Menschenleben und Faulheit

           Vorgestern in der Frühe war ich etwas später „in die Gänge gekommen“. Der Weg zum Erholungsheim Dubrawa  über den Fluss – ich ging ihn erneut erst zum dritten Mal nach dem durch Hund Kai provozierten Sturz. 
            Mein Freund Viktor Wassiljewitsch hatte mir ja geraten, besonders vorsichtig zu sein.  Also alle Ballspiele zu lassen, auch Ski- und Schlittschuhlaufen. Weil das vor 43 Jahren bei einem Wegeunfall beschädigte und von ihm mit kunstvoller Operation vor dem Steifwerden bewahrte Knie nach einem weiteren Unfall endgültig unbeweglich würde. 
         Die von unserem Hund bei Glatteis provozierten Ansätze zu dieser Situation gleiche ich erst gegenwärtig aus. Mit den Schmerzen geht das – dafür aber auch wieder mit dem Gehen. Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie viele Leute sogar schon weit vor  meinem Alter immer fauler werden. 
        Viktor, mit 88 Jahren sogar 12 Jahre älter als ich,  hat das einmal mit einer Frage charakterisiert: „Was meinst du – wer ist mein größter Feind?“ Weil ich ihn als einen aufrechten und auch humorvollen Menschen kenne, war mir die Vorstellung eigenartig. Aber auch gutwillige und gutmütige Personen haben Neider und Feinde… Er wartete einige Augenblicke, deutete hinüber und sagte: „Das Sofa!“ Den Hinweis habe ich sofort verstanden. Wer rastet, der rostet - sagt man in Deutschland. Gefiel ihm.

           Am Flussufer trafen wir ein Paar – mit ihrer Hündin, einer Cane-Corso-Dame. Wer die Rasse nicht kennt: etwas kräftiger als ein Rottweiler. Sie ist gewöhnlich sehr ruhig und zurückhaltend. Aber an dem Morgen kam sie freiwillig an mich heran und begann, sich intensiv an meinen Beinen zu scheuern. Das tat meinem noch schmerzenden Knie nicht gut. Aber ich machte darum kein Aufheben. Als sie zum Abschluss der Begrüßung mit ihren vom feuchten Erdreich doch recht schmutzigen Pfoten an mir hochkam, verbot ihr der Hausherr das doch. 
          Diese offensichtliche Art des Beweises ihrer Zuneigung nach relativ langer Zeit unserer Abwesenheit überraschte ihre Besitzer und erfreute mich besonders. Denn am nächsten Tag war ich bei ihr schon wieder „eingeordnet“, d. h. sie würdigte mich keiner besonderen Aufmerksamkeit. Vielleicht auch, weil sie das Verbot vom Vortag noch nicht vergessen hatte… Die intellektuellen Leistungen unserer Tierfreunde erstaunen mich immer wieder, wenn ich diese erlebe. 
            Nachdem ich den Hund daheim abgegeben hatte, durfte ich zum Basar. Auf dem Weg dahin ging ich am Kiosk unserer guten Bekannten Olga vorbei. Während unserer Unterhaltung kam eine Frau ganz aufgeregt und fragte nach einer Prepaid-Karte für ihr Handy. Olga suchte die passende und reichte sie heraus. Die Frau fragte, ob ihr der Sowieso bekannt sei. Sie bekam eine bejahende Antwort. Der Mann, 64 Jahre alt, sei in der Nacht verstorben. Nach Meinung der Ärzte wegen eines gelösten Thrombus in einer Beinvene. 
          Ich wusste von ihm, dass er nach einiger Zeit unterlassen hatte, die ihm von den Ärzten verordneten Elastikstrümpfe zu tragen. Weil ich diesen Ansatz zur Faulheit hinter mir habe. Denn auch da hat Viktor Wassiljewitsch seinen Anteil daran. Seine eindringliche Mahnung, wieder zu den ungeliebten, weil umständlich anzuziehenden Strumpfhosen zurück zu kehren, war von der geschickt platzierten Bitte getragen, mich ihm als nun dienstältesten Freund doch so lange wie möglich zu erhalten. Und von den wissenschaftlich belegten Todesfällen selbst in der Luft durch bei Vibration sich leichter lösenden Tromben. 
             Die Bewegung täglich – ob mit oder ohne Hund – das reine Lebenselixier. Wer sich das Gehen und Handeln nach sinnvollen ärztlichen Empfehlungen nicht abgewöhnen lässt, ist gut dran und drauf. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger  





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