Zufrieden...

Mit anfänglichem Erstaunen habe ich bei Peter Scholl-Latour gelesen, dass die "Ringparabel" aus dem "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing heute absolut nicht mehr zeitgemäß ist. Sein Taschenbuch "Kampf dem Terror - Kampf dem Islam?" (IBSN 3-548-36679-1) hat mich am Ende doch davon überzeugt. 

Allerdings befolge ich täglich das, was dieser große deutsche Dichter ebenfalls schrieb: „Lese jeden Tag etwas, was sonst niemand liest. Denke jeden Tag etwas, was sonst niemand denkt. Tue jeden Tag etwas, was sonst niemandem albern genug wäre, zu tun. Es ist schlecht für den Geist, andauernd Teil der Einmütigkeit zu sein.“ 

Deshalb schaue ich hier auch "dem Volk aufs Maul", wie es Martin Luther empfahl und  fahre gut dabei, weil ich echte Meinungen erfahre. Aber auch Spaß habe. Meine bekannte Verkäuferin auf dem Basar erzählte zum Beispiel, wie sie einen Protz in die Schranken gewiesen hatte. Der wäre zum Einkauf an ihren Stand gekommen, hatte etwas bestellt. Als sie die Ware abwog, wedelte er auffällig mit seinem dicken Portemonnaie herum. Sie übergab ihm die  verpackte Ware und er fragte, auf die vielen großen Scheine deutend: "Was soll ich ihnen geben?" Sie antwortete, dass ihr das egal sei. 
Er nahm einen 200-Hrywna-Schein und reichte den ihr herüber. Sie hätte das Geld seelenruhig in ihre Kasse gelegt und sich der Kundschaft zugewandt. Der Mann habe sie sehr irritiert angesehen und gefragt: "Nun?" Sie gab zur Antwort: "Sie haben mich doch gefragt, was sie mir geben sollen. Also haben sie doch nicht mit Rückgabe gerechnet - bei der vollen Geldbörse?" Danach habe sie das Rückgeld genommen und ihm gereicht mit den Worten: "Bitte sagen sie genau, was sie wollen." Unter Gelächter der anderen Kunden war er davon gezogen. 

Meine Bekannte, Verkäuferin am Getränkekiosk, war morgens noch ein wenig mit Schminken beschäftigt, als ich herantrat. Sie grüßte zurück und bat: "Einen Augenblick bitte - heute ist Picasso zu spät gekommen." Darauf meine Frage: "Arbeitet der noch klassisch oder schon modern, denn dann gehe ich lieber gleich weiter?" ließ uns beide lachen. 

Heute kam die weißgraue Katze, welche unseren Hund vor kurzem mit Fauchen und Krallen verjagt hatte, ihm regelrecht hinterher, dass sogar ein Blumenverkäufer seinen Kolleginnen zurief: "Seht mal, wie die ihn verfolgt." 

Diese kleine Freude war allerdings dadurch gestört, dass ich zuvor auf etwa 50 Metern die zwei plattgewalzten Kadaver der kleinen Kätzchen gesehen hatte, welche ich vor Kurzem in einem Post auf diesem Blog schon als künftige Opfer des Straßenverkehrs beschrieben hatte. 


Nur ist bei aller Tierliebe ein Haustierheim durch uns nicht einzurichten. Schon besetzt - auch durch diesen Kater und seinen Freund Hund.

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





Wieder zuhause...

Die Verluste der Heimreise waren verschmerzt - schließlich war ich gesund zurückgekommen. Den Rest besorgte die Zeit und alles das, was täglich an Neuem geschieht. 
Am Folgetag gab es das typische - von vielen Bekannten die Frage, weshalb ich so lange im Straßenbild und auf dem Markt nicht zu sehen gewesen bin. Auf den wahrheitsgemäßen Bericht folgte zweierlei: Bedauern und Abwehr der Argumentation meiner Frau. 
Ich bekam wahre Geschichten zu hören davon, wie einige im proppevollen Bus um ihre Geldbörse oder auf der Bahnreise um ihr Gepäck gebracht wurden. Von einem Bekannten gab es diesen Scherz als Draufgabe: Ein Dieb aus Odessa kam aus dem Knast zurück. Mit der Eisenbahn. Auf dem Bahnhofsvorplatz stellte er seinen Koffer ab, streckte die Hände seitwärts in die Höhe und rief: "Sehe ich dich endlich wieder, mein liebes Odessa!" Als er die Hände senkte, war sein Koffer fort. 

Während der Hund vorauslief, sprach mich ein etwa 40-jähriger Mann an. Er war in Begleitung, unschwer war an Flugzetteln und einigen Büchlein zu erkennen, dass man mich für eine Sekte gewinnen wollte. Gab es schon häufig - ohne Erfolg. 
Doch der Herr stellte sich als Dmitriy vor und bat mich, eine Frage stellen zu dürfen. Er wisse, dass ich Deutscher sei. Nun habe er ein deutsches Auto gekauft und möchte gern wissen, ob ich ihm behilflich sein könne, damit dieses wie ein Uhrwerk funktioniert. Ich lehnte ab. Gern würde ich bei Übersetzung von Teilen der Betriebsanleitung helfen. Aber am Auto zu basteln fiele mir nicht ein. Eben darum wollte er mich bitten - für anderes hätte er selbst geschickte Hände und eine Werkstatt. Wir tauschten die Handynummern aus. Noch hat er nicht angerufen, obwohl eine Woche vorbei ist.

Meine Erlebnisse in Warschau habe ich auch bei unserer Bekannten vom Kiosk erzählt. Eine während des Gesprächs dazugekommene Frau bemerkte ohne lange zu überlegen: "Das waren gewiss unsere Leute, die da eine Gastrolle geben." 
Wenn auch ich kritisch gegenüber meiner Heimat Deutschland eingestellt bin, sage ich zu Missständen etwas immer sehr behutsam. Wie kann, vor allem in dieser Zeit, eine Ukrainerin so reagieren? 
Also drehte ich mich zu ihr um: "Wenn ihnen so etwas leicht über die Lippen kommt, ist es schade um den Ruf dieses Landes. Ich habe daran nicht einmal gedacht." Sie wurde knallrot und verschwand.  

Dafür belustigte mich eine andere, besonders ansehnliche Dame durch die englische Aufschrift auf ihrem extrem gut gefüllten T-Shirt. Da stand über die gesamte, besonders gewölbte Vorderfront mit einem Ausschnitt für acht Personen: "Secret of victory" - "Geheimnis des Sieges". Meine Natascha lächelte, als ich ihr von dieser Beobachtung erzählte. Denn sie hatte ohne Aufschrift vor Jahren einen ähnlich begründbaren Sieg errungen...

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





  

Abenteuer der Landstraße

Die Hinreise Kiew-Berlin war so normal, dass es sich fast nicht lohnt zu erzählen. Außer dass im Reisebus Riga-Berlin, in welchen wir in Warschau umstiegen, drei sehr junge chinesische Kinder waren, welche mir noch viel lebhafter erschienen als die schon aus Berlin-Kreuzberg bekannten türkischen Jungen.
Die Rückreise fünf Tage später nach Kiew ab 22 Uhr begann recht ruhig, weil wir fast alle einschliefen. Als wir um 6 Uhr in der Frühe am recht großen Busbahnhof in Warschau-Zchodnia ankamen, wollten viele ihr Gepäck sehr rasch bekommen. Weil den Anschluss in einem fremden Land zu verpassen nicht einfach nur unangenehm ist. Denn die Sprachbarriere schafft nämlich zusätzlich Probleme. 
Diesen Umstand hatten sich einige pfiffige Leute auch überlegt. Mein Portemonai hatte ich in einer seitlich am Oberschenkel befindlichen, mit Klettverschluss gesicherten Hosentasche. Sie ist im Allgemeinen sogar aus dem Augenwinkel sichtbar. Doch wenn viele dich umringen, du die Hand nach dem Koffergriff ausstreckst - dann ist alle deine Aufmerksamkeit dorthin gerichtet. Der Taschendieb hatte also mit mir leichtes Spiel.
Als ich mit meinem Gepäck an einer Bank ankam, hatte ich das Leeregefühl dort, wo vorher die eng in der Tasche sitzende Geldbörse merklichen Druck ausübte. Ein Griff dorthin - und ein Schreck in der Morgenstunde.
Der zweite Fehler folgte sofort. Ich ließ Koffer und Rucksack auf der Bank und raste zum Bus, der nach Riga weiterfuhr. Meine bisherige Nachbarin sagte mir, dass ich auf dem Sitz nichts verloren hätte - sie würde mich gerufen haben. Mein Gepäck war am Platz, doch wurde mir mein Risiko bewusst.
Besonders unangenehm war, dass außer Personalausweis in der Geldbörse Kreditkarte, Geldkarte, Gesundheitskarte der AOK (eben erst abgeholt), Führerschein und anderes mehr steckten. Dazu verschwanden, jedoch unwiederbringlich, etwa 80 Euro, 30 polnische Zloty und 35 ukrainische Hrywna.
Nach dem ersten Ärger fasste ich mich soweit, dass mir das in der linken Hosentasche befindliche polnische Kleingeld einfiel, so dass ich mir einen sogar großen Kaffee leistete. Danach rief ich in Berlin an, damit unser Freund sofort meine Kreditkarte sperren ließ.
Pünktlich ging es ab in die Ukraine. Die Grenze überquerten wir ohne langen Aufenthalt, rollten über Luzk und Rowno bei zunehmender Dunkelheit zügig auf Shitomir zu. Plötzlich ein Streifenwagen der Polizei quer über der Straße. Die Ordnungshüter gaben keine Antworten, sondern nur die Weisung: "Weiterfahrt nur über Nowograd-Wolhynski!"
So rasten wir mit etwa 30 km/h über nächtliche ukrainische Dorfstraßen. Der Umweg war der militärischen Situation im Lande geschuldet, wie ich daheim erfuhr. Eltern frisch Einberufener hätten die Straße gesperrt, um die nach ihrer Auffassung unzureichend ausgebildeten Söhne nicht in die Ostukraine zum Einsatz transportieren zu lassen. Eine verständliche Reaktion, meine ich. Sie kostete uns im Bus lediglich knapp zwei Stunden Verspätung in Kiew.
Die typische Reaktion meiner Ehehälfte, als ich nach künstlich verlängerten Berichten über die Probleme in Berlin und meine Treffen endlich ihre Frage nach der Vollzähligkeit meines Eigentum beantworten musste, lautete: "Das kann nur dir passieren!" Bevor ich die Fragen zur Sache beantworten durfte.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Auffassungen

Neue Bekanntschaften macht man im höheren Alter gewöhnlich seltener. Heißt es. Die Ausnahme bin ich. Denn eigenartige Erscheinungen oder Handlungen setzen bei mir so etwas wie einen inneren Druck frei, sich doch mit den daran beteiligten Personen zu unterhalten.

Liefen da neulich zwei Männer mit recht schweren Taschen durch die Allee. Angezogen in etwas, was ich zum Verständnis für deutsche Leser als einen "schwarzen Blaumann" bezeichne. Auf dem Rücken in großen weißen, kyrillischen Buchstaben das Wort "WOROCH". Ich suchte in allen Ecken meines recht umfangreichen Wortschatzes und fand nichts. Also sie höflich angesprochen, als sie mit ihren schweren Gepäckstücken einmal Atem holen mussten. Es stellte sich heraus, dass das Wort eine der hier fast verehrten Kürzel ist. Nicht wegen des Inhalts, sondern wegen der Zweckmäßigkeit, der Verkürzung. Sprich Faulheit. Es bedeutet "voennysowanaja ochrana" und ist wörtlich  "militärischer Wachschutz".
Also genau das Gegenteil dessen, was ich vorher vermutet und hier ausgelassen habe.

Vor einigen Tagen schon hatte ich einen relativ gut gekleideten bärtigen Mann gefragt, was er denn beim Altstoffhandel für die von ihm mit dem Fuß  zusammengepressten Bier- und Coladosen bekommt. Je Stück 3 Kopeken, etwa 0,2 Eurocent. Er kommentierte, dass der Erlös in Kiew oder Shitomir doppelt so hoch sei, aber das Fahrgeld nicht einbringe.
Nach der Unterhaltung mit den "Worochs" fiel mir ein ihn, der jeden Morgen pünktlich auf der Allee erschien, nach seinem Motiv zu fragen. Da stellte es sich heraus, dass der ausgemusterte Korvettenkapitän Flaschen und Dosen als Hobby sammelte. Um tätig zu sein, etwas zu Nutze, für die Sauberkeit des Stadtbildes. Er könne von seiner Rente leben. Aber er war gewöhnt sich zu bewegen. Sowohl erst auf dem Schiff, später als Kommandeur eines Batallions der Marineinfanterie. Außerdem käme mit der Zeit etwas für Sonderausgaben zusammen.

Da war ich versucht, mir einen Korvettenkapitän a. D. der deutschen Marine in dieser Rolle vorzustellen...  

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger