Für mich ein Kürbis...


           Der Morgen des 13. Januar 2014 begann damit, dass ich seit langem einmal verschlafen habe. Plötzlich meldete sich gegen 06.30 Uhr Nataschas Handy. Gute Bekannte ständen vor der Haustür. Sie wollten uns zum Neuen Jahr nach Julianischem Kalender und ukrainischer Sitte beglückwünschen.
            Üblich ist das eigentlich eher auf dem Dorfe. Belaja Zerkov mit rund 220.000 Einwohnern ist dann ja ein recht großes…
             Als wir – ich im Schlafanzug – die Wohnungstür aufmachten, kam erst der Enkel, dann der Opa und noch ein Bekannter in die Wohnung. Sie hatten Weizen in den Jackentaschen. Erst „bezauberte“ (kolejdowal) uns der Enkel mit seinen Sprüchen und streute uns Weizen vor die Füße – danach die beiden Männer. Von denen waren die Wünsche etwas deftiger, dafür flogen die Weizenkörner auch fast bis an die Zimmerdecke und in die Haare.
             Das war einst der typische Frühjahrszauber, um gute Ernten zu erbitten. Den Brauch gab es auch ähnlich im Spreewald (Zapust mit dem Zampern). Also hat mich das hier nicht besonders überrascht, nur eben in der Frühe.
         
          Dafür gab es einen besonderen Abend. Wir waren in das Cafe eingeladen worden, in dem Sohn/Stiefsohn Pavel vor vielen Jahren seinen zweiten Arbeitsplatz bekam, nachdem er genau zwei Jahre beim damaligen Bischof der hiesigen Diözese als Koch gearbeitet hatte.
          Allerdings ging es nicht um Erinnerungen, sondern um seine Verlobung. Bei Hochzeiten war ich schon zu Gast – eine ukrainische Verlobung erlebte ich allerdings erstmals. Weil ich wusste, dass es nach Brauchtum zugehen sollte, habe ich mich zurück gehalten.
          Pavels Taufpate war der „Hochzeitsbitter“ – ich finde leider keinen anderen passenden deutschen Ausdruck dafür. Als wir ankamen, waren er mit Frau und die künftige Schwiegermama mit ihren Töchtern schon anwesend, dazu der Onkel der Mädchen mit seiner Frau. Der Tisch für den bescheidenen Empfang war eingedeckt.
          Auf einem kleinen Tischchen am Rande lag ein winziger Kürbis und etwas in ein helles Handtuch Eingewickeltes. Pavel hatte ein ebenso samtweich verpacktes besonderes, süßes und mit vielen Ornamenten verziertes Weißbrot dabei. Nach der gegenseitigen Begrüßung stellten sich die beiden „Gruppen“ einander gegenüber und es begann der „Brauthandel“.
           Der Hochzeitsbitter begann mit der Frage, wer unter den jungen Mädchen denn heute zu Gebot stünde. Das überraschte die drei Damen – aber Tolja hat Humor und war vorbereitet.
           Also begann er seinen „Bräutigam“ nach aller Kunst eines Marktschreiers (wenn auch leiser) anzupreisen. Mit den Qualitäten (davon die meisten echt) blieb der Ausgang des Handels eigentlich vorhersehbar. Aber die Mädchen sind pfiffig. So nahm Maria (Mascha) den Kürbis. Er ist, wenn ernsthaft übergeben, die Ablehnung der Werbung. Da aber Mascha weiß, dass ich Kürbissuppe mag, kam sie lächelnd auf mich zu und übergab mir den kleinen Kürbis.
          Dann holte sie das runde, mit allerlei Verzierungen versehene Weißbrot im Handtuch und übergab es Pascha – also Zustimmung.
          Anschließend legte sie dem Hochzeitsbitter ein buntes langes Handtuch um die rechte Schulter, band es über seiner linken Hüfte zusammen. Seiner Frau schenkte sie ein feines Schultertuch und zum Schluss „band sie ihn an sich“ – ein weißes Tuch um Paschas rechten  Oberarm. Dem zarten Mädchen habe ich die Kraft nicht zugetraut, mit welcher sie ihm fast den Arm abschnürte wie bei einer stark blutenden Wunde.
        Beide Seiten küssten nach der Überreichung die glänzende Oberfläche des ausgepackten und übergebenen Brotes – erst danach die Verlobten einander, nachdem Mascha ihren Verlobungsring angesteckt bekam. 
          Der Abend war lustig, die Trinksprüche dem Anlass angepasst. Ich habe wohl recht tief ins Glas geschaut – denn dem Taxifahrer nannte ich als Fahrziel „Berlin!“ Er fragte schlagfertig, ob ich denn genug Geld eingesteckt hätte.  Wir blieben in Belaja Zerkov.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger






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