Aus dem Leben eines Tauge-noch-was 4


               Mit der zweiten Arbeitswoche kamen erst einmal die „Elektriker“. Beide absolut ohne Vorstellung davon, was die zeitweilige Arbeitsumwelt Ukraine bedeutet – aber mit recht großen Erwartungen.

               Der jüngere von Beiden kam schon am nächsten Morgen auf mich zu. Ob denn alle Kellnerinnen hier so unfreundlich wären wie die uns beim Frühstück bedienende Tatyana.
               Ich hatte schon in der abgelaufenen Woche erfahren, dass die wirklich sehr ansehnliche junge Frau nur kurze Zeit in der Frühschicht arbeitete. Also musste es bei ihr Probleme geben. Die zu erfahren konnte nicht meine Aufgabe sein. Aber dem jungen Mann – und allen anderen, die mindestens 20 Jahre jünger waren – wollte ich beweisen, dass richtiges Zugehen auf eine Frau diese etwas freundlicher werden lässt. Also sagte ich ihr, als sie meinen Tee brachte, ob sie wegen der Ausländer an den Tischen so ernsthaft sei. Ein „leises“ Lächeln verschönte sofort ihr so schon hübsches Gesicht, als sie verneinte. Mein Tischnachbar erfasste diese Änderung erstaunt. Ich setzte noch eins drauf. „Tatyana, sie sind doch auch so eine reizende junge Frau. Dazu haben sie beim Lächeln so niedliche Grübchen auf den Wangen. Warum setzen sie die nicht ein, um diese Herren hier zu bezaubern? Damit die sich immer an die durch sie vertretene Ukraine erinnern.“
               Ab diesem Morgen strahlte Tanya uns alle an, wenn wir nur zur Tür hereinkamen. Nicht auf „Befehl“ – sondern weil sie spürte, dass ein wenig Achtung vor ihrer Persönlichkeit und auch ihrer Schönheit mit dabei waren.  

               Was zur Arbeitsumgebung zu sagen war, steht im vorhergehenden Post. Die Kollegen Elektriker ordneten sich sehr rasch in die Abläufe ein – ihre fachliche Kompetenz war für mich besonders  beeindruckend. Das brachte aber für mich ab und an auch Hürden mit sich. Die „Entwöhnung“ von der technischen Entwicklung im eigenen Fach spielte da ihre negative Rolle. Aber mit ihrem Verständnis bekamen wir die Dinge schon hin.
               Einmal allerdings bekam ich von ihnen, milde gesagt, eine Rüge. Die ukrainischen Operateure für die neue Technik waren besonders wissensdurstig. Sie kamen nicht selten, um noch vor der Inbetriebnahme Fragen zum materiellen Teil ihres neuen Arbeitsplatzes zu stellen. Ich war und bin geduldig. Allerdings muss man mir schon überlassen, wo meine Prioritäten sind.

               Der deutsche Geschäftsführer war angereist. Ich musste noch einmal in meinen Laptop schauen, um etwas aus dem russischen Teil des Vertragswerks aufzufrischen, denn nach der Mittagspause sollte ich die Verhandlung der leitenden Männer dolmetschen. Da kamen besagte Burschen. Ich bat sie, mit der Frage später noch einmal auf mich zurück zu kommen. Aber junge, zielstrebige Kerle sind manchmal erstaunlich hartnäckig. Da entsann ich mich auf meine militärische Vergangenheit. „Stillgestanden! Kehrt marsch! An die Arbeit!“ – das wirkte sofort. Meine Kollegen hatten die Lautstärke bemerkt und kritisierten mich – so könne man sich hier als Partner nicht aufführen! Die Diskussion verschob ich – denn der Geschäftsführer mahnte zur Verhandlung.

               Geschäftliche Verhandlungen mit bekannten Partnern haben eine besondere Note – man muss als Dolmetscher verdammt aufpassen, zu übersetzen und nicht „zu kommentieren“ – was mir schon schwer fällt. Denn beide Seiten wollen bei aller Freundschaft doch auf das eigene Unternehmen zugeschnittene wirtschaftliche Vorteile erzielen. Hier kommen keine Inhalte der Unterredung. Nur eine Bemerkung.

               Der Chef des ukrainischen Unternehmens sagte: „Wir wollen Durchsichtigkeit in den gemeinsamen geschäftlichen Beziehungen. Die Bedingungen nicht nach der Variante: „Hängen nicht begnadigen.“ Da ritt mich der Teufel. Ich antwortete wie aus der Pistole geschossen: „Wir würden gerne das Komma setzen.“ Der Generaldirektor bedachte mich mit einem erstaunt-achtungsvollen Blick.
               Auf den strafenden Blick meines Auftraggebers erläuterte ich ihm den Sinn des Gesagten. Im Mittelalter hatten Gutsherren zwar Gerichtsbarkeit, aber nicht immer einen Henker im eigenen Rechtbereich. Also wurde ein armer Teufel, der für seine Kinder etwas vom Acker des Herren gestohlen hatte, verurteilt. Auf dem Zettel, den der begleitende Büttel bekam, stand obiger Satz. Dem Wächter tat der Mann leid – er setzte vor Erreichen der Stadt das Komma richtig, der Bauer kam frei.
               In unserer abschließenden Vereinbarung setzten beide Seiten das Komma in Übereinstimmung an seinen Platz.
                              
Und noch einmal musste ich laut werden. Wir hatten in der Halle nach dem Auspacken und Einsatz des Autokrans eine fast musterhafte Ordnung hergestellt und vor allem den Boden mit einem Industriestaubsauger „stubenrein“ gefegt. Da kam ein junger Bursche auf einem Gabelstapler, dessen Räder „eingesaut“ waren. Er sollte etwas in die Halle bringen, aus ihr holen – vergessen. Ich stand in Tornähe und verwehrte ihm die Einfahrt. Er meldete dies seinem Auftraggeber. Der kam sehr rasch und bat mich sehr eindringlich, nur meine Aufgabe als Dolmetscher zu erfüllen. Ich erwiderte nicht gerade leise, dass ich bei Ausscheiden aus der Armee meinen Helm, aber nicht meinen Mut abgegeben hätte und Achtung vor unserer Arbeit erwarte. Die von uns blank gewischten und leicht eingeölten Laufflächen an der Maschine müssten sauber bleiben, um deren Funktion nicht zu stören. Ende der Diskussion war: der Partner stellte große Plasteplanen zum Abdecken bereit. Wie man hier sagt: die Wölfe waren satt und die Schafe heil.

               Am Wochenende erneut ein Spaziergang zum Basar – mit ähnlichen Erlebnissen wie im Post davor geschildert. Allerdings standen wir plötzlich vor einem Denkmal. „Den Opfern aus dem Gebiet Lugansk, umgekommen durch die UPA -Banden bis 1956“. Den Kollegen musste ich ein wenig aus der in Westeuropa nicht so recht bekannten Geschichte der Ukraine erzählen. Von dem „Partisanenkrieg“ in der angeblich so fest gefügten Sowjetunion. Auch davon, welche politischen Auseinandersetzungen heute toben um die Anerkennung der mit der SS-Division „Nachtigall“ verbundenen „Freiheitskämpfer“ aus der Westukraine – welche heute noch in Lwow geduldete Aufmärsche veranstalten …

Zwei bemerkenswerte Kleinigkeiten gab es außerdem. Ein neuer Kollege ist besonders eifriger Gärtner. Er sah deshalb auch einen Pavillon mit Sämereien. Die Verkäuferin hatte wahrscheinlich schon lange nicht mehr einen solchen Umsatz gemacht. Blumen für die Frau des „hellsichtigen“ Kollegen, zwei andere kauften für die Eltern vor allem Gemüsesamen. Es sei zu sehen, dass hier noch keine Hybriden angeboten würden. Die etwa 15 Euro machten ja rund 150 Hrywna aus. Für die Verkäuferin ein Erfolg.
               Danach die Frage, wo denn ein guter Wodka zu haben sei. Hier heißt es: „Die Zunge führt bis nach Kiew“ – also fragen. Eine Verkäuferin riet mir dringend ab, den Alkohol auf dem Basar zu kaufen. es gäbe da zu viel verfälschten. Auf der Straße sprach ich einen älteren Herrn an, der uns anbot, mit ihm zu gehen. Unterwegs versuchte der Biologie-Professor, seine Deutschkenntnisse aufzufrischen … Aber wir haben uns weitergehend angeregt unterhalten. Als ich den Kollegen später die Summe in Euro nannte, für welche dieser Spezialist hier arbeitet, gab es wieder Kopfschütteln …
               Wir bekamen den „Schwarzen Panther“, den wir anlässlich des Geburtstags eines Kollegen im Hotel gekostet und für gut befunden hatten. Auch einige andere Spezialitäten.

               Wir verabschiedeten uns voneinander am Vorabend ihres Abfluges. Denn ich musste nur nach Kiew – also Start zu einem anderen Zeitpunkt. Mich nahm ein befreundeter Unternehmer armenischer Herkunft schon ganz früh am Morgen mit nach Donezk. Zum Abschied bekam ich Manöverkritik: „Vieles wäre ohne dich nicht so gut gelaufen.“ Das ist die Freude beim noch- etwas-taugen!

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger



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