Erlebnisse haben...

Im vorherigen Post ging es um die Ereignisse vor und während meiner ungeplanten Berlinreise. Unterwegs hatte ich ja ausgiebig Zeit, über einige Voraussetzungen der persönlichen Zufriedenheit nachzudenken. Zum Abschluss dieser Überlegungen kam ich jedoch erst auf dem Rückflug. Die ganze Reise war von dem Unternehmen bezahlt, welches mich kurzfristig für einen sehr persönlichen, sicheren und auch vertraulichen Kurierdienst angeheuert hatte. Wenn in meinem Alter - geboren 1937 - jemand mich für eine solche Aufgabe anwirbt, ist das doch ein Vertrauensbeweis. Also von Beginn als positives Zeichen zu bewerten. Ein erster Baustein für Zufriedenheit. 

In Berlin übergab ich die Unterlagen an meinen Auftraggeber und wurde 15 Minuten später von meinen Freunden am Busbahnhof empfangen - um 06:15 Uhr Ortszeit. Ein weiterer kleiner Baustein wie oben. Das so zu empfinden muss man sich selbst angewöhnen, um die wahrlich nicht seltenen unangenehmen Ereignisse des täglichen Lebens viel besser zu verkraften.
Am selbigen Tag konnte ich ohne Stress für April 2015 einen besonders günstigen Termin beim medizinischen Spezialisten (Orthopäden) vereinbaren, erhielt danach an anderem Ort eine Information, welche eine längere Fahrt per Nahverkehr durch Berlin unnötig machte. Die nächste Auskunft befreite mich von der Notwendigkeit, selbst in einer Angelegenheit beim Dienstleister vorbeizukommen. Dagegen war die sehr unangenehmen Gesellschaft eines Behinderten im Bus leicht zu vergessen, der sich ganz unüblich extrem laut und dazu in sehr unangenehmer Weise gegenüber der Allgemeinheit äußerte. 
Am Folgetag auf dem S-Bahnhof Alexanderplatz am frühen Abend. Auf der Rolltreppe kommen zwei ansehnliche junge Frauen heraufgetragen, eine mit einer kleinen Sektflasche in einer Hand. Beide nett "angeschäkert", bieten mir, der das Bild lächelnd beobachtet, einen Schluck daraus an. Meine Antwort: "Mädelchen, eure Omas sind meine Altersklasse!" wird ebenfalls lächelnd akzeptiert. Als sie an der Friedrichstraße aussteigen, rufen sie mir "Frohe Weihnachten!" zu und senden Kußhändchen. 
Im Bus bittet mich später eine Frau reiferen Alters, ihr den Sitz neben mir frei zu machen, wo meine Aktentasche ruht. Sie erzählt mir ungefragt, dass sie Rheinländerin sei, seit mehr als 20 Jahren in Berlin heimisch. So wäre sie von der zeitweiligen Hauptstadt Bonn in die alte Hauptstadt gekommen. Ich fragte sie, ob sie denn etwas von einer der ältesten Hauptstädte Deutschlands wisse - dem sorbischen Bautzen. Es war ihr neu, dass diese Stadt schon im Jahre 1213 Stadtrechte bekam. Berlin erst einige Jahrzehnte später. Ich schockte sie auch noch mit meiner entfernten Abstammung von den Kaschuben. Das ist eine  westslawische Völkerschaft in Polen. Ähnlich wie die Sorben in Deutschland mit einigen kulturellen und sprachlichen Eigenheiten. Die Genannten waren ihr gänzlich unbekannt. Allerdings nahm sie alles leicht, eben mit rheinischem Humor. Auch meine Abschlussbemerkung, dass ich schon fast 20 Jahre in der Ukraine lebe.

Dorthin zurück ging es zwei Tage später. Flug von Tegel über Wien. Zwar gibt es am Wiener Flughafen auch Transit-Bereiche - aber der Flug nach Kiew war nur durch den Ausgang zu erreichen mit erneutem Einmarsch in die Kontrollzone. Dort wurde mir - ganz anders als in Berlin (Normung wo?) das Ausziehen meiner Schuhe angewiesen und mir (in hygienischen Plasthandschuhen) eine Fußmassage verabreicht, wie sie z. B. in Moskau nicht üblich ist. Wieder etwas zum Lächeln. 

Wirklich daheim war ich wieder am anderen Morgen, als mir ein Bekannter begegnete. "Guten Morgen, Väterchen, was für eine Weisheit kannst du mir heute empfehlen?" Ich darauf: "Der römische Kaiser und Philosoph Marc Aurel schrieb: Jeder denkt von sich das Allerbeste, will aber unbedingt wissen, was sein Nachbar über ihn denkt." Er verabschiedete sich mit Dank.

Von Ihnen hätte ich in diesem Sinne gern Kommentare. 

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Vor dem IV. Advent...

Am Montag nach dem III. Advent ging ich in der Frühe schon heim mit dem Hund, als uns ein junges Mädchen entgegen kam. Geschätzt etwa 12 bis 16 Jahre. Nicht besonders groß, zwischen zierlich und fraulich von der Figur. Aber beschwingten, auch eleganten Schritts und mit einen beseelten Lächeln, glänzenden Augen. Es war zu sehen, dass es einen "Guten Morgen!" hatte, wodurch auch immer veranlasst - denn so sehen Schülerinnen gewöhnlich auf dem täglichen Schulweg nicht aus. 

Dann ging ich zur gewohnten Morgenvisite am Kiosk von Olga vorbei, die mich mit den Worten begrüßte: "Wie können sie sich nur in meinen Traum drängen?" Ich hatte am Vorabend der ausgebildeten Tierärztin meine Sorge um unseren zunehmend häufiger ohne erkennbaren Anlass winselnden Hund geschildert. Das musste sie beeindruckt haben. Ich hätte als Baby mit meinem schönsten Lächeln auf ihren Armen gelegen. Die Frage, ob sie mich auch gestillt hätte, beantwortete sie schlagfertig mit "Ist das nicht zuviel Wunschdenken?". Wir trennten uns lachend. 

Am Abend rief recht spät der Unternehmer aus Deutschland an, für welchen ich bei Erfordernis in der Ukraine oder in Russland als Dolmetscher tätig werde. Ob ich gesund und frei sei. Das erste bejahte ich. Zum zweiten formulierte ich, noch immer mit der ihm bekannten Frau verheiratet zu sein. Ob ich denn Urlaub bekäme? Von Geschäftspartnern im zur Zeit umkämpften Lugansk würden wichtige Papiere benötigt, welche beide Seiten der Post nicht anvertrauen wollten. Ob ich als Privatkurier mit den genannten Dokumenten rasch nach Berlin kommen könne. 
Die Unterlagen übergab man mir am Dienstag in Kiew. Weil kein Flugticket mehr zu bekommen war, setzte ich mich am Mittwochmorgen in einen Überlandbus und fuhr in jenem fast volle 24 Stunden nach Berlin. 

In besagten Bus stieg unterwegs eine sehr übergewichtige  Ukrainerin zu. Sie kontrollierte als erstes ihren Sitz am Gang, zog ihn seitlich heraus, kippte ihn in Schlaflage. Er kam danach durch sie getastet auch wieder in Ausgangsstellung zurück. Als sie alles nach dem Setzen erneut probierte, funktionierte die Rückkehr nicht. Sie protestierte lauthals gegen das defekte Sitzmöbel. Ich machte sie, schräg hinter ihr sitzend darauf aufmerksam, dass ihre Rundungen der Technik hinderlich seien. Nach einem bösen Blick an mich rutschte sie vor - der Sessel kam wie gewünscht hinterher. Die extrem selbstbewusste Dame hat uns allen um sie herum noch mit anderen Gags "Freude" gemacht. 
Bedauerlich, wie andere Personen mit ihrer eigenen auch die Stimmung ihrer Umwelt regelrecht vermiesen können. Leider ist solche Umweltverschmutzung nur durch Missachtung strafbar...

In meinem Alter noch Vertrauen zu genießen und somit gebraucht zu werden ist eine der großen Freuden, welche das Leben noch lebenswerter machen. Sie wird auch durch das Geschilderte nicht nachhaltig getrübt.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger




 

Neue Eindrücke...

Vorgestern Abend waren Frau und Stiefsohn von längerem Ausflug per Auto zurückgekommen. Sie hatten auf dem Rückweg Freunde im "Ort mit städtischem Äußeren" besucht. Das würde ich ins Deutsche mit "kleinstädtische Siedlung" übersetzen. Dort waren sie mit ukrainischer Gastfreundschaft nicht nur bewirtet, sondern auch beschenkt worden. Kartoffeln, Möhren, Rote Beete, Weißkohl und jede Menge Eingewecktes nach Hausmacherart. Darunter auch eingefrorenen jungen Mais. Als sie den daheim auftauten, fielen einige Körner zu Boden. Hund Kai verputzte sie im Handumdrehen. Das war Grund, ihm eine kleine Schüssel voll zu spendieren. Er fraß auch die. Das wunderte uns ein wenig.

Beim gestrigen Morgenspaziergang lief er, weil von der Leine frei,  gemächlich, eher gelangweilt auf eine hübsche Husky-Hündin zu. Etwa zehn Meter vor ihr bekam er Witterung davon, dass sie noch läufig war - was sein Tempo extrem beschleunigte. Bald balgte er sich mit ihr. Der junge Mann, welcher sie angeleint hielt, bat mich darum beide zu trennen. Sie wäre schon von einem Rüden derselben Rasse gedeckt. Meinem Kai war mein gewaltsamer Griff nach seinem Halsband absolut nicht recht. Ich musste ihn regelrecht wegzerren, wobei er furchterregend knurrte. 

Kurz vor dem Wohnhaus nötigte mich eine leicht verschneite "Schlitterbahn" zu einer Pirouette, wie sie beim Eiskunstlauf gezeigt wird und mich vor dem Sturz bewahrte. Allerdings verdrehte ich mir mein invalides Knie sehr schmerzhaft.
Unsere Verkäuferin-Freundin hatte die Situation beobachtet und mich danach gelobt. Ich sagte ihr, dass ich in dem Zusammenhang die wunderbaren Worte von Dostojewski vergessen könne: "Wehe dem, der ein Kind kränkt!" Denn die Schulkinder haben doch die Eisbahn angelegt. Sie entwaffnete mich: "Sie haben aber Augen, um die Stelle sehen und umgehen zu können - oder?" Wer Recht haben will, findet Argumente: "Wie denn abends, im Dunkeln?" "Da beweisen sie, dass sie noch nicht sklerotisch sind und die Stelle im Hirn gespeichert haben." So viel Vertrauen ehrt doch - oder?

Als Stiefsohn Pavel nach erfolgloser Unterwasserjagd in dieser Nacht heimkam, hatte er einen einzigen Flusskrebs dabei. Den warf er dem Kai vor. Es krachte und knirschte ein paar Mal - dann war der Krebs gefressen. Der zufriedene Hund trollte sich auf seinen Platz unter dem Wohnzimmertisch.
Heute zum Morgenspaziergang überraschte Kai mich. Er wartete weder auf Kommando noch Handzeichen, sondern überquerte die Fahrbahn der indem Augenblick etwa 150 m entfernten Querstraße selbständig und rennend, so dass ich um sein Leben fürchtete. Denn auf ihr war gerade der kreuzende Verkehr freigegeben worden. Als ich ihn wieder sah, war er an der Stelle, an welcher gestern die noch etwas hitzige Husky-Hündin mit ihm gespielt hatte. Ich stellte mich hinter einen Busch und schaute über den hinaus, was mein Rüde tun würde. Nach einigen "Schnupperrunden" etwa 250 m von mir entfernt schaute er in die Richtung, aus welcher er mich erwartete. Fehlanzeige. Sofort setzte er sich in Trab und lief den Weg zurück. Er hatte nach menschlichem Verständnis offensichtlich verpasst zu bemerken, wohin ich abgebogen war. Also zurück zum Ausgangspunkt. Als er mich plötzlich sah, bremste er merklich, um dann schuldbewusst mit gesenktem Kopf zunehmend langsamer zu mir heranzukommen. Bekam einen leichten Stupser hinter die Ohren und die Aufforderung, erneut umzukehren. Ich hatte meine Portion "Gehweg" noch nicht unter die Füße bekommen.

Seinen Weg versperrte ihm auf der Querstraße ein Marschrouten-Kleinbus der Linie 25. Dessen gutwilliger Fahrer hatte seine Fahrtstrecke um rund 400 m verlängert und auf der Querverbindung der Allee gehalten, um eine schwer bepackte ältere Frau aussteigen zu lassen. Sie war so etwa 200 m näher zu ihrem Ziel gebracht worden. 
Als der Kleinbus weiter fuhr, sahen Kai und ich gleichzeitig, wie die angeleinte Husky-Hündin von gestern die Allee zum Mittelstreifen hin überquerte. Der Rüde spurtete wie ein Weltmeister zu ihr hin. Sie war aber inzwischen so "abgekühlt", dass sie zwar mit dem Verehrer tanzte (beide Hunde hielten sich im Stand so, dass sie sich mit den Vorderpfoten umarmten), ließ ihn jedoch nicht hinter sich geraten. Der junge Mann scheuchte Kai mit einer Geste, ich pfiff gleichzeitig. Als der Hund zu mir sah, zeigte ich ihm meine "Zu mir!"-Geste. Er befolgte die sofort. Also doch wieder gehorsam ohne Einschränkungen. Und dazu ausreichend intelligent. Für Herrchen ein positiver Eindruck. 

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger




Nur Kleinigkeiten?

Es begann damit, dass meine Frau im Morgenrock nach unserer mit dem Hund Rückkehr von Spaziergang mich nachdrücklich bat, doch zum Basar zu gehen. Sie hätte Appetit auf Bigosch, wie meine Mutti das Kohlgericht nannte, welches Großmutter so extrem schmackhaft zubereitete. Diese war aus dem Stamm der Kaschuben, welche heute ähnlich wie die Sorben etwa in Deutschland, als polnische Bürger dort leben. 

Der Auftrag gefiel mir. Weil Natascha mir dazu auch noch großzügig 200 Hrywna in einem Schein ausreichte (etwas über zehn Euro), ging ich zu Olgas Kiosk und kaufte eine Flasche Bier - zum Mitnehmen auf dem Rückweg. Vor allem aber, um kleinere Scheine zu haben, damit ich bei den Händlern auf dem Rynok nicht warten muss, bis dort jemand wechseln konnte. 
Olga fragte, ob ich das Risiko einer Vorkasse nicht fürchte. "Wie das?" "Wenn mich plötzlich die Sklerose anfällt und ich nicht mehr weiß, dass sie noch ein Bier zu bekommen haben!" Wir lachten beide herzlich über den anderen Erwachsenen vielleicht nicht so lustig vorkommenden Scherz. 
Aber wie hat unser klassischer Dichter Gotthold E. Lessing schon vor rund 250 Jahren geschrieben: "Lese jeden Tag etwas, was sonst niemand liest. Denke jeden Tag etwas, was sonst niemand denkt. Tue jeden Tag etwas, was sonst niemandem albern genug wäre, zu tun. Es ist schlecht für den Geist, andauernd Teil der Einmütigkeit zu sein.“

Auf dem Basar bekam ich als erstes einen Witz zu hören, den ich seiner Wetter-Aktualität wegen weitergeben will. Anmerkung: hier wird akute Erkältung mit ORS abgekürzt - ich taufe sie um auf ZFA. Kommt ein Mann bei diesem Wechselwetter zwischen Spätherbst und Winter zum Arzt. Ihm tue alles und überall weh. "Sie rauchen?" "Abgewöhnt!" "Sie trinken viel Alkohol?" "Hab ich mir abgewöhnt!" "Und mit den Frauen...?" "Vor langem abgewöhnt!" Der Arzt schreibt in Großbuchstaben die Diagnose auf ein Rezept. Der Mann: "Was soll das - ZFA?" "Zu früh abgewöhnt."

Die Tatsache, dass der von Natascha über mich bestellte Schmand um 40 % teurer geworden ist, hat mit der Tragezeit der Rinder, folglich verringertem Angebot und der allgemeinen Teuerung zu tun. Auch die Räucherrippchen für den Bigosch sind 20 % teurer geworden. Wie vieles andere an den Ständen. Der Basar regelrecht verödet, weil die Kaufkraft der hauptsächlichen Käufer mit schmalen Renten durch die letzten ökonomischen Entscheidungen im Lande stark gelitten hat.

Während ich den Bigosch zubereitete, plötzlich ein lauter Schrei von Natascha aus dem Zimmer. Ich eilte besorgt zu ihr. Sie deutete auf den Fernseher. "Dein Lieblingslied!" Ohne zu fragen, was da lief, hörte ich von einem Mädchen gesungen das mecklenburgische Volkslied "Dat du min Lövsten bist". Letztmalig hörte Natascha die Melodie vor etwa 16 Jahren im ukrainischen sogenannten "Soldatensender", dessen Reporterinnen mich auf einer Nutzfahrzeugmesse interviewt hatten. Auf ihre Frage nach meiner Kindheit lobte ich unsere Mutti, welche mit uns vier Jungen an den Abenden ohne Radio und Fernsehen nach dem Krieg 1945 Volkslieder gesungen hatte. Auf die Bitte der beiden hin sang ich das Lied a-capella. Es wurde auch gesendet und viele unserer Freunde und Bekannten lobten später meinen "Mut" sowie meine Stimme. Natürlich freute ich mich, dass meine Gute das nicht vergessen hatte.

Als Letztes im Freudenbecher bis heute Mittag ein e-Mail von meinem ältesten Freund. Er hatte den ihm vor langem mitgebrachten ukrainischen Wodka mit Honig und einer Paprikaschote darin gemeinsam mit einem Seemann von Großer Fahrt probiert. Beide waren voll des Lobes und dankten herzlich für den Genuss.

Über das alles zu berichten macht auch Spass - vor allem dann, wenn Kommentare kommen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger  




Etwas Ärgerliches - zum Lachen...

Wir wußten seit langem, dass meine Frau ein neues Visum beantragen muss. Um sicher zu sein, dass wir die erforderlichen Dokumente in richtiger Form und Menge zusammenbrachten, rief ich die Website der deutschen Botschaft in Kiew auf und lud die neuesten Handreichungen herunter. Darunter auch der Hinweis, dass man Termine bei einem Dienstleister bekommen könne, welcher die Dokumente annimmt, bearbeitet und weiterreicht. Wo man sogar die Auslieferung des Passes mit frischem Visum nach Hause bestellen und bezahlen könne. Visaantrag in der Visastelle der Botschaft einzureichen sei möglich. 
Der Terminkalender dort war voll bis zum 2. Januar 2015. Schon diese Auskunft brachte meine Natascha ins Grübeln - was meine Fähigkeiten anbetrifft. Dann solle ich es eben im Visazentrum Kiew versuchen. 
Ein Ehemann will gewöhnlich Streit vermeiden. Also tat ich wie gewünscht. An meine elektronische Adresse kam die Anweisung zum Handeln - ein Passwort einschließlich. Die anschließende Eingabe der erwähnten e-mail-Adresse von Hand und Passwort per "copy and paste" ergab die Meldung "Elektronische Adresse inkorrekt".
Nun bringe ich die e-mail-Adresse nachts mit verbundenen Augen auf den Bildschirm. Also war ich doch schon sehr verwundert. Denn bei Zusendung der Anweisung hatte ja alles geklappt. Also beides mit "copy and paste" eingetragen. Erneut "Elektronische Adresse inkorrekt". Nach dem vierten Versuch gab ich auf. 

Heute Vormittag erneuter Ansatz - keine Änderung. Wir riefen im Visazentrum an. Die junge Frau erklärte, dass das Passwort ebenfalls von Hand einzutragen sei. Das taten wir dann auch. Wieder Fehler! Natascha legte mit Hand an - erneut inkorrekt. Sie begann, mich, den Laptop und das Visazentrum mit hier lieber nicht zitierter Kritik zu überhäufen. Männer wissen, was ich meine. Frauen auch, wenn sie etwas nachdenken.
Plötzlich stockte sie. Denn sie hatte eine Variante entdeckt, als ich zum Vergleich einige Buchstaben eintippte. "Kann das, was du als kleines "l" liest, vielleicht ein großes "I" sein, dass wir wegen der geringen Größe auf dem Bildschirm nicht unterscheiden können?" Wir machten die Probe. Hurra! Der Rest war einfacher. Wir haben den Termin.

Dem Dienstleister schrieb ich in Deutsch einen Brief. Um auszuschließen, dass sich andere abquälen. Auf das Ausfüllen der Felder für das Einloggen per Hand sollte man hinweisen und vielleicht nur die beiden verwechselbaren Buchstaben aus den Passwortkombinationen herausnehmen. Am Nachmittag schon bekam ich eine sehr lange Antwort in Ukrainisch. Obwohl um Anregungen in Deutsch gebeten worden war. Wenn Natascha später kommt, wird sie übersetzen, denn die Sprache beherrsche ich noch nicht.

Gelacht haben wir dennoch. Mit dem Lachen verschwand der änfängliche Ärger. Denn wir waren an unserem Mißgeschick doch nicht schuld.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger




 

Unsichtbares...

Es wird von vielen behauptet, dass ab einem gewissen Alter die Fähigkeit, mit anderen Menschen bekannt zu werden und gar noch Freundschaften zu schließen abnimmt. Folglich gehöre ich zu dem geringen Rest. welcher das noch kann. Aber erst zu etwas Zurückliegendem. 
Da in der letzten Zeit bei uns in B. Z. nach zwei Frostnächten sehr trockenes Herbstwetter begann, hatten unsere Straßenfegerinnen längs der Allee, auf welcher wir mit Hund Kai drei Mal täglich spazieren gehen, recht hohe Laubhaufen zusammengekehrt. Am besagten Morgen kamen wir fast gleichzeitig an einem solchen Berg vorbei, in dessen Nähe unser Hund mit hoch erhobenem Fang intensiv zu wittern begann. Dann lief er auf das Laub zu und begann, an zwei nach meiner Meinung Astspitzen zu schnuppern. Widerwillig langsam erhob sich ein anderer, schläfriger herrenloser Hund aus seinem Nachtlager. Er hatte sich ganz in die "Höhle" eingewühlt. Als er den Täter erkannt hatte, kläffte er kurz und unwillig, meine ich. Da sprangen um meinen Bello herum noch zwei andere "Schlafgäste" aus dem Laubbett. Was der anscheinend überraschte Kai mit feigem Weglaufen in meine Richtung quittierte.

Am Folgetag sah ich erneut unseren "Kanadier". Einen Ukrainer, der gewöhnlich in Kanada lebt, einmaligen jährlichen Urlaub in der Heimat immer mit der hier wesentlich preiswerteren Sanierung seiner Zähne verbindet. Bei + 2 Grad Celsius nur in Turnhose und barfuß, rief er mir sein stark akzentuiertes "Guten Morgen!" laut über den Fluss hinweg zu. Ich antwortete ihm auf ukrainisch - die passende Redewendung habe ich schon lange erlernt. Mit diesem Mann verbindet mich die von außen unsichtbare Begeisterung für aktive Gesundheitsvorsorge - für das Abhärten. Er hatte mich beim Gemeinsam abhaerten gesehen und seither sind wir sehr gute Bekannte. 

Als wir gestern mit meinen neuen Freunden seit etwas über einem Jahr auf ihrer Datsche am Steilufer von Odessa waren, fotografierte Dirk sehr häufig. Der in Nähe des Gebäudes zufällig stehende Verwalter der Gartenanlage hatte aus meiner zweisprachig geführten Unterhaltung seine Schlüsse gezogen. Er begrüßte mich höflich, stellte sich kultiviert mit Vor- und Vatersnamen vor und fragte, weshalb der ihm schon bekannte Deutsche fast unablässig fotografiere. Ich konnte ihm Dirks Leidenschaft für Fotografieren und jahreszeitlich unterschiedliche Motive an gleichen Orten doch plausibel machen. Wir haben uns noch etwa zehn Minuten sehr angeregt und sachlich zur Gartenanlage ausgetauscht, die auf einem Gelände errichtet wurde, als das noch nach dem von deutschen Siedlern geprägten "Lustdorf" hieß.
Den Abschluss des Tages bildete die Bekanntschaft mit Dirks Schwiegermutter. Eine Augenärztin mit internationaler Erfahrung und sehr ausgeprägtem Charakter. Mit mir etwa gleichalterig. Als wir uns nach gemeinsamen Mittagessen unserer Vierergruppe voneinander verabschiedeten, hatte ich ein sehr gutes Gefühl.  

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger 






 t. F

Schlammschlacht...

Am 26. Oktober 2014 finden in der Ukraine die auf Forderung des Maidan vorgezogenen Parlamentswahlen statt. Die Wahlkämpfe haben begonnen. Der Bürgermeister von Lwow, Andrej Sadowij, hatte bis gestern recht gute Chancen. Allerdings hat auch in seine Richtung die Schlammschlacht eingesetzt. 

Er ist als Person jung und bisher auch erfolgreich für die recht schöne Stadt tätig gewesen. Nun aber haben ihn jedoch die einem ehemaligen Wahlversprechen geschuldeten "Sünden der Vergangenheit" eingeholt. 
Eine erste Protestdemonstration unzufriedener Bürger mit für ihn wenig schmeichelhaften Plakaten wurde im Fernsehen gezeigt. Ohne dass ich die Anzahl der Kritiker bestimmen konnte. Aber das folgende Interview mit einer Bürgerin war doch etwas ernüchternd. Vor allem auf dem Hintergrund dessen, dass er vor einiger Zeit Reportern sein neues Haus im Rohbau zeigte, welches bis dato "nur" rund vier Millionen Hrywna kostete (etwa 215.000 €). 
Die Frau und alle Einwohner eines ehemaligen Wohnheims hatten den Versprechungen von Sadowij vor den Kommunalwahlen geglaubt, dass das genannte Gebäude in örtliche Verwaltung übernommen würde mit der Möglichkeit, die von ihnen genutzten Wohnungen privatisieren zu können. Er allerdings hat später das Gebäude an eine Fabrik übergeben, welche dort Lagerräume einrichten will.

Der "Block der Opposition" versucht, ebenfalls emotional zu punkten. Im Fernsehspot stützt er sich darauf, dass der Preis für das Stadtgas stark gestiegen ist, alle kommunalen Dienstleistungen ebenfalls teurer wurden, dazu noch Preiserhöhungen kamen für Grundnahrungsmittel und, was bei den gegenwärtigen Außentemperaturen besonders aktuell und folglich wirksam ist, dass es in den Wohnungen ungemütlich kühl, nicht selten schon fast kalt ist. Die Herrschaften rechnen auf das "kurze Gedächtnis" der Leute, die vergessen, dass die hinter dem Spot Stehenden in der vergangenen Legislaturperiode das Land in die beschriebene Situation hineinmanövriert haben.

Präsident Poroshenko und Premier Jazenjuk haben in allen ihren Erklärungen zur gegenwärtigen Lage und zu den daraus notwendigen politischen und wirtschaftlichen Schritten immer darauf hingewiesen, dass eine ungewisse Zeitspanne von fühlbaren Einschränkungen auf die Bevölkerung zukommen. Nur ist bei der Wählerschaft hier in der Ukraine die emotionale Komponente ihrer Entscheidungen nach meiner Beobachtung wesentlich ausgeprägter als in Deutschland. 

Die beiden "rechten" Kandidaten Ljaschko und Tjagnibok finden mit ihren vollmundigen Kritiken und Versprechungen den Rückhalt, welchen sie geschickt ausnutzen. 
Wie wird sich das politische Leben nach den Wahlen gestalten, wenn der Vorschlag durchkäme, für nicht erfüllte Wahlversprechen den Gewählten aus seiner Wahlfunktion auszuschließen? 

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





 

Verbindung...

Vor einer Stunde etwa habe ich einen Post geschrieben auf  http://mein-ostblock.blogspot.com/2014/09/100-tage.html . Er sollte in Verbindung mit diesem gelesen werden.

Er ist einem Thema gewidmet, welches der bekannte "Mann auf der Straße" nicht als so wesentlich empfindet. Auch, wenn die politische Aktivität der Ukrainer in der letzten Zeit sehr intensiv geworden ist. 
Aber die aktuelle wirtschaftliche Situtation wird zunehmend von den Bedingungen bestimmt, wie sie schon vor längerem  durch Ministerpräsident Jazenjuk vorausgesagt wurden: sehr kompliziert und damit auch für den Einzelnen empfindlich spürbar. 

Denn genau genommen befindet sich der Staat Ukraine in einem unerklärten Krieg, der auf höchster Ebene aus gewissen politischen Rücksichten als "antiterroristische Aktion" bezeichnet wird. 
Dass außer den immer noch zunehmenden, beklagenswerten Menschenopfern der letzten Monate an der Front im Ergebnis der bewaffneten Auseinandersetzungen sowohl Arbeitsplätze als auch Exportgüter wegfallen, ist mit ein Teil der Ereignisse. Über die Zerstörungen der Infrastruktur wird später zu reden sein.

Das "Gürtel-enger-schnallen" kommt auf die Mehrzahl der Ukrainer zu - vor allem auf die Rentner. 
Hier in Belaja Zerkov macht sich das nun auch bemerkbar. Vor einiger Zeit wurde der Brotpreis angehoben. Das von mir bevorzugte gute Mischbrot mit Kleieanteil kostete plötzlich statt 3,70 Hrywna deren 4,60 - also eine Preissteigerung um rund 25 %. Die Preise auf dem Bauernmarkt (Basar) haben in abgeschwächter Form nachgezogen, aber doch merklich.

Die so sich verschärfende Situation formulierte ein Kiewer Bürger im Fernsehen: "Wir können uns nur noch die Hälfte leisten -  statt einem Kilogramm Tomaten oder Pflaumen nur ein halbes." 

Das vorerst Letzte in diesem Bereich - Mieten, Gebühren für kommunale Dienstleistungen und anderes mehr steigen zum ersten Oktober 2014 hier in der Stadt auf das Doppelte. Da werden viele gering Verdienende und Rentner weiter an den Rand der Existenzmöglichkeiten gedrängt. Im vollen Sinne dieses Wortes.

Mich beunruhigt ein anderer Teil dieser Entwicklung. Viele  Bürger reden offen davon, dass wegen dieser oben erwähnten unpopulären Entscheidungen ein neuer "Maidan" vor der Tür stehe. Das könnte - obwohl ich die Haltung nachvollziehen kann - für den weiteren Weg der Ukraine zu weiteren Schwierigkeiten führen. 
Allerdings habe ich keine Empfehlung für eine weniger schmerzhafte und sachlich wirkungvollere Entscheidung.    

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger




            l .

Rotbart...

Mein eigenes Er-Leben: Augen auf und anschauen, was da alles Gutes in der Welt passiert. Ohne das Traurige zu übersehen. Aber es sind einfach häufiger Hochzeitskutschen sicht- und hörbar als die unvermeidbaren Fahrzeuge der Bestattungsunternehmen. 
Als wir heute in der Frühe spazieren gingen, kam uns eine junge Frau entgegen. Ohne Bart, dafür mit einem breiten roten Gürtel um die graue Bluse über der mittelblauen Hose. Die dunkle Jacke leicht geöffnet. Passend zu Figur und Haaren gekleidet. 
Als ich das erfasst hatte, beschloss ich, an diesem Morgen mit mir allein das recht alte amerikanische Spiel zu veranstalten: Achte auf den Rotbart! In freier Übersetzung. Es geht darum, dass mehrere Menschen sich verabreden, auf ihrem Weg durch die Stadt oder einen Park unter den Passanten eine Person oder mehrere zu entdecken, welche auffällig aussehen, gekleidet sind oder sich merkwürdig benehmen. Gewonnen hat, wer die meisten "Rotbärte" entdeckt. 
Meine nächste Entdeckung: eine stattliche und dazu große Frau ohne ein besonders eindrucksvolles Gesicht - dafür aber unter einem Poncho! Etwas in diesem Lande und in der Provinz sicher nicht Alltägliches. Sie zeigte mit ihrem Gesichtsausdruck, dass sie sich ihrer optischen Wirkung wohl bewusst war. Da musste ich ihr einfach zulächeln. 
Als dritten sah ich einen Mann, welcher bei den +5 Grad Celsius nur in Sporthose aus dem Park gelaufen kam, ein deutlich feuchtes Handtuch in einer Hand. Einer der mir bekannten Abhärter und Walrosse (Winterbadender) - sonnengebräunt, sehnig, schlank und deutlich fit.
Danach, auf dem Rückweg, fiel die besonders breite Rückenfront einer etwa 60-jährigen Dame auf. Die blaue lange Jacke war durch eine weiße Doppelleiste abwärts getrennt, mit ebensolchen weißen Knöpfen dazwischen. Das ergab einen günstigen optischen Effekt hin zur Verschlankung. 
Die fünfte Beobachtung: ein besonders schlankes junges Mädchen trug eine sie "sichtbarer" machende hellgraue Wolljacke mit quergestellten bunten Volkskunst-Ornamenten. 

Auch unser Hund hatte wieder bewiesen, dass er "mitdenkt". Als ich ihn vor Überschreiten der Straße anleinen wollte, damit er nicht wieder ausreißen konnte, kam er als ich den Karabinerhaken der Leine herabbaumeln ließ, direkt an die Seite und so nahe, dass ich ihn festmachen konnte. 
Nach einem fröhlichen Wortwechsel mit unserer Verkäufer-Freundin Olga kam ich folglich wohlgelaunt zu Hause an. Gute Laune, eine Vorstufe zu Lebensglück, ist machbar durch uns selbst!

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger




 

Was, wenn kein Instinkt?

Pünktlich zum 21. September wurde in diesem Jahr der Übergang vom Sommer zum Herbst vollzogen. Die lange Schönwetterlage ist ganz plötzlich zu einer Regenzeit mit intensivem Temperatursturz geworden. Als solches nicht besonders erwähnenswert. Nur sind die Spaziergänge mit Hund dabei erwartungsgemäß nicht so angenehm und deshalb merklich kürzer als gewohnt. 
Heute in der Frühe war es nun sehr windig, einzelne Bäume in der Nacht umgebrochen. Vor allem solche, welche die Stadtreinigung hätte vorsichtshalber schon längst abholzen lassen müssen. Aber hier ist man damit - vor allem aus Finanzmangel - nicht so rasch.

Der täglich an mehr Freilauf gewöhnte Hund hat nicht zu erkennen gegeben, dass er sich an eine läufige Hündin erinnerte. Sondern beim Einbiegen in unsere Straße, nicht angeleint, machte er sich auf und davon. Ohne wie gewohnt auf Rufe oder Pfiffe zu gehorchen. Weil ich Temperatursturz und Wind unterschätzt hatte, war ich für diese morgendlichen Bedingungen sehr sparsam bekleidet. Den Hund hätte ich sowieso nicht einholen können. Also ging ich heim, zog mir einen Pullover über. Machte mich dann auf zur Holzbrücke über den Fluss Ros. Dorthin kam unser Kai immer, wenn er einmal auf der Duftspur einer läufigen Hündin ausgerissen war. 
Nur fand ich ihn diesmal nicht gleich. Nachdem ich noch in einen bekannten Weg eingebogen war, der zu seiner uns ebenso bekannten Freundin führte, war von ihm nichts zu sehen. Also wanderte ich zurück zur Brücke. Traf dort einen Bekannten, wir plauderten ein wenig. Plötzlich kam mein Bello gelaufen - aus Richtung Wohnung. 
Die Standpauke und einen leichten Hieb hinter die Ohren nahm er gleichmütig entgegen. Wusste ja, wofür. Er musste nach meiner Meinung auf einer Parallelstraße zu mir gekommen sein. 
Allerdings war ich doch erstaunt, als mir unsere Hauswartsfrau sagte, sie hätte den Hund an den nahen Getränkekiosken getroffen, wo er eindeutig suchend herumgerannt sei. Sie hätte ihn "heimgeschickt". Dass Kai, nachdem er einen großen Bogen gelaufen war, mich anschließend "gefunden" hatte, ist wohl keine instinktive, sondern eine Vernunftleistung gewesen. Über die ich mich gefreut habe. Eines dieser kleines Stückchen Lebensglück.

Die etwas lautere Freude, richtiges Gelächter, löste der Anruf eines guten Bekannten aus. Er fragte meine Natascha, wo denn unser Auto wäre. Er hätte ein vom umgestürzten Baum zerstörtes gesehen. Auf die Frage, warum er bei uns anrufe, antwortete er - sich auf einen Vorfall im Winter beziehend - dass unser Fahrzeug doch Bäume anlocke. Wir lachten alle drei herzlich.

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger 




Gebissene Zahnärztin...

Das tägliche Leben enthält für mich immer wieder die Überraschungen, welche es interessant machen. 
Da kam vorgestern plötzlich fast schräg über die breite Straße ein weißer Chevrolet-Jeep aus ukrainischer Produktion auf mich zugefahren. Der Lenker hielt an und stieg aus. Einzig zu dem Zweck, sich ein wenig mit mir zu unterhalten. Wir hatten einander schon lange nicht mehr gesehen. Er wollte gerne meine Meinung zur gegenwärtigen Situation erfahren, sich nach meinem Befinden erkundigen, ein wenig von seiner mir bekannten netten Familie erzählen. Und vor allem natürlich auch etwas mit seinem neuen Auto glänzen. 
Nach dieser angenehmen Begegnung folgte fast unmittelbar eine sehr entgegengesetzte. Ein Mann etwa in meinem Alter aus dem Bereich "Straßenbekanntschaften" kam auf mich zu und riß den Arm zum faschistischen Gruß hoch. Mit einem "Chail" dazu, das ich durch Protest und Zwischenruf abbrach. Ich würde ihn doch auch nicht mit einem Lebehoch auf Diktator Stalin begrüßen. Seinen ernsthaft vorgebrachten Kommentar: "Da herrschte noch Ordnung!" hörte ich, als ich ohne in die angebotene Hand einzuschlagen an ihm vorbei weiter ging. 

Am Nachmittag des Tages besuchte ich unsere Zahnärztin, Nachbarin mit ihrer Praxis im Nebenaufgang. Sie bereitete in der linken Oberseite meines Mundes zwei Träger für eine Brücke vor. Als sie mit dem Formhalter für die Abdruckmasse gerade ansetzte, kam eine andere Patientin gleich in die Praxis. 
Sie hatte wie viele andere hier aus - nicht besonders höflicher Angewohnheit auch in anderen Arztpraxen - schauen wollen, ob ein Zahnarzt anwesend war. Allerdings sagte sie nicht nur "Guten Tag!", sondern begann sofort relativ laut zu reden. 
Deshalb verstand ich die Bemerkung meiner Dentistin falsch und biß zu - sie in den Finger, mit welchem sie die Metallplatte andrückte. Sie schrie auf. Sie hätte mir nichts von Zubeißen gesagt. Natürlich wollte ich weder mit der laut störenden Besucherin noch mit der reizenden Ärztin eine Diskussion beginnen, sondern entschuldigte mich für meine "Beißerei" bei der Leidtragenden. Beteuerte, dass das nicht wieder vorkommen werde. 

Heute, zwei Tage später, bekam ich meine Brücke schon eingesetzt. Passt hervorragend. Sie ist von einem ihrer Söhne - Zahntechniker - eiligst angefertigt worden. Denn wir haben zu dieser Großfamilie und Zahnarztgeneration auch gute persönliche Beziehungen. Dass uns diese ausgezeichnete Arbeit nur 2.000 Hrywna oder rund 122 Euro kostete, wird deutsche Leser verwundern. 

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger




  

Schick in der Fahne...

Am ersten September begann hier traditionsgemäß das neue Schuljahr. 

Im vom Krieg in seinem Ostteil gebeutelten Land gab es für die "nicht unter ukrainischer staatlicher Lenkung" befindlichen Gebiete einen Aufschub. Verständlich. 
Aber auch extrem unangenehm für jemanden, der mit den Menschen hier solidarisch ist. Darüber ist unter http://mein-ostblock.blogspot.com/2014/09/krieg-ansichtssache.html zu lesen. 

Allerdings hat die aktuelle Situation auch etwas Erfreuliches für sich. In unserer relativ ruhigen Region rund 80 km südlich von Kiew sind in den letzten Tagen zwei bunte Gruppen im allgemeinen Straßenbild aufgetaucht. 

Das waren für mich als erstes nach dem für den Schulanfang hier ganz typischen "Morgenappell" mit dem Gesang der Hymne des Landes - klang von der etwa 200 m Luftlinie entfernten Schule herüber - die diesmal besonders vielen Schülerinnen und auch Schüler in den unterschiedlichen Varianten der nationalen, genauer folkloristischen Kleidung.
Entweder ganz in Form von Kleidern oder teilweise - also zumindest in so sichtbaren Blusen oder Hemden. Genannt "wyshiwanka" - im Deutschen etwa "etwas Handgearbeitetes". 

Zum anderen etwas mehr als in den Ferienmonaten junge, hübsche und dem Anlass entsprechend besonders gekleidete Frauen. Eindeutig zu den Schülern gehörende Lehrerinnen. Typisch, dass ihr Anteil die Menge als Lehrer erkennbare Männer wesentlich übertraf. Ist wohl auch in Deutschland ähnlich. 

Viele der Genannten trugen zusätzlich an der Kleidung oder den Schultaschen (Rucksäcken) die staatliche ukrainische Symbolik - die blau-gelben Fähnchen oder Bänder. 

Hier erinnere ich mich an einen Vorgang zum Ende der 80-er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Ich war zu einem Vortrag des in der DDR (Deutsche Demokratische Republik) hoch geachteten Professors Jürgen Kuczynski. Er war bekannt für seine immer sehr offenen Antworten. Ihn hatte ich fragen wollen, warum in der DDR das Singen der Hymne des Landes nicht mehr üblich war. Mich hatte darin der Satz "...Deutschland, einig Vaterland..." zu einigen nicht ganz unkritischen Überlegungen angeregt. 

Leider hatte sich lange vor mir ein amerikanischer Journalist gemeldet. Über seine Frage und die gründliche Antwort des - wenn notwendig auch sehr systemkritischen - Professors vergaß ich mein Ansinnen. 

Zurück nach heute und zur Überschrift. Denn an genanntem Tag kam mir am Nachmittag in einer Gruppe ihrer Schülerinnen eine sehr gutgewachsenen, naturblonde Lehrerin entgegen. Die blaue Bluse passte sehr gut zu dem hellen Haar - und der zitronengelbe Rock über den hübschen Beinen machte die ganze Erscheinung weiterhin zu einer Augenweide für einen normal empfindenden Mann. Die Farben der Staatsflagge unterstrichen hier auf das Beste die Individualität der Trägerin - und ihr Anliegen. Die wachsende sehr eigene und positive Zugehörigkeit der sich von ehemaligen Untertanen zu echten Bürgern ihres Landes entwickelnden Menschen.

Die ganze Gruppe strahlte den Optimismus des einfachen, gewöhnlichen Lebens aus. Wie er für mich auch in jeder knospenden oder entfalteten Blüte zu sehen ist.


Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Zufrieden...

Mit anfänglichem Erstaunen habe ich bei Peter Scholl-Latour gelesen, dass die "Ringparabel" aus dem "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing heute absolut nicht mehr zeitgemäß ist. Sein Taschenbuch "Kampf dem Terror - Kampf dem Islam?" (IBSN 3-548-36679-1) hat mich am Ende doch davon überzeugt. 

Allerdings befolge ich täglich das, was dieser große deutsche Dichter ebenfalls schrieb: „Lese jeden Tag etwas, was sonst niemand liest. Denke jeden Tag etwas, was sonst niemand denkt. Tue jeden Tag etwas, was sonst niemandem albern genug wäre, zu tun. Es ist schlecht für den Geist, andauernd Teil der Einmütigkeit zu sein.“ 

Deshalb schaue ich hier auch "dem Volk aufs Maul", wie es Martin Luther empfahl und  fahre gut dabei, weil ich echte Meinungen erfahre. Aber auch Spaß habe. Meine bekannte Verkäuferin auf dem Basar erzählte zum Beispiel, wie sie einen Protz in die Schranken gewiesen hatte. Der wäre zum Einkauf an ihren Stand gekommen, hatte etwas bestellt. Als sie die Ware abwog, wedelte er auffällig mit seinem dicken Portemonnaie herum. Sie übergab ihm die  verpackte Ware und er fragte, auf die vielen großen Scheine deutend: "Was soll ich ihnen geben?" Sie antwortete, dass ihr das egal sei. 
Er nahm einen 200-Hrywna-Schein und reichte den ihr herüber. Sie hätte das Geld seelenruhig in ihre Kasse gelegt und sich der Kundschaft zugewandt. Der Mann habe sie sehr irritiert angesehen und gefragt: "Nun?" Sie gab zur Antwort: "Sie haben mich doch gefragt, was sie mir geben sollen. Also haben sie doch nicht mit Rückgabe gerechnet - bei der vollen Geldbörse?" Danach habe sie das Rückgeld genommen und ihm gereicht mit den Worten: "Bitte sagen sie genau, was sie wollen." Unter Gelächter der anderen Kunden war er davon gezogen. 

Meine Bekannte, Verkäuferin am Getränkekiosk, war morgens noch ein wenig mit Schminken beschäftigt, als ich herantrat. Sie grüßte zurück und bat: "Einen Augenblick bitte - heute ist Picasso zu spät gekommen." Darauf meine Frage: "Arbeitet der noch klassisch oder schon modern, denn dann gehe ich lieber gleich weiter?" ließ uns beide lachen. 

Heute kam die weißgraue Katze, welche unseren Hund vor kurzem mit Fauchen und Krallen verjagt hatte, ihm regelrecht hinterher, dass sogar ein Blumenverkäufer seinen Kolleginnen zurief: "Seht mal, wie die ihn verfolgt." 

Diese kleine Freude war allerdings dadurch gestört, dass ich zuvor auf etwa 50 Metern die zwei plattgewalzten Kadaver der kleinen Kätzchen gesehen hatte, welche ich vor Kurzem in einem Post auf diesem Blog schon als künftige Opfer des Straßenverkehrs beschrieben hatte. 


Nur ist bei aller Tierliebe ein Haustierheim durch uns nicht einzurichten. Schon besetzt - auch durch diesen Kater und seinen Freund Hund.

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





Wieder zuhause...

Die Verluste der Heimreise waren verschmerzt - schließlich war ich gesund zurückgekommen. Den Rest besorgte die Zeit und alles das, was täglich an Neuem geschieht. 
Am Folgetag gab es das typische - von vielen Bekannten die Frage, weshalb ich so lange im Straßenbild und auf dem Markt nicht zu sehen gewesen bin. Auf den wahrheitsgemäßen Bericht folgte zweierlei: Bedauern und Abwehr der Argumentation meiner Frau. 
Ich bekam wahre Geschichten zu hören davon, wie einige im proppevollen Bus um ihre Geldbörse oder auf der Bahnreise um ihr Gepäck gebracht wurden. Von einem Bekannten gab es diesen Scherz als Draufgabe: Ein Dieb aus Odessa kam aus dem Knast zurück. Mit der Eisenbahn. Auf dem Bahnhofsvorplatz stellte er seinen Koffer ab, streckte die Hände seitwärts in die Höhe und rief: "Sehe ich dich endlich wieder, mein liebes Odessa!" Als er die Hände senkte, war sein Koffer fort. 

Während der Hund vorauslief, sprach mich ein etwa 40-jähriger Mann an. Er war in Begleitung, unschwer war an Flugzetteln und einigen Büchlein zu erkennen, dass man mich für eine Sekte gewinnen wollte. Gab es schon häufig - ohne Erfolg. 
Doch der Herr stellte sich als Dmitriy vor und bat mich, eine Frage stellen zu dürfen. Er wisse, dass ich Deutscher sei. Nun habe er ein deutsches Auto gekauft und möchte gern wissen, ob ich ihm behilflich sein könne, damit dieses wie ein Uhrwerk funktioniert. Ich lehnte ab. Gern würde ich bei Übersetzung von Teilen der Betriebsanleitung helfen. Aber am Auto zu basteln fiele mir nicht ein. Eben darum wollte er mich bitten - für anderes hätte er selbst geschickte Hände und eine Werkstatt. Wir tauschten die Handynummern aus. Noch hat er nicht angerufen, obwohl eine Woche vorbei ist.

Meine Erlebnisse in Warschau habe ich auch bei unserer Bekannten vom Kiosk erzählt. Eine während des Gesprächs dazugekommene Frau bemerkte ohne lange zu überlegen: "Das waren gewiss unsere Leute, die da eine Gastrolle geben." 
Wenn auch ich kritisch gegenüber meiner Heimat Deutschland eingestellt bin, sage ich zu Missständen etwas immer sehr behutsam. Wie kann, vor allem in dieser Zeit, eine Ukrainerin so reagieren? 
Also drehte ich mich zu ihr um: "Wenn ihnen so etwas leicht über die Lippen kommt, ist es schade um den Ruf dieses Landes. Ich habe daran nicht einmal gedacht." Sie wurde knallrot und verschwand.  

Dafür belustigte mich eine andere, besonders ansehnliche Dame durch die englische Aufschrift auf ihrem extrem gut gefüllten T-Shirt. Da stand über die gesamte, besonders gewölbte Vorderfront mit einem Ausschnitt für acht Personen: "Secret of victory" - "Geheimnis des Sieges". Meine Natascha lächelte, als ich ihr von dieser Beobachtung erzählte. Denn sie hatte ohne Aufschrift vor Jahren einen ähnlich begründbaren Sieg errungen...

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





  

Abenteuer der Landstraße

Die Hinreise Kiew-Berlin war so normal, dass es sich fast nicht lohnt zu erzählen. Außer dass im Reisebus Riga-Berlin, in welchen wir in Warschau umstiegen, drei sehr junge chinesische Kinder waren, welche mir noch viel lebhafter erschienen als die schon aus Berlin-Kreuzberg bekannten türkischen Jungen.
Die Rückreise fünf Tage später nach Kiew ab 22 Uhr begann recht ruhig, weil wir fast alle einschliefen. Als wir um 6 Uhr in der Frühe am recht großen Busbahnhof in Warschau-Zchodnia ankamen, wollten viele ihr Gepäck sehr rasch bekommen. Weil den Anschluss in einem fremden Land zu verpassen nicht einfach nur unangenehm ist. Denn die Sprachbarriere schafft nämlich zusätzlich Probleme. 
Diesen Umstand hatten sich einige pfiffige Leute auch überlegt. Mein Portemonai hatte ich in einer seitlich am Oberschenkel befindlichen, mit Klettverschluss gesicherten Hosentasche. Sie ist im Allgemeinen sogar aus dem Augenwinkel sichtbar. Doch wenn viele dich umringen, du die Hand nach dem Koffergriff ausstreckst - dann ist alle deine Aufmerksamkeit dorthin gerichtet. Der Taschendieb hatte also mit mir leichtes Spiel.
Als ich mit meinem Gepäck an einer Bank ankam, hatte ich das Leeregefühl dort, wo vorher die eng in der Tasche sitzende Geldbörse merklichen Druck ausübte. Ein Griff dorthin - und ein Schreck in der Morgenstunde.
Der zweite Fehler folgte sofort. Ich ließ Koffer und Rucksack auf der Bank und raste zum Bus, der nach Riga weiterfuhr. Meine bisherige Nachbarin sagte mir, dass ich auf dem Sitz nichts verloren hätte - sie würde mich gerufen haben. Mein Gepäck war am Platz, doch wurde mir mein Risiko bewusst.
Besonders unangenehm war, dass außer Personalausweis in der Geldbörse Kreditkarte, Geldkarte, Gesundheitskarte der AOK (eben erst abgeholt), Führerschein und anderes mehr steckten. Dazu verschwanden, jedoch unwiederbringlich, etwa 80 Euro, 30 polnische Zloty und 35 ukrainische Hrywna.
Nach dem ersten Ärger fasste ich mich soweit, dass mir das in der linken Hosentasche befindliche polnische Kleingeld einfiel, so dass ich mir einen sogar großen Kaffee leistete. Danach rief ich in Berlin an, damit unser Freund sofort meine Kreditkarte sperren ließ.
Pünktlich ging es ab in die Ukraine. Die Grenze überquerten wir ohne langen Aufenthalt, rollten über Luzk und Rowno bei zunehmender Dunkelheit zügig auf Shitomir zu. Plötzlich ein Streifenwagen der Polizei quer über der Straße. Die Ordnungshüter gaben keine Antworten, sondern nur die Weisung: "Weiterfahrt nur über Nowograd-Wolhynski!"
So rasten wir mit etwa 30 km/h über nächtliche ukrainische Dorfstraßen. Der Umweg war der militärischen Situation im Lande geschuldet, wie ich daheim erfuhr. Eltern frisch Einberufener hätten die Straße gesperrt, um die nach ihrer Auffassung unzureichend ausgebildeten Söhne nicht in die Ostukraine zum Einsatz transportieren zu lassen. Eine verständliche Reaktion, meine ich. Sie kostete uns im Bus lediglich knapp zwei Stunden Verspätung in Kiew.
Die typische Reaktion meiner Ehehälfte, als ich nach künstlich verlängerten Berichten über die Probleme in Berlin und meine Treffen endlich ihre Frage nach der Vollzähligkeit meines Eigentum beantworten musste, lautete: "Das kann nur dir passieren!" Bevor ich die Fragen zur Sache beantworten durfte.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Auffassungen

Neue Bekanntschaften macht man im höheren Alter gewöhnlich seltener. Heißt es. Die Ausnahme bin ich. Denn eigenartige Erscheinungen oder Handlungen setzen bei mir so etwas wie einen inneren Druck frei, sich doch mit den daran beteiligten Personen zu unterhalten.

Liefen da neulich zwei Männer mit recht schweren Taschen durch die Allee. Angezogen in etwas, was ich zum Verständnis für deutsche Leser als einen "schwarzen Blaumann" bezeichne. Auf dem Rücken in großen weißen, kyrillischen Buchstaben das Wort "WOROCH". Ich suchte in allen Ecken meines recht umfangreichen Wortschatzes und fand nichts. Also sie höflich angesprochen, als sie mit ihren schweren Gepäckstücken einmal Atem holen mussten. Es stellte sich heraus, dass das Wort eine der hier fast verehrten Kürzel ist. Nicht wegen des Inhalts, sondern wegen der Zweckmäßigkeit, der Verkürzung. Sprich Faulheit. Es bedeutet "voennysowanaja ochrana" und ist wörtlich  "militärischer Wachschutz".
Also genau das Gegenteil dessen, was ich vorher vermutet und hier ausgelassen habe.

Vor einigen Tagen schon hatte ich einen relativ gut gekleideten bärtigen Mann gefragt, was er denn beim Altstoffhandel für die von ihm mit dem Fuß  zusammengepressten Bier- und Coladosen bekommt. Je Stück 3 Kopeken, etwa 0,2 Eurocent. Er kommentierte, dass der Erlös in Kiew oder Shitomir doppelt so hoch sei, aber das Fahrgeld nicht einbringe.
Nach der Unterhaltung mit den "Worochs" fiel mir ein ihn, der jeden Morgen pünktlich auf der Allee erschien, nach seinem Motiv zu fragen. Da stellte es sich heraus, dass der ausgemusterte Korvettenkapitän Flaschen und Dosen als Hobby sammelte. Um tätig zu sein, etwas zu Nutze, für die Sauberkeit des Stadtbildes. Er könne von seiner Rente leben. Aber er war gewöhnt sich zu bewegen. Sowohl erst auf dem Schiff, später als Kommandeur eines Batallions der Marineinfanterie. Außerdem käme mit der Zeit etwas für Sonderausgaben zusammen.

Da war ich versucht, mir einen Korvettenkapitän a. D. der deutschen Marine in dieser Rolle vorzustellen...  

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Feldblumenstrauß

Unklar ist, weshalb ich heute für meine Begriffe erst sehr spät aufgewacht bin. Kurz nach sieben Uhr – entgegen den sonst fünf Uhr dreißig Minuten. Der an frühen Spaziergang gewöhnte Hund begann zu fiepen. Allerdings wurde meine bessere Hälfte ebenfalls munter. Auf den Guten-Morgenkuss und die Worte „Alles Gute zum Festtag!“ reagierte sie so unerwartet, dass es mir die Sprache verschlug. „Wenn du mich vor zehn Jahren im Affekt erwürgt hättest, wärest du heute schon frei aus dem Kittchen.“ Sie hat eben ihre Auffassung von Humor.

Das hinderte mich nicht, nach dem Ausführen des Hundes den  Blumenstrauß nebenan von der Wiese zu holen. Sie liebt Feldblumen, die noch duften. Die vor allem eine wahre Aufmerksamkeit sind, nicht ein Erkaufen von liebevoller Zuwendung. Denn das kann jeder mit ein wenig Geld in der Tasche. Aber eineinhalb Stunden unter sengender Sonne auf den Flusswiesen Blüten und dekorative Pflanzen zu suchen – da gehört ein wenig mehr dazu. Meint zumindest meine Natascha. Auf dem Spaziergang mit Hund haben wir heute auch wieder des Merkens würdige Erlebnisse gehabt.

Vor einigen Tagen war einer der vielen hier  streunenden Hunde überfahren worden. Ein Unbekannter hatte den Kadaver in eine flache Obstkiste geworfen, wo dieser mit der Zeit bei etwa + 30 Grad Lufttemperatur natürlich aufgedunsen war. Heute in der Frühe war das Müllfahrzeug gekommen, die Abfallbehälter auf der Allee zu entleeren und hatte den Kadaver auch entsorgt.

Gestern Abend hatte ich schon die farbigen Anzeigen unter Plasthülle an den Bäumen bemerkt, sie aber erst heute gelesen. Ein Chihuahua-Welpe war verschwunden. Unklar, wie die Besitzer eines so teuren Tierchens das so schlecht angeleint spazieren geführt hatten. Oder unbewacht im Garten hatten spielen lassen, wo ein geringer Abstand zwischen Brettern oder Latten reichte, den neugierigen Kleinen hinauszulassen. Die dem Finder ausgelobten 400 US-$ oder 300 € sind beredtes Zeugnis, dass das Hündchen teuer ist. 
Ob es aber zurückkommt? Vielleicht kann der Finder/Räuber es noch teurer verkaufen…

Eine ausnehmend dürre, streunende Hündin verfolgt uns mit Hund seit einiger Zeit, kommt bettelnd an meine Seite. Weil ich ihr vor Tagen ein Stück Pastete hinwarf, welches unser Hund und auch der daheim ebenfalls gut gefütterte Kater abgelehnt hatten.

Die winzige Katze, die uns gleichfalls eine Weile begleitet hatte, konnte ich bei allem Mitleid und bestem Willen nicht aufnehmen. Wir können zuhause kein Tierheim eröffnen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger  

P, S. Entschuldigung

Der Satz meiner Frau heute Morgen ist unvollständig zitiert. Er muss so heißen: „Wenn du mich vor zehn Jahren nicht geheiratet, sondern im Affekt erwürgt hättest, wärest du heute schon frei aus dem Kittchen.“ So wird verständlich, wie sie sich den Feiertag, unseren zehnten Hochzeitstag, für mich solo vorstellt. Das bitte ich zu verstehen. Jedoch auch meine anders geartete Entscheidung. Wäre doch schade gewesen um eine so fürsorgliche Frau - oder?

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger