Mein Jubiläum



Heute will ich endlich meine „Glückswoche“ auswerten.

Am 20. März war Stieftochter Svitlana mit Söhnchen aus der Nähe von München angekommen. Eine nette Bereicherung unseres Lebens…
Als ich am 21.März 2017 gegen drei Uhr in der Frühe aus der Toilette kam, packte mich im Halbdunkel jemand an den Ohren, zog sie mehrfach hoch und flüsterte mir seinen Glückwunsch zu. Mein fast vierzig Jahre alter Stiefsohn hatte die mir bekannte  Gewohnheit seiner Schuljahre auf mich übertragen. Überraschend und deshalb angenehm.

Setze fort mit einem Zitat aus meinem vorigen Post von eben diesem Tag (http://erlebnis-leben.blogspot.com/2017/03/das-herz-verloren.html ): „Heute Morgen, auf dem Rückweg vom Spaziergang, kam aus ihrem Kiosk die Verkäuferin Olga heraus – mit einer Plastiktüte in den Händen. Sie wünschte mir nicht nur „Guten Morgen“, sondern beglückwünschte mich auch zu meinem 80. Geburtstag. Überreichte mir mit den Worten „Vielleicht ist das Geschenk etwas banal.“ diese Tüte mit einer kleinen Flasche guten Cognac darin.“ Die Geste war außerordentlich erfreulich.

Der Tag wurde von häufigen Anrufen unserer Freunde regelrecht zerstückelt. Jeden erinnerte ich an die Einladung zum Gastmahl am 25. März im Restaurant mit der inoffiziellen Bezeichnung „Pentagon“.

Am 23. März kamen Svetas Mann und ihr Schwiegervater an. Wir holten beide im Kiewer Flughafen Borispol ab. Fuhren nach ihrem Einchecken im Hotel hier in Bila Tserkva sofort in ein nahes Dorf – zum Abendessen beim unserer Freundin Nadja. Sie hatte an dem Tag Geburtstag. Schwiegervater Sepp war erstaunt über die Herzlichkeit des Empfangs und die Fülle auf dem Tisch. Verwundert auch darüber, dass alle Speisen aus ohne Chemie im Garten geernteten Produkten bestanden, der Hausherr neben der bäuerlichen Wirtschaft seinem Beruf als Chefmechaniker und – logistiker eines Unternehmens mit etwa 60 Mitarbeitern nachgeht, außerdem Wein keltert und Wodka brennt sowie ohne Hilfe eines Metzgers Tiere schlachtet, dass die Nadja ebenfalls beruflich tätig ist. Er staunte darüber, weil er das erste Mal in die Ukraine kam… 

Unsere Veranstaltungen mit den deutschen Gästen am 24. März beschreibe ich hier nicht, sondern in einem anderen Blog ( http://mein-ostblock.blogspot.com/ ). Wichtiger hier ist der Besuch unseres Freundes Viktor bei mir daheim – einst Chefelektroniker eines fliegenden sowjetischen Fernaufklärers. Seine Ehefrau Jelena war leider erkrankt. Er hätte uns das und die damit verbundene Absage zur Fete telefonisch mitteilen können. Wollte jedoch aus freundschaftlicher Achtung und mit einem kleinen Geschenk dem wesentlich älteren militärischen Bündnispartner der Vergangenheit eine Freude machen. Ich war etwas gerührt – vor allem aber erfreut.

Natascha hatte noch rechtzeitig erinnert, dass die Hose des Hochzeitsanzuges (sehr preiswert gekaufter aus modernem Loden) im Bundbereich spannte und hatte ihn für nächste Jahre „anpassen“ lassen. Kurz vor 16 Uhr betrat ich den Festsaal. Die beiden „Münchener“ waren vor mir gekommen. Sepp erstaunte nicht nur mein „Outfit“, sondern die nach ukrainischen Regeln extrem reichhaltige Festtafel.
Unter den originellen Geschenken stachen zwei mit besonderer Fantasie hervor: ein Gemüse-Blumenstrauß und das „Wenn-Büchlein“. Zu letzterem einige Beispiele: auf geschickt ausgeschnittenem farbigem Hartpapier aufgeklebt ein neuer Kamm mit der Bemerkung: „…wenn du mal ganz durcheinander bist!“ (bei meiner sehr seltenen Haarpracht) oder auch ein Beutel Buchstabennudeln mit der Unterschrift „…wenn dir mal die Worte fehlen!“ Die deutschen Gäste hatten sich so viele Mühe gegeben. Wie auch die Mitarbeiter des Restaurants - siehe die Festtafel im Foto unten.
       
Der Abend wurde ein voller Erfolg. Wir hatten einen einfallsreichen Zeremonienmeister (hier „Tamada“ genannt), gleichzeitig der Disjockey. Meine liebe Natascha brachte den ersten Trinkspruch aus – den einzigen voll wahren des Abends. Denn alle anderen redeten später vorwiegend von meinen ihnen bekannten „Schokoladenseiten“. Sie aber sagte, ohne die Worte Victor Hugos zu kennen: „Es gibt nichts Schöneres, als geliebt zu werden, geliebt um seiner selbst willen oder vielmehr trotz seiner selbst.“ ganz einfach: „Wir lieben dich wie du bist.“
Ein Trinkspruch noch fiel etwas aus dem Rahmen. Unsere Freundin und auch Trauzeugin  Tatyana, hochgebildete Juristin, las ihn vor. Sie hätte vor 50 Jahren Deutsch in der Schule gelernt und hoffe, nicht zu viele Fehler gemacht zu haben. Übersetzte ihren Landsleuten jeden Abschnitt. Die Geste war rührend angenehm.
Der „Tamada“ hatte einen großen Bogen festes Papier dreifach gefaltet und vier „Künstler“ ausgelost, die mein Porträt zeichnen sollten. Dass Ergebnis ist hier nebenan zu sehen. Noch nie im Leben hatte ich die dünnen Beine der entstandenen Figur. Der letzte Künstler war offensichtlich Minimalist.


Seine – des Tamada – nächste Überraschung war die Frage, ob denn von den Versammelten auch etwas auf Deutsch gesungen würde. Während sich die angereisten Gäste sofort berieten, sang ich solo ein Liebeslied – „Dat du min Levsten bist“ – einfach in Text und Melodie. Bekam viel Beifall. Danach sangen die Münchener das „Happy birthday“ mit deutschem Text in der langsamen Version und danach in einer Uraufführung selbiges als „Sonderrock“ – die Einlage begeisterte uns alle.         

Die mir von meinen Familienmitgliedern überreichte Torte war gegen alle Erwartungen nicht übersüß, sehr schmuck und schmackhaft.

Allerdings habe ich sie beinahe vernichtet, bevor sie angeschnitten wurde. Denn ich wollte sie zu dem normalen Tisch tragen. Unterschätzte ihr Gewicht und wenn nicht fix Natascha stabilisierend eingegriffen hätte, wäre die „süße Portion“ auf dem Fußboden gelandet und dort sicher zerschellt.

Als wir gegen 22.30 Uhr aufbrachen, waren alle zufrieden. Gesättigt, leicht alkoholisiert, hatten mit viel Vergnügen getanzt und waren von Nataschas Enkel Patrick begeistert.

Freundin Tatyana formulierte: „Von den Haaren ein Pusteblümchen. Vom Charakter ein Zigeunerkind.“ Die deutschen Gäste und ich waren schockiert. Sie kommentierte: „Keine Abwertung. Zigeunerkinder haben keine Angst, gehen zu jedem Erwachsenen.“


Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





















Das Herz verloren...



Auf Facebook fand ich vor einigen Tagen ein Banner mit msinngemäß der Frage „Welches Land haben sie ins Herz geschlossen?“ Zu ihm fand ich Antworten – unter anderem von meinem Freund Dirk. Er hatte die Ukraine ausgewählt und das mit landschaftlichen und baulichen Schönheiten der Stadt Odessa begründet. Ohne diese seine Gründe zu kritisieren, erlaube ich mir unter ganz anderem Gesichtswinkel zu antworten. 
Seit fast 22 Jahren in diesem Lande formuliere ich meine Vorliebe anders: ich liebe dieses Land seiner Menschen wegen. Begründe das mit einem nächtlichen Erlebnis, das ich vor 21 Jahren hatte. Wir waren mit Nataschas Sohn Pavel nach Sumy gefahren – einer Stadt in der Nordostukraine. Es schneite leicht unterwegs und ich war auf den 500 km dorthin und auch zurück die einzige Person hinterm Steuer. Auf unserem Wege lag auch die Stadt Romny, in welcher ich einen Vertrag dem Molkereidirektor abschließen wollte. Nach dem Vertragsschluss fuhren wir weiter nach Sumy, wo ich für den Transport der Trockenmilch nach Deutschland mit dem Direktor eines internationalen Logistikunternehmens Verabredungen traf. 
Es war Nacht geworden und gegen 21:00 Uhr fuhren wir zurück nach Bila Tserkva. Nach etwa 200 km auf verschneiten Straßen und bei -20 °C kamen wir an eine Spitzkehre. Auf ihr hatte der Wind eine Menge Staubschnee angetrieben. Ich hatte die Geschwindigkeit gedrosselt, wir fuhren etwa 40 km die Stunde. Dennoch drückte uns das Hindernis gleichmäßig langsam in den Straßengraben. Zum Glück war der flach. Auf der Seite liegend, konnte ich die Tür nicht öffnen. Nur Pavel kam auf der Beifahrerseite aus dem Auto. 
Das um 23:00 Uhr auf einer sonst schon wenig befahrenen Landstraße bei Schnee und niedrigen Lufttemperaturen. Stellen Sie sich das bitte vor, mein Leser. Ein Fahrzeug, das weit hinter uns kam, hielt auf Pavels verzweifeltes Winken nicht an. Denn der Fahrer wäre beinahe in unserer Spur auf unserem Dach gelandet. Zu unserem ganz außergewöhnlichen Glück kam aus der Gegenrichtung ein Konvoi von vier Lastwagen und zwei Personenwagen. Diese Gruppe hielt sofort an. Mit einem Stahlseil an den kräftigsten der Laster gekoppelt, kamen wir nach 20 Minuten wieder auf die Straße. Weil unser Tank fast leer war, ich also Geld für die Rückfahrt weiter brauchte, konnte ich mich nur mit einem ehrlichen Dankeschön bei den Fahrern bedanken.

Andere Situationen freundlicher Hilfsbereitschaft habe ich später in der Ukraine sehr häufig erlebt. Und das nicht etwa deswegen, weil mich meine Sprache als Ausländer kenntlich macht. Denn ich spreche ein sehr ordentliches Russisch. 

Um auf den gegenwärtigen Moment zu kommen: vorgestern auf dem Basar wurde mir das Sauerkraut auf Hausmacherart mit der Bemerkung verkauft, dass sich die Verkäuferin freue, einen so netten Kunden bedienen zu dürfen. An einem anderen Stand wurde mir vom Verkäufer der neueste ukrainische Witz erzählt. Jeden Morgen beim Spaziergang treffe ich Hundebesitzer, welche sich mit mir zu unterschiedlichen Problemen austauschen. Gehe ich am Flussufer entlang, gibt es grundsätzlich Unterhaltung zu den Fangergebnissen der Angler. Ich habe also sehr engen Kontakt zu unterschiedlichen Personen aus der Bevölkerung.
Es gibt auch andere Erlebnisse. Auf dem Weg zum Basar am Sonntag saßen in einer Gasse ein Mann und eine Frau friedlich auf einer Bank. Sie hatten etwas zu essen zwischen sich liegen, das Getränk war aber kein alkoholisches. Die Frau wandte sich an mich: „Entschuldigen Sie, das wir hier so sitzen.“ Ich antwortete, dass dies ihre Sache sei und mich nichts angeht. Daraufhin kam die erstaunliche Frage: „Sagen Sie bitte, Vater – haben wir eigentlich einen Staat?“ Daran, dass mich viele Ukrainer als „batjko“ (Vater) anreden, habe ich mich schon gewöhnt. Aber dass ich als politischer Ratgeber angesehen werde, ist immer wieder neu. Meine Antwort versuchte ich sehr diplomatisch zu fassen. Sie wurde akzeptiert. Erfuhr im Weiteren, dass die Fragestellerin Meisterin im Florett Fechten der Sowjetunion ist. Während ich sprach, war ein etwa 40-jähriger Mann herangekommen und hatte sich in etwas sehr grober Weise in unser Gespräch eingemischt. Genauer: er hatte sich an die Sportlerin gewendet. Aber sehr unziemlich. Sie machte ihn darauf aufmerksam, dass sie mit einem Deutschen spräche. Seine Reaktion: „Was will denn der Hitler hier?“ Ich zog es vor zu gehen – mich mit einem Ausnahmerabauken anzulegen hatte ich keine Lust. Wie die Russen sagen: „Ein Teelöffel Teer verdirbt ein Fass voll Honig.“

Heute Morgen, auf dem Rückweg vom Spaziergang, kam aus ihrem Kiosk die Verkäuferin Olga heraus – mit einer Plastiktüte in den Händen. Sie wünschte mir nicht nur „Guten Morgen“, sondern beglückwünschte mich auch zu meinem 80. Geburtstag. Überreichte mir mit den Worten „Vielleicht ist das Geschenk etwas banal.“ diese Tüte mit einer kleinen Flasche guten Cognac darin.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger