Abschied

          Wir waren in Kiew. Aus traurigem Anlass. Unsere "Tante Maria", die Mutter unserer besten Freundin, war von ihren Leiden für immer erlöst. Das zu schreiben fällt schwer, wenn man nur ein Jahr jünger ist.
          Als wir das Trauerhaus erreicht hatten, gab es für mich eine Überraschung. Ich wurde in den Kreis derjenigen aufgenommen, welche der Verstorbenen besonders nahe gestanden hatten. Dadurch, dass mir ein  langes weißes  Handtuch um meinen linken Oberarm gewunden und verknotet wurde. Weil ich die damit verbundenen Verpflichtungen nicht kannte, machte ich mich erst einmal flüsternd kundig. Ich erfuhr, dass ich unter anderem auch einer der Sargträger sein würde.

          Nach dieser Information ging ich in den überfüllten Raum, in welchem die Verstorbene im offenen Sarg aufgebahrt war. Das ist in den slawischen Ländern, in welchen die Beerdigung innerhalb weniger Tage erfolgt, so üblich. Vor der Toten verneigte ich mich - die Sitte und meine Hochachtung vor Marias Lebensleistung verlangten das - auch die Ehrfurcht vor dem Tode selbst. Dann legte ich unsere zehn gelben Rosen zu ihren Füßen in den Sarg. Zehn - eine gerade Zahl - gehört mit zu den Landesbräuchen. Danach ging ich aus dem Raum. Mir als Ungläubigen widerstrebt es, die religiösen Zeremonien zu "erdulden". Bitte, das ist keine Abwertung - aber nicht mit beten zu wollen und sich auch nicht zu bekreuzigen - das anzusehen wollte ich den Gläubigen nicht zumuten.

          Nachdem der Priester die Messe gelesen hatte, kamen die Trauergäste aus dem Haus. Ich ging hinein. Etwas kräftigere junge Männer baten mich, nicht den Sarg, sondern nur die unter ihn gestellten Hocker hinaus zu tragen. Dort wollte man mich unter ein Schleppdach kommandieren, unter dem es dunkel ist. Weder die Tote würde vor dem Abschied zu sehen sein, noch könnte sie den reinen fallenden Schnee mit sich nehmen. Also verfügte ich laut: "Aufgebahrt wird sie hier (zwischen Haustür und Schleppdach - ich zeigte auf die Stelle und postierte da meine Hocker). Lasst sie den letzten Schnee mit sich nehmen." Die Menge gehorchte.

          Maria sah sehr ruhig aus. Bitte, meine Leser, verstehen Sie mich richtig. Vielleicht ist das Wort "gelöst" besser geeignet, diesen Ausdruck ihres Gesichts zu beschreiben. Wir kannten sie als immer um ihre sehr erwachsene Tochter besorgte Mutter, mit ein wenig Schalk in ihren Bemerkungen. Nun ging sie ein in die Ewigkeit - unser aller unumstößliche Zukunft. Der Gleichaltrige schaute auf sie mit dem Wunsch, ähnlich zu wirken, wenn seine Zeit gekommen ist.
          Der Priester, welcher nach der Aufbahrung erschien, bat nach seinen üblichen Zeremonien die Anwesenden, von der Toten Abschied zu nehmen. Das geschah durch einfaches Berühren ihrer Hände bis zu einem Kuss auf die Wange oder die Stirn. Die schon vorher eingetroffene Bläsergruppe intonierte das bewegende Lied von der Mutter, welche den scheidenden Sohn begleitet. Unter diesen Klängen nahmen ihre Enkel und unsere Freundin Abschied von Mutti und Oma Maria.

          Auf dem Friedhof alles eng und bei Vereisung glatt. Der Priester bat - sehr vernünftig - die Anwesenden um Vorsicht. Hier lasse ich alles aus, was mit den Vorgängen selbst verbunden war. Lediglich die Verteilung von Konfekt an die Anwesenden während der Zeremonie brachte mich ein wenig aus dem Gleichgewicht. Andere Länder - andere Sitten.

          Im Anschluss das Essen anlässlich der Beerdigung. Eingeladen waren viele - aber bei den aktuell herrschenden Wetterbedingungen waren etwa nur zwei Drittel der voraussichtlichen Teilnehmer gekommen. Die Tochter Marias kam zu mir mit der Bitte, wegen des vorwiegend weiblichen Publikums als erstes einige Worte zu sagen. Wir würden ihre Mutter gekannt haben und es sei Sitte, dass ein Mann die ersten Worte der Erinnerung spräche. Dieser Auftrag bewies mir: ich bin eingebürgert von den Menschen.
          Da mich das laut seiner Dienstanweisung (wie auch immer die kirchliche Regel heißt) ständige "Ewiges Gedenken" des Popen etwas genervt hatte, stand ich zum ersten Tost dieses Erinnerungsessens auf und sagte: "Als Gleichaltriger verspreche ich kein ewiges Erinnern. Unsere gute Maira lebt weiter in unseren Herzen, solange wir selber leben. Lasst uns deshalb alles tun, damit wir gesund bleiben und lange leben."
          Unsere Freundin bedankte sich später bei mir - auch andere Gäste kamen mit Anerkennung auf mich zu. Das war nicht mein Ziel. Denn eigene Gesundheit zu pflegen, zu stabilisieren - das ist meine Überzeugung. Sie können das auf  http://reich-weil-gesund. com  nachlesen.

Mit freundlichen Grüßen

ihr

Siegfried Newiger






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