- und Wartungsvorschrift in Russisch schriftlich und elektronisch anmahnte. Der Vertrag sah keine konkrete Form vor. Ich berief mich darauf, dass die Leute an der Maschine etwas Schriftliches benötigten, das von uns geliefert worden war. Sein Argument: das lässt sich aus einer Datei drucken. Wir einigten uns, dass die elektronische Version an seine e-mail-Adresse kommen würde.  
Am späten Nachmittag wurde die Funktionsprobe ein voller Erfolg. Die Bedientafel wechselten wir danach gegen eine mit kyrillischen Buchstaben – anschließend haben wir als erste Unterweisung der Bediener ein Probewerkstück begonnen. Weil kurz zuvor der eigentliche Abnahmeingenieur des Käufers eingetroffen war, haben wir dem Folgetag optimistisch entgegengesehen. 
Am vierten Morgen setzten wir die Unterweisung der sehr wissensdurstigen Bediener fort und beendeten das Probestück. Der Abnahmeingenieur konstatierte, dass es in Qualität und Fertigungszeit (Produktivität) den in Erfurt gezeigten entsprach. Beide Verantwortlichen entfernten sich, um die gelungene Abnahme zu dokumentieren. 
Wir begleiteten bei fast völliger Selbständigkeit der Bediener den vollen Produktionsprozess des ersten für das Unternehmen des Nutzers gefertigten Werkstücks. Beantworteten dabei und danach die Fragen der Operatoren. Verabschiedeten uns abends herzlich und dankbar von allen unseren Helfern. 
Der Busfahrer des Kleinbusses nannte uns die Abfahrzeit am frühen Morgen. Die Abfertigung am kleinen Flughafen Bugulma war etwas ungewöhnlich, aber unter Einhaltung aller Sicherheitsvorschriften. Erneut startete die kleine Bombardier-Maschine auf einer leicht verschneiten Piste. Mit disesem Flugzeug landeten wir gegen 9 Uhr in Moskau-Domodedowo. . 
Über die netten Worte der Dankbarkeit für meine Umsicht von den Kollegen zum Abschied freute ich mich besonders. 
Da ich ohne Schwierigkeiten ein Bahnticket Moskau-Kiew bekam, war ich rund 24 Stunden später gut ausgeschlafen dort auf dem Hauptbahnhof, wo mich Natascha erwartete. 
Die unerwartete Fernfahrt hatte ihr glückliches Ende gefunden. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





Fernfahrt II



Tatenlos warten ist für fast jeden Reisenden eine der unangenehmsten, langweiligsten „Beschäftigungen“. Auch dann, wenn man auf einem fremden Großflughafen eine Gruppe Leute treffen muss. Da bis zu ihrer Ankunft noch recht viel Zeit war, ging ich zum Medpunkt, um meinen Blutdruck messen zu lassen. 
Dort war man erstaunt, einen recht passabel Russisch sprechenden Deutschen aus Kiew betreuen zu dürfen. Noch mehr verblüfft waren Ärztin und Schwestern, als ich die Druckwerte vom Sonnabend genannt hatte. Die hier festgestellten waren normal. Von den drei versammelten Damen wollte eine wissen, weshalb ich in der Ukraine gestrandet sei. Meine Auskunft, ich wäre des Geschäfts wegen gekommen und aus Liebe geblieben, wurde beifällig aufgenommen. 
Bis ich auf dem weiträumigen Flughafen anschließend zum Ankunftsterminal gewandert war, dabei aufmerksam alle Personen musternd, verging auch einige Zeit. Selbst wenn die häufigen Angebote von preiswerten Hotelbetten und ebensolchen Taxis mich etwas nervten. Nur wurde mein suchender Blick nach eigenem Gusto gedeutet. Das Flugzeug aus Tegel kam später als erwartet – der Abflug war eine halbe Stunde verzögert. Aber auch die Zollformalitäten (die Gruppe hatte einige Spezialwerkzeuge dabei) sorgten dafür, dass die Männer mit ihrem Gepäck fast als letzte kamen. 
Nach erfreuter Begrüßung die Entscheidung: wir gehen in ein Café der oberen Etage, um ein vorgezogenes Abendessen einzunehmen. Denn nach unserer Landung gegen 22.30 Uhr in Bugulma würde im Hotel kaum etwas angeboten werden. Hier erfuhr ich, was mein Freund in der Eile nicht erwähnt hatte: wir würden mit zwei russischen Kollegen per Taxi in das rund 40 km entfernte Almetyevsk gebracht werden. Wo auch die Montage ablaufen würde. 
Die angekündigten Männer kamen noch während unseres Essens zur Vorstellung kurz an unseren Tisch, setzten sich darauf beiseite. Nach dem Einchecken fuhr ein Bus gegen 20 Uhr recht lange alle Fluggäste über das Flugplatzgelände, bis wir an ein kleines Flugzeug vom Typ Bombardier CRJ kamen. Für nur 50 Passagiere. Mit dem flogen wir zum Flughafen Bugulma. Auf leicht verschneiten, aber unerwartet guten Straßen fuhren uns die Taxifahrer mit sehr hohem Tempo durch die Nacht nach Almetyevsk. Der Preis für die Fahrt war gegenüber den Moskauer Kosten lächerlich gering. 
Im angenehmen kleinen Hotel „Omega“ wurden unsere Pässe „eingezogen“ für die hier noch übliche polizeiliche Anmeldung am Folgetag. Wir bezogen gut ausgestattete Zimmer und schliefen prächtig. Das reichhaltige Frühstück bekamen wir – jeden Tag – in der „Plinsendiele“, wie ich die „blinnaja“ frei ins Deutsche übertrug. Anschließend ging es ins rund 12 km entfernte Werk. 
Empfangen wurden wir dort vom Ingenieur für Produktionssicherheit. Erstmals in unserer Tätigkeit bekamen wir im Ausland eine Arbeitsschutzbelehrung, die mit Unterschrift dokumentiert wurde. Anschließend einen Schutzhelm, den wir ständig zu tragen verpflichtet wurden. 
In der Werkhalle herrschte neben Lärm auch ein Geruch nach frischer Lackfarbe und es war staubig. Der Fußboden, auf dem unser über acht Meter langer Maschinenkörper streng horizontal aufgebaut werden sollte, war recht wellig. Im  Gespräch mit dem Leiter der Werkhalle wurden uns die Kranführer vorgestellt und auch die „Verbindungsleute“, welche die erforderlichen organisatorischen Vorgänge selbständig oder über ihn einleiten sollten. Danach wurden die anderorts noch verpackt gelagerten schweren Maschinenbaugruppen nach unseren Vorgaben in die Halle gebracht und von uns ausgepackt. 
Als um 11 Uhr alles Licht verlosch, waren wir einen Augenblick verdutz. Wir erfuhren, dass dies Signal für die allgemeine Mittagspause war. Alle in der Produktion tätigen Personen wurden so in die Pause geschickt. 
Uns hatte man gesagt, dass wir mit den Leuten aus den Verwaltungsbereichen ab 12 Uhr in einer gesonderten, jedoch einfachen Kantine verpflegt werden würden. Dort musste ich als erster in unsere kurze Reihe, um die angebotenen Gerichte knapp zu beschreiben – wenn nötig. Am zweiten Tag waren meine Kollegen im Speisesaal schon selbstständig. 
Die Haltung der verschiedenen in der Halle tätigen russischen bzw. tatarischen Kollegen uns gegenüber war durchgehend freundlich, sie boten nicht selten ihre Hilfe an, wenn sie meinten, dass wir diese brauchten. Wenn ihnen ihre Arbeitsaufgabe ein Fernsein vom Arbeitsplatz erlaubte. Nicht selten wurden Brocken aus dem Deutschunterricht vor langer Zeit aktiviert, um uns gegenüber Aufmerksamkeit zu zeigen. 
Mit Verwunderung wurde beobachtet, dass aus einer der großen Kisten eine alte Werkbank herausgehoben wurde, an der ein deutscher Kollege den durch sie mitgebrachten großen Schraubstock anbrachte. Was fehlte, war eine Richtschnur, um das Maschinenbett genau auszurichten. Ich sagte das einem der Verbindungsleute. Als trotz Erinnerung lange nichts kam, hatte Bernd eine Idee. Mit 12 m dünnem Schweißdraht, gesehen an einem Arbeitsplatz, fluchteten unsere Männer das Maschinenbett. Eine halbe Stunde später kam ein junger Mann mit einem Knäuel. Er hatte von seiner Frau daheim eine dünne Wäscheleine geholt. Schlussfolgerung: zur nächsten Montage die Richtschnur auch noch einpacken. 
Den Abend des ersten Tages beschloss ein Abendessen im Restaurant „Alter Speicher“ – rustikal  eingerichtet und mit recht guter Küche. Von unserem Hotel etwa sieben Minuten Fußweg, aber auf von Schnee matschiger Straße. 
Fortsetzung folgt. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





Fernfahrt I



Als mich am 04.11.2015 der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens aus Deutschland anrief, erkundigte er sich nach meiner Gesundheit. Wir sind seit längerem auch befreundet, so dass ich erfreut und wahrheitsgemäß meine positive Auskunft gab. Er war zufrieden und kam danach zur Sache. Ob ich seiner Montagemannschaft aushelfen könne. Ihr in Moskau lebender deutscher Dolmetscher sei erkrankt – die sprachliche Betreuung der Montage einer mir bekannten Spezialmaschine sei unbedingt erforderlich. Ob ich ihnen aushelfen könne. Wer mit 78 Jahren ein solches Angebot bekommt, das ihn aus dem Rentneralltag reißt, sagt zu. Vor allem mit meinem Charakter. 
Wir verabredeten die Voraussetzungen. Am folgenden Nachmittag bekam ich von seiner Sekretärin die Reservierung eines Hotelzimmers in Moskau und das elektronische Ticket der Flugreise Moskau-Bugulma (Tatarstan) und zurück per e-mail. Meine Frau besorgte unverzüglich eine Fahrkarte zum 07.11. für einen Nachtzug Kiew-Moskau, da mit dem 25.10.2015 der Flugverkehr Ukraine-Russland eingestellt worden war. 
Am 07.11. war in der Frühe mein Blutdruck extrem niedrig. Mein Freund Dirk aus Odessa gab mir als Arzt einen Hinweis, nachdem er meine Verzehrgewohnheiten erfragt hatte. Ich solle erst rasch eine Tasse starken Kaffee trinken, aber über den Tag viel mehr Wasser als sonst. Seine Auffassung: Tee und Kaffee dürfe ich nicht in die tägliche Flüssigkeitsbilanz einrechnen, da beide harntreibend seien. Deshalb zeigte ich Symptome von Wassermangel (Dehydratation). Nachmittags, vor der Abfahrt, war der Blutdruck dank dieses Tipps wieder normal. 
Am Hauptbahnhof von Kiew gerieten wir zufällig in eine Aufnahme zu einem Fernsehbericht, dem Abbruch der Flugverbindung und der damit verbundenen erhöhten Nachfrage nach Zugverbindungen gewidmet. Natascha und Pavel sahen diese Sendung und uns life – aus einer Zusammenfassung nach einer Woche, als ich wieder daheim war, hatte man uns der Kürze wegen schon  herausgeschnitten. 
Diese Nacht im Liegewagen habe ich schlecht geschlafen – die Matratze war recht dünn. Die Grenzkontrollen waren moderat, hatten keineswegs die erwartete Spannung aus den militärpolitischen Ereignissen zwischen beiden Staaten. 
Gegen zehn Uhr Moskauer Zeit kamen wir am Kiewer Bahnhof an. Der Taxifahrer war beflissen, hatte im Fahrzeug einen Navigator und kassierte auf Berlins Niveau. 
Im günstigen Einbettzimmer des georderten kleinen Hotels war es recht gemütlich – sieht man vom Ausblick auf einen Hinterhof ab. Nach Verstauen und Rasieren ging ich ins nahe gelegene Einkaufszentrum, besorgte den beeline-Chip für mein Handy. Dann informierte ich Natascha, dass ich gesund vor Ort sei und rief bei Viktor an, meinen Besuch verabredend. 
Nachmittags fuhr ich per Metro und Bus zu meinem Freund Viktor Wassiljewitsch, der mir vor 45 Jahren nach einem Unfall die gering eingeschränkte Beweglichkeit meines linken Knies mit meisterhafter Operation gerettet hatte. Nach seinem Schlaganfall vor einigen Monaten ist der 90-jährige geistig voll da, allerdings motorisch leicht eingeschränkt. Die Aufnahme meiner Knieprothese hat er wohlwollend mit der Bemerkung betrachtet: „Die deutschen Kollegen haben dir Gutes angetan.“ 
Nach angeregter Unterhaltung, an der seine Tochter und seine alte Freundin aus St. Petersburg teilnahmen, verabschiedete ich mich. Nach unserer Umarmung sagte er leise „Auf Wiedersehen!“ und zeigte mit der linken Hand zum Himmel. Beinahe hätte ich auf diese Prophezeiung mit den Worten geantwortet: „Ich als alter Sünder komme gewiss in die Hölle.“ – was ein Wiedersehen ausschließt, wenn es sie wirklich gibt. Aber gut, dass ich mir manchmal erst überlege, was ich sagen will. Zusätzlich bremste mich, dass ich mir erst die ungewohnten Worte aus meinem russischen Wortschatz herausfiltern musste. 
Diese Nacht schlief ich sehr gut. Am Folgetag und einem etwas eigenartigen Frühstück begab ich mich nach Auschecken per Aviaexpress, einer günstigen und recht komfortablen Schnellverbindung, zum größten Moskauer Flughafen – Domodedowo. Fortsetzung folgt.

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





ZAR rehabilitieren



Weil die Heimkehr in die Ukraine nach sechs Wochen Abwesenheit einige Anforderungen an mich hier brachte, habe ich die Beschreibung einer positiven Erfahrung aus der Zeit in Berlin eigentlich zu lange aufgeschoben. Sie ist für mich aber so bemerkenswert, dass ich sie heute „nachreichen“ will. 
Wer unterschiedliche Operationen oder Unfälle hinter sich hat, kann unter normalen Bedingungen in der Heimat stationäre oder ambulatorische Rehabilitation verordnet bekommen. Nach meiner Knieoperation (siehe in diesem Blog den Post „Positive Verspätung“) wurde mir wegen der Nähe meiner Wohnung zu dieser Einrichtung die Reha-Station ZAR (Zentrum für ambulante Rehabilitation) in der Gartenstraße von Berlin angeboten. Ich nahm an. Die Entscheidung war gut – auch wenn ich zuvor im Internet zum ZAR Gartenstraße einige abfällige Bemerkungen lesen durfte. Ein Kommentar kommt später. 
Für Gesunde bzw. für meine Leser: der Patient wird in der Regel drei Wochen lang zu einem verabredeten Zeitpunkt meist pünktlich zuhause abgeholt und hat anschließend das Vergnügen, mit den anderen Insassen des Krankentransportfahrzeugs die Straßenführung des Stadtbezirks täglich neu zu betrachten. 
Besonderheiten für den Fahrer: aus Versicherungsgründen dürfen die Patienten Türen weder selbständig öffnen noch schließen. Obwohl manche, vor allem zu Beginn der Rehabilitation, dazu kaum in der Lage sind. Vielen von ihnen muss er beim Ein- und Aussteigen lange Zeit behilflich sein. Für Rollstuhlfahrer gilt das selbstverständlich immer. Diese haben ein Vorrecht – wenn sie nicht extrem weit weg wohnen, werden sie gewöhnlich bei Schluss der täglichen Reha-Prozeduren als erste nach Hause gebracht. Die Arbeit der Kraftfahrer wird ab und an dadurch erschwert, dass eine oder einer der Patienten erkrankt oder andere wichtigen Verabredungen wahrnehmen muss. Daran erst an dem Morgen denkt und beim Anruf unseres Svend Calenda vom Handy, dass wir in zehn Minuten bei ihm seien, mit der Antwort kommt, er würde heute nicht mitfahren. Dann ändert sich kurzfristig die Streckenführung. Oder auch, wenn plötzlich Baumaßnahmen oder Unfälle Staus hervorrufen. 
Den plötzlichen Ausfall eines Fahrers will ich nicht erörtern. Denn dafür steht als Beispiel die ernsthafte Erkältung eines Massagespezialisten. Als ich eines Morgens zur Anmeldung kam, drückte mir die Diensthabende einen neuen Plan in die Hand. Meine Lymphdränage (eine spezielle Massage) fiel deshalb aus, eine andere Prozedur war an deren Stelle eingeschoben. Dadurch ist meine Schwellung am linken Unterschenkel erst später vergangen, als mir angenehm war. Nur kann sich die Einrichtung für einen solchen Fall keinen Masseur in Reserve halten – das sollte jeder verstehen. Als ich diesen Standpunkt einer wegen der exakten Planänderung laut meckernden „Dame“ anbot, war diese uneinsichtig. 
Kommentar: Von einer solchen Art Patienten stammen dann die negativen Beurteilungen der medizinischen Einrichtungen im Internet. Dort können sie anonym schimpfen – ohne Verantwortung zu tragen. Feige – oder gar hinterhältig. Meine ich. 
Lustig war zwei Tage später die Begegnung mit der dennoch vorhandenen Vertretung des Masseurs. Sie reichte mir unzeremoniell die Hand. „Teresa.“ Die Bemerkung, dass sie nicht nach der Mutter gleichen Namens aussähe, verkniff ich mir. Es stellte sich heraus, dass die 29-jährige Studentin der Medizinpädagogik bei Erfordernis im ZAR aushilft. Sie ist im erlernten Beruf Masseuse. Allerdings kann sie nicht sofort kommen, muss die außerplanmäßige Arbeit mit ihren Studienverpflichtungen abstimmen. 
Eine andere Besonderheit: ich hatte eigentlich keine Lust, am Seminar „Sport und Bewegung im Alltag“ von Herrn Jirka teilzunehmen. Weil ich selbst sehr aktiv lebe. Aber das war eine Unterschätzung des Mannes. Er begann damit, dass er fragte, was im Leben denn ständig eine sportliche Anforderung sei. Seine eigene Antwort war, dass ein jeder Übergang an einer Ampelkreuzung mit der eigenen Geschwindigkeit von 4,7 km/h ungefährdet zu überwinden sei. Vor allem ältere Personen sollten deshalb täglich „trainieren“, um in diesem Wettbewerb nicht zu unterliegen. In dieser Art ging es weiter. Noch nie habe ich zu den gewöhnlichen, alltäglichen Anforderungen an unseren Körper einen so interessanten, psychologisch gründlich unterfütterten Vortrag gehört. Dazu mit Humor gespickt und von einem Talent in der Kommunikation zeugend. 
In der von ihm mit betreuten Abteilung Sporttherapie bekam ich eine höfliche Lehre in Disziplin. Weil ich aus eigenem Antrieb meine Übung auf dem Belastungsfahrrad um 15 Minuten und die auf dem Laufband um zehn Minuten überzog, sagte mir die betreuende, meine Nachweise prüfende Betreuerin ganz ruhig: „Gut, dass sie das vor ihrer Mittagspause machten. Auch wenn das für sie vorteilhaft ist – bitte denken sie an unsere Planung. Die Geräte sind gewöhnlich alle zeitlich genau ausgelastet. Sie können mit ihrer Initiative unsere gesamte Planung und die der anderen Patienten durcheinander bringen.“ 
Diese Kopfnuss hatte ich verdient… Mit welchem Recht hatte ich unüberlegt in Abläufe eingegriffen, die recht sorgfältig und für das Wohl der Betreuten kombiniert in Art und Dauer ausgerichtet sind? Zu meinem Glück war in der begonnenen Mittagszeit die Auslastung der Abteilung so gemäßigt, dass ich keine negativen Folgen verursacht hatte. Aber Recht hatte die junge Frau doch. Von uns nicht ausreichend überlegten Handlungen führen in manchen anderen Fällen zu Katastrophen und heißen dann „menschlicher Faktor“. 
In einem ungerechtfertigten Kommentar zum ZAR beschwerte sich der Schreiber darüber, dass nach seiner Auffassung ihm beim Beginn der Reha nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die Betreuer, einschließlich der Ärzte, haben doch vor Festlegung der erforderlichen Prozeduren die Diagnosen der überweisenden Ärzte zur Kenntnis genommen. Also erübrigen sich außer einigen spezifischen Fragen lange Gespräche. Wer jedoch mehr will, darf gern seinerseits Fragen stellen. Ich erlebte, dass mir bereitwillig und sachlich geantwortet wurde. 
Niemanden aus der Reha beneide ich um seine Arbeit – sie ist mit den zumindest anfänglich nicht immer verständnisvollen Personen kompliziert. Auch körperlich schwer mit den an den Rollstuhl gefesselten Menschen oder sonst stark Behinderten. Da ist die angenehme Atmosphäre mit der sehr persönlichen Hinwendung zum Patienten, die vorsichtige Berücksichtigung seines Befindens und die gewisse Heiterkeit in Umgang mit Kollegen und Patienten beispielgebend. Ein für mich bei mir und anderen wünschenswertes Verhalten im Alltag. 
Allen auch an meiner endgültigen Rehabilitation Beteiligten auf diese Weise ein großes Dankeschön!

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger