Reise Teil 1

          Wir hatten alles gepackt und waren, um Strecke zu sparen, trotz Warnung den gewohnten Weg gefahren – eine sonst recht brauchbare Abkürzung. Allerdings hatte auf ihr der vergangene Winter solche Spuren hinterlassen, dass wir uns nach etwa zwei Stunden Slalom darüber ärgerten, nicht den weiteren Umweg über Kiew nach Warschau gewählt zu haben. Dafür entschädigte die neue Trasse – von der Oberfläche fast wie eine gute deutsche Autobahnstrecke. 
          Der Grenzübergang geschah rasch – wer aus der Gegend um Kiew kommt, selten durchreist und immer diesen Weg wählt, kommt bei normaler Belastung der Kontrollierenden recht zügig auf die andere, in diesem Fall polnische Seite. Auch dort wird man ein wenig wie ein Bekannter behandelt. Angenehm, es erspart viele der sonst üblichen Prozeduren. Die erforderlich sind, um Schmuggel einzudämmen. 
          Weil wir dieses Mal zuerst nach Bayern wollten, entwickelte sich die Diskussion um die günstigste Streckenführung. Ich hatte vorgearbeitet – das Blatt mit den im Internet ermittelten Orten lag vor. Allerdings führten die fleißigen polnischen Straßenbauer und der überkritische Stiefsohn meine Vorüberlegungen etwas in die Irre. Wir fanden den Kompromiss und ein preiswertes Nachtlager, obwohl die Angebote am Weg für deutsche Begriffe sowohl gut als auch ihr Geld wert waren. Aber eine sparsame Ukrainerin hat immer die Hoffnung, noch etwas besser hinzukommen – was auch klappte. 
          Am darauffolgenden Morgen kamen wir rechtzeitig auf den Weg, an eine Tankstelle mit dem preiswertesten Autogas der Reise und an ein Cafe, in dem außer den Getränken auch noch die typische schmackhafte Kuttel- oder Kaldaunensuppe verkauft wurde – Flaki (aus dem zotteligen Wänden des Labmagens von Rindern, dem Pansen). Hier höre ich regelrecht den Aufschrei: „Wie kann man so etwas essen!?“ 
          Das erinnert mich an die Brüder Humboldt, nach denen die bekannte Berliner Universität benannt ist. Auf ihren Reisen durch Mexiko kamen sie auch einst zu einem Stamm im Urwald, welcher seinen Gästen geröstete Engerlinge (große weiße Maden) anbot. Die Humbolt´s aßen – ihre Begleitung hielt sich zurück. Auf die Frage nach dem Grund dieser Handlung soll einer der Brüder sinngemäß so geantwortet haben. „Die Leute leben unter anderem davon. Wenn sie das ihren Gästen anbieten, dann mit offenen Händen und Herzen. Wir nehmen das dankbar an. Dieses tierische Eiweiß schmeckt nach gerösteten Nüssen.“ 
          Auch deshalb genießen diese Forscher in Mexiko besondere Anerkennung. Beide verhielten sich wie echte Wissenschaftler, interessiert an allem Neuen – nach einem Wort von Aristoteles (vor etwa 2200 Jahren formuliert) – „Der Beginn aller Wissenschaften ist das Erstaunen, dass die Dinge sind, wie sie sind.“ Also ganz im Gegensatz zu vielen Deutschen und Ukrainern – für erstere ist die Bockwurst und für die anderen der Borscht der Inbegriff für etwas ohne Vorurteil Essbares. Jedoch: nur wer im positiven Sinne neugierig ist auf Neues, kann überall auf der Welt kulinarische Überraschungen erleben. Die Frage ist: will sie/er das? 

          Als wir auf der kostenpflichtigen Autobahn an einem Rastplatz von einer schmucken Polin in Uniform herausgewinkt wurden, um Pässe und Führerschein zu kontrollieren, war genügend Zeit vergangen, um sich einen weiteren Kaffee (Tee) zu gönnen und auch den vorherigen herauszulassen. Wir – Natascha und ich – bemerkten, dass offensichtlich die Stichpunktkontrollen auf polnisches Territorium vorgezogen worden waren. Vergangenes Mal hatte man uns in der Nähe von Bautzen „geschnappt“, mit an die Talsperre zum gefahrlosen Halt zu fahren veranlasst und sich gewundert, dass ich in dieser schon vor mehr als 30 Jahren meinen bisher größten Hecht gefischt hatte – etwas über 6 kg schwer. 

          Unter den von uns befahrenen Flussbrücken sahen wir dieses Mal die sehr dunklen, schmutzigen Wassermassen und bekamen eine bei uns aufkeimende Ahnung von dem, was als vorerst größtes Jahrhunderthochwasser eingeschätzt wurde. 
          Die Klinik am Ostrand Münchens fanden wir dank Navigationshilfe „Mascha“ (unser Kosename) rasch und kamen auch zeitlich zurecht, unsere Tochter Svetlana noch vor der Nachtruhe zu besuchen, weil sie wegen einer kleinen Operation dort lag. 
          Zwei nicht besonders aufregende Tagereisen. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





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